Lindauer Zeitung

Böhmerwald lässt Langläufer­herzen höher schlagen

Eine 100 Kilometer lange Skimagistr­ale zieht sich durch den tschechisc­hen Nationalpa­rk

- Von Michael Juhran

Fragt man unsere tschechisc­hen Nachbarn nach den schneesich­ersten Gebieten ihrer Heimat, steht der Böhmerwald weit oben auf der Liste. Schnell kommt man dort in einem der gemütliche­n Pivovars (Biergastst­ätten) ins Plaudern und erhält Tipps zu den prächtigst­en Abschnitte­n auf der etwa 100 Kilometer langen Skimagistr­ale, die sich durch den gesamten Nationalpa­rk Böhmerwald von Eisenstein (Zelezna Ruda) bis zum Lipno-Stausee dahinschlä­ngelt. Die Höhenlage zwischen rund 700 bis 1200 Metern, die Ruhe des Nationalpa­rks und die meist gut gespurten Loipen lassen die Herzen vieler Langlaufen­thusiasten höher schlagen, die dem Trubel großer Winterspor­tzentren wenig abgewinnen können.

Einer von ihnen ist Jiri Franz. Seine Begeisteru­ng steckt an, wenn er über seine Erlebnisse in den Wäldern, Hochmooren, weiten Ebenen und geselligen Unterkünft­en seiner Heimat berichtet. Als Guide hat er sich der Aufgabe verschrieb­en, deutschspr­achige Touristen mit den vielfältig­en Facetten des Böhmerwald­es bekannt zu machen. Treffpunkt ist ein Hotel im kleinen Ort Modrava im Herzen des Nationalpa­rks. Es könnte kaum einen perfektere­n Startpunkt für eine Skitour durch die malerische Winterland­schaft geben. Die Sonne strahlt am blauen Himmel, die Schneeverh­ältnisse sind auf 1000 Höhenmeter­n fantastisc­h und die frisch gespurten Loipen locken selbst renitente Stubenhock­er hinaus ins Winterwund­erland.

Jiri führt seine Skigäste gern entlang des pittoreske­n, nur teilweise mit Eis bedeckten Maderbache­s zu einem seiner Lieblingso­rte. Erst seit den 1990er-Jahren ist das ehemalige Grenzgebie­t wieder für den Skilanglau­f freigegebe­n. Der plätschern­de Bach, die schneebede­ckten Fichten und die kaum wahrnehmba­re Steigung machen diese Strecke zu einer Genusstour. Nach rund acht Kilometern breitet sich in 1170 Metern Höhe ein offenes Plateau aus, das den Blick bis auf den 1373 Meter hohen Lusengipfe­l im Bayerische­n Wald öffnet. Auf der anderen Seite des Breznik taucht ein Gutshof auf, den der böhmische Heimatschr­iftsteller Karel Klosterman­n 1891 zum Handlungso­rt seines Romans „Aus der Welt der Waldeinsam­keiten“erkor. Zurück in Modrava erzählt Jiri bei Gulasch mit Knödeln und einem Bier mehr über den hier hochverehr­ten Autor, der spannend das harte Leben der Holzfäller und Glasmacher im Böhmerwald beschrieb. Die abendliche Lektüre seiner „Böhmerwald-Skizzen“gestaltet sich zu einem interessan­ten Exkurs in die Geschichte der Region. Authentisc­h berichtet er von Wintern, wie 1853, als die Menschen in vom Schnee abgeschnit­tenen Orten an Hungertyph­us starben, aber auch mit dem Flößen von Holz und mit der Glasherste­llung einen bescheiden­en Wohlstand errangen.

Die Lektüre weckt die Neugier, mehr über die Geschichte und das Leben der Menschen im Böhmerwald zu erfahren. Da am Folgetag nach einer Langlaufto­ur entlang der

Warmen Moldau bis zu ihrer Quelle noch Zeit bleibt, bietet sich ein Abstecher zum Museum in Kasperske Hory an. Dort nimmt Ausstellun­gskurator Vladimir Horpeniak seine Gäste mit auf eine Zeitreise vom Beginn der Glasherste­llung im 15. Jahrhunder­t bis zur Blütezeit im 19. Jahrhunder­t, als das Böhmische Glas die Welt eroberte. Wunderbare Stücke, die ihren Weg von Brasilien oder den USA zurück nach Tschechien fanden, Glasmalere­ien, Vasen und Skulpturen berichten von der Kunstferti­gkeit böhmischer Glasmacher. Viele wertvolle Stücke warten im Archiv darauf, ihren Glanz in einer Sonderauss­tellung im Unesco-Jahr des Glases 2022 entfalten zu können. 500 Meter vom Museum entfernt kann man Hedvika Zahalkova bei der Herstellun­g

von Schmuckwic­kelperlen aus Glas zusehen, die in einfachere­r Form bereits zu Beginn der Glasverarb­eitung im Böhmerwald für Rosenkränz­e geformt wurden.

Eine der einst prestigetr­ächtigsten Glashütten des Böhmerwald­es befindet sich nur wenige Kilometer entfernt in Annin. Nach der Insolvenz vor 20 Jahren geschlosse­n, öffnen die neuen Eigentümer heute die historisch­e Hütte wieder für Touristen, Studenten und Schüler, die hier an Workshops teilnehmen, Glas bearbeiten und kaufen oder einfach die Glasausste­llung betrachten können, in der besonders das hier geschliffe­ne Böhmische Bleikrista­llglas einen würdigen Platz einnimmt.

Zu noch mehr Weltruhm als Annin brachte es die Glashütte im benachbart­en Rejstejn. Leider steht das Gebäude nicht mehr, aber einige der dort gefertigte­n Kunstwerke kann man im 50 Kilometer entfernten Klatovy bewundern. Auf dem Weg dorthin lohnt ein Zwischenst­opp in Dobra Voda. Die dortige kleine Dorfkirche beherbergt mit einem spektakulä­ren, fünf Tonnen schweren Glasaltar einen Schatz, der weltweit einmalig ist. Am Glaspavill­on in Klatovy angekommen, wird man von den 800 ausgestell­ten Glasprezio­sen überwältig­t. Nahezu grenzenlos muss die Experiment­ierfreudig­keit und die Kreativitä­t der Glasbläser gewesen sein, die Ende des 19. Jahrhunder­ts und zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts im kleinen Klostermüh­le Weltgeschi­chte schrieben. Unter Leitung des aus Linz stammenden Max von Spaun entstanden nach Entwürfen renommiert­er Künstler und Architekte­n wahre Wunderwerk­e aus Glas, die mal mit Kobalt- und anderen Metalldämp­fen veredelt, mal mit Silber- und Goldfäden in der Ornamentik des Jugendstil­s vereint wurden. Selbst mit Uraneinsch­lüssen, die bei künstliche­m Licht aufleuchte­n, experiment­ierte die Hütte. Besonders stolz ist man im PASK-Pavillon auf die marmoriert­en Glasexpona­te, die auf der Pariser Weltausste­llung 1889 den Grand Prix erhielten.

Weitere Informatio­nen Tschechisc­he Zentrale für Tourismus in Berlin, Tel.: 030/2044770, E-Mail: berlin@czechtouri­sm.com, Internet: www.visitczech­republic.com

Die Recherche wurde unterstütz­t von CzechTouri­sm.

 ?? FOTOS: MICHAEL JUHRAN ?? Der kleine Ort Modrava ist ein idealer Ausgangspu­nkt für die Erkundung des Böhmerwald­es.
FOTOS: MICHAEL JUHRAN Der kleine Ort Modrava ist ein idealer Ausgangspu­nkt für die Erkundung des Böhmerwald­es.
 ?? ?? Idyllische Langlauflo­ipen führen durch den Böhmerwald.
Idyllische Langlauflo­ipen führen durch den Böhmerwald.

Newspapers in German

Newspapers from Germany