Volle Zustimmung für schmerzhafte Sanktionen
Deutsche Wirtschaft steht geschlossen hinter Russland-Strafen, obwohl dabei viel Geld auf dem Spiel steht
- Rund 40 000 deutsche Firmen liefern Waren oder Dienstleistungen nach Russland. Normalerweise. Wie viele es derzeit noch sind, weiß auch der Deutsche Industrieund Handelskammertag (DIHK) nicht zu sagen. Immer mehr Unternehmen kappen derzeit ihre Geschäftsbeziehungen. Nun hat zum Beispiel auch VW seine Aktivitäten dort unterbrochen. Die Wolfsburger betreiben südwestlich von Moskau ein Autowerk. Die Produktion wird vorerst eingestellt.
Für die 3650 Unternehmen, die auch direkt in Russland investieren und sich dort niedergelassen haben, steht viel Geld auf dem Spiel. Auf über 24 Milliarden Euro taxiert der DIHK die deutschen Investments. Hierzulande hängen rund 250 000 Arbeitsplätze vom Geschäft mit Russland ab. Wirtschaftsminister Robert Habeck sieht „eine so komplexe Lage wie vielleicht seit vielen Jahren nicht in der deutschen Wirtschaftsgeschichte“. So gut wie alle Branchen seien betroffen. Und dennoch, so betonte der Grünen-Politiker am Donnerstag anerkennend, sei die Solidarität
der deutschen Wirtschaft mit der Ukraine ungebrochen. Trotz ihrer erheblichen Belastung trügen alle Unternehmen die Sanktionen gegen Russland mit. „Wir haben keine kritischen Stimmen aus der Wirtschaft gehört, dass die Sanktionen falsch wären“, sagt auch der Außenwirtschaftschef des DIHK, Volker Treier. Damit die Kosten für die Sanktionen aber nicht zu hoch werden, legt die Bundesregierung ein Kreditprogramm
für betroffene Firmen auf. Sie sollen von den guten Zinsbedingungen des Staates profitieren und sich mit dem Geld neue Geschäftsfelder aufbauen. Außerdem springt der Staat mit Bürgschaften und Investitionsgarantien in die Bresche.
Das Handelsvolumen mit Russland lag im vergangenen Jahr noch bei 60 Milliarden Euro. Im Vergleich zu den Gesamtexporten von etwa 1,4 Billionen Euro ist das zwar nicht viel. Doch für einzelne Unternehmen könnten Totalausfälle bei diesem Geschäft bedrohlich sein.
Der Blick des DIHK geht mit Sorge in die Ukraine. Dort sind noch immer Beschäftigte der Deutsch-Ukrainischen Industrie- und Handelskammer vor Ort. Die Mitarbeiter würden sich nachts zum Schutz in die Keller begeben und morgens nach Lebensmitteln oder Medikamenten Schlange stehen, berichtet deren Chef Alexander Markus. Rund 2000 deutsche Firmen sind in der Ukraine tätig. Da die Produktion dort kriegsbedingt ruht, fehlen hierzulande Zulieferungen aus dem Land. Das spürt besonders die Autoindustrie. In der Ukraine werden beispielsweise Kabelbäume oder Sitzbezüge für die Autos hergestellt. Dazu mangelt es der Autoindustrie auch an Rohstoffen, die aus Russland kommen. Genannt wird hier vor allem Nickel, dass für die Herstellung von Elektroautos benötigt wird. Die Lieferketten waren schon vor dem Krieg gestört. Der Konflikt verschärft die Lage noch einmal, wie eine Umfrage des DIHK zeigt. „80 Prozent haben von teils extremen Problemen in den Lieferketten berichtet“, erläutert Treier. Wie stark sich die Probleme am Ende in der Wirtschaft auswirken, sei derzeit nicht abzuschätzen. Die ursprüngliche Exportprognose, die von einem Zuwachs um sechs Prozent ausging, kassiert der DIHK. Diese Erwartung sei nicht mehr haltbar, so Treier. An eine Rezession glaubt der Verband allerdings auch nicht. Der DIHK geht eher von einer Stagflation aus, also einer stagnierenden Wirtschaft bei gleichzeitig steigenden Preisen. Auch darauf weist die Umfrage hin. Denn sieben von zehn Firmen kündigten an, dass sie die Preissteigerungen bei ihren Vorprodukten an ihre Kunden weitergeben müssten.
Richtig dicke könnte es laut DIHK kommen, wenn auch Gas- und Öllieferungen in die Liste der Sanktionen aufgenommen werden sollten. In diesem Falle müsste zunächst die Industrie ihren Verbrauch einschränken, befürchtet Treier. Ausbleibende Gaslieferung sind seiner Ansicht nach nicht durch Lieferungen von Flüssiggas aus anderen Ländern zu ersetzen. Dies sei kurzfristig unmöglich, sagt Treier. Es gebe auf der ganzen Welt derzeit 600 Schiffe, die für den Transport geeignet sind, 400 müssten allein für Deutschland arbeiten.