Die Kernkraft spaltet wieder
Unter dem Eindruck des Ukrainekrieges entbrennt die Debatte, ob die umstrittene Energie die Versorgung nun doch länger stabilisieren soll
der Zwischen- und Endlagerung bezahlt. Sind solche rechtlichen Fragen nicht geklärt, wird kein Betreiber seine Anlage länger laufen lassen. Technisch lässt sich die Laufzeit verlängern, zunächst für einige Quartale. Dann allerdings müssen neue Brennstäbe beschafft werden. Weil sich die Konzerne bereits seit Jahren auf das Aus der Kraftwerke vorbereiten, könnte auch das Personal für den Betrieb knapp werden, sollten die Anlagen deutlich länger laufen.
Sind die Betreiber der letzten drei Anlagen – EnBW, Eon und RWE – bereit, die Anlagen länger laufen zu lassen?
EnBW aus Karlsruhe und Eon aus Essen würden mit der Bundesregierung darüber reden. Eon erklärte: „In dieser Ausnahmesituation sind wir bereit, darüber zu sprechen, unter welchen technischen, organisatorischen und regulatorischen Randbedingungen eine verlängerte Nutzung des Kernkraftwerks Isar 2 möglich wäre, sofern dies seitens der Bundesregierung ausdrücklich gewünscht ist.“Begeisterung klingt anders. RWE hält sich bisher zurück, setzt wohl eher darauf, seine Braunkohlekraftwerke länger laufen zu lassen. Alle drei Konzerne haben mit Atomkraft abgeschlossen, konzentrieren sich auf völlig andere Geschäftsfelder. So setzt etwa EnBW auf erneuerbare Energien, Eon auf Netze und Energielösungen für Kunden.
Ende 2021 sind Brokdorf, Grohnde und Grundremmingen C stillgelegt worden. Lassen sie sich wieder ans Netz bringen?
Theoretisch ist das möglich, wenn der Rückbau noch nicht begonnen hat. Aber: Die Betreiber haben sich seit mehr als zehn Jahren auf den Ausstieg vorbereitet. Entsprechend haben sie das Personal geplant. Nachwuchs fehlt, ältere Kollegen bereiten sich auf den Ruhestand vor. Um ein Kraftwerk zu fahren, sind Mitarbeiter mit besonderer atomrechtlicher Lizenz nötig. Eine solche Lizenz gilt immer nur für eine bestimmte Anlage. Wer also bis 2019 Philippsburg 2 steuern durfte, kann nicht in Grohnde anfangen – jedenfalls nicht ohne Nachschulung. Das dauert mindestens ein Jahr für erfahrene Kräfte. Weil Brennelemente in der Regel drei bis vier Jahre genutzt werden, sind in den Kraftwerken, die gerade abgeschaltet wurden, auch recht wenig frische Elemente eingesetzt – ein Weiterbetrieb war schließlich nicht vorgesehen. Und auch um Anlagen zu reaktivieren, muss der Bundestag das Atomgesetz ändern.
Gibt es weitere Anlagen, die wieder hochgefahren werden könnten?
Nein. Alle anderen stillgelegten Atomkraftwerke werden bereits zurückgebaut oder sind sicher eingeschlossen.
Welche grundsätzlichen Vorund Nachteile haben AKW?
Der große Vorteil: Die Reaktoren stoßen kein Klimagas CO2 aus. Der große Nachteil: Sie erzeugen radioaktive Abfälle. Und die Endlagerfrage ist in Deutschland immer noch nicht gelöst.
Wie wahrscheinlich sind Neubauten in Deutschland?
Mit dem Krieg in der Ukraine ist einiges, was als unumstößlich galt, plötzlich doch wieder in der Diskussion. Dass neue Atomkraftwerke in Deutschland gebaut werden, gilt aber in der Branche immer noch als ausgeschlossen. Die Planung ist aufwändig, der Widerstand groß: Der Atomausstieg ist in Deutschland gesellschaftlich tief verankert. Zudem sind die Kosten hoch und die Bauzeit schwer kalkulierbar. Private Investoren sind deshalb kaum zu finden, auch, weil sich Atomkraft wenig rechnet. Neue Anlagen wie Hinkley Point C in England werden nur gebaut, weil der Staat für Abnahmemengen und (hohe) Preise garantiert. Oder Geld zuschießt. Für die USA hat die Bank Lazard errechnet, dass Energie aus Wind seit 2010, aus Solaranlagen seit 2012 günstiger ist als Atomenergie. Zudem verteuerte sich danach Atomenergie zwischen 2010 und 2020 um 33 Prozent, Solarenergie verbilligte sich um 90 Prozent, Windenergie um 70 Prozent.
Wie viele Atomanlagen gibt es weltweit und wie viele werden gebaut?
Insgesamt liefen im Februar nach Zahlen des World Nuclear Industry Status Reports (WNISR) 412 Reaktoren weltweit, 93 davon allein in den USA, gefolgt von Frankreich (56) und China (54). Gebaut werden demnach 54 Anlagen, 20 allein in China. Insgesamt liefern Atomkraftwerke 10,1 Prozent der weltweiten Strommenge.
In der internationalen Diskussion taucht das Kürzel SMR auf. Was sind SMR?
SMR steht für Small Modular Reactor, kleiner modularer Reaktor. Das sind standardisierte Anlagen, die in Serie hergestellt werden sollen. Dadurch, so die Idee, werden sie günstiger als einzelne große, jeweils neu geplante Anlagen. Forscher und Unternehmen arbeiten weltweit an unterschiedlichen Konzepten, unter anderem in Dänemark, Frankreich und Tschechien. Einziges Projekt in Deutschland: Dual Fluid, hinter dem Kernforscher aus Berlin stehen.
Warum werden SMR nicht gebaut?
Viele der Projekte, auch das von Dual Fluid existieren nur auf dem Papier. Denn zunächst einmal Demonstrationsreaktoren herzustellen, ist teuer. Dual Fluid rechnet mit mehreren Millionen Euro. Eine funktionierende Anlage zur Serienreife zu bringen, kostet demnach rund sieben Milliarden Euro und dauert zehn Jahre.