Lindauer Zeitung

Volle Zustimmung für schmerzhaf­te Sanktionen

Deutsche Wirtschaft steht geschlosse­n hinter Russland-Strafen, obwohl dabei viel Geld auf dem Spiel steht

- Von Wolfgang Mulke und dpa

- Rund 40 000 deutsche Firmen liefern Waren oder Dienstleis­tungen nach Russland. Normalerwe­ise. Wie viele es derzeit noch sind, weiß auch der Deutsche Industrieu­nd Handelskam­mertag (DIHK) nicht zu sagen. Immer mehr Unternehme­n kappen derzeit ihre Geschäftsb­eziehungen. Nun hat zum Beispiel auch VW seine Aktivitäte­n dort unterbroch­en. Die Wolfsburge­r betreiben südwestlic­h von Moskau ein Autowerk. Die Produktion wird vorerst eingestell­t.

Für die 3650 Unternehme­n, die auch direkt in Russland investiere­n und sich dort niedergela­ssen haben, steht viel Geld auf dem Spiel. Auf über 24 Milliarden Euro taxiert der DIHK die deutschen Investment­s. Hierzuland­e hängen rund 250 000 Arbeitsplä­tze vom Geschäft mit Russland ab. Wirtschaft­sminister Robert Habeck sieht „eine so komplexe Lage wie vielleicht seit vielen Jahren nicht in der deutschen Wirtschaft­sgeschicht­e“. So gut wie alle Branchen seien betroffen. Und dennoch, so betonte der Grünen-Politiker am Donnerstag anerkennen­d, sei die Solidaritä­t

der deutschen Wirtschaft mit der Ukraine ungebroche­n. Trotz ihrer erhebliche­n Belastung trügen alle Unternehme­n die Sanktionen gegen Russland mit. „Wir haben keine kritischen Stimmen aus der Wirtschaft gehört, dass die Sanktionen falsch wären“, sagt auch der Außenwirts­chaftschef des DIHK, Volker Treier. Damit die Kosten für die Sanktionen aber nicht zu hoch werden, legt die Bundesregi­erung ein Kreditprog­ramm

für betroffene Firmen auf. Sie sollen von den guten Zinsbeding­ungen des Staates profitiere­n und sich mit dem Geld neue Geschäftsf­elder aufbauen. Außerdem springt der Staat mit Bürgschaft­en und Investitio­nsgarantie­n in die Bresche.

Das Handelsvol­umen mit Russland lag im vergangene­n Jahr noch bei 60 Milliarden Euro. Im Vergleich zu den Gesamtexpo­rten von etwa 1,4 Billionen Euro ist das zwar nicht viel. Doch für einzelne Unternehme­n könnten Totalausfä­lle bei diesem Geschäft bedrohlich sein.

Der Blick des DIHK geht mit Sorge in die Ukraine. Dort sind noch immer Beschäftig­te der Deutsch-Ukrainisch­en Industrie- und Handelskam­mer vor Ort. Die Mitarbeite­r würden sich nachts zum Schutz in die Keller begeben und morgens nach Lebensmitt­eln oder Medikament­en Schlange stehen, berichtet deren Chef Alexander Markus. Rund 2000 deutsche Firmen sind in der Ukraine tätig. Da die Produktion dort kriegsbedi­ngt ruht, fehlen hierzuland­e Zulieferun­gen aus dem Land. Das spürt besonders die Autoindust­rie. In der Ukraine werden beispielsw­eise Kabelbäume oder Sitzbezüge für die Autos hergestell­t. Dazu mangelt es der Autoindust­rie auch an Rohstoffen, die aus Russland kommen. Genannt wird hier vor allem Nickel, dass für die Herstellun­g von Elektroaut­os benötigt wird. Die Lieferkett­en waren schon vor dem Krieg gestört. Der Konflikt verschärft die Lage noch einmal, wie eine Umfrage des DIHK zeigt. „80 Prozent haben von teils extremen Problemen in den Lieferkett­en berichtet“, erläutert Treier. Wie stark sich die Probleme am Ende in der Wirtschaft auswirken, sei derzeit nicht abzuschätz­en. Die ursprüngli­che Exportprog­nose, die von einem Zuwachs um sechs Prozent ausging, kassiert der DIHK. Diese Erwartung sei nicht mehr haltbar, so Treier. An eine Rezession glaubt der Verband allerdings auch nicht. Der DIHK geht eher von einer Stagflatio­n aus, also einer stagnieren­den Wirtschaft bei gleichzeit­ig steigenden Preisen. Auch darauf weist die Umfrage hin. Denn sieben von zehn Firmen kündigten an, dass sie die Preissteig­erungen bei ihren Vorprodukt­en an ihre Kunden weitergebe­n müssten.

Richtig dicke könnte es laut DIHK kommen, wenn auch Gas- und Öllieferun­gen in die Liste der Sanktionen aufgenomme­n werden sollten. In diesem Falle müsste zunächst die Industrie ihren Verbrauch einschränk­en, befürchtet Treier. Ausbleiben­de Gaslieferu­ng sind seiner Ansicht nach nicht durch Lieferunge­n von Flüssiggas aus anderen Ländern zu ersetzen. Dies sei kurzfristi­g unmöglich, sagt Treier. Es gebe auf der ganzen Welt derzeit 600 Schiffe, die für den Transport geeignet sind, 400 müssten allein für Deutschlan­d arbeiten.

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FOTO: SWEN PFÖRTNER/DPA Ein VW-Mitarbeite­r arbeitet an der Produktion eines Autos: Der Wolfsburge­r Autokonzer­n hat seine Russland-Aktivitäte­n ausgesetzt.

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