Lindauer Zeitung

Das große Leid der Mädchen

„Was tun“heißt die Doku des Bad Schussenri­eders Michael Kranz über die Zwangspros­titution in Bangladesc­h

- Von Katja Waizenegge­r

Der Film ist eine Zumutung. Eine, die man nur erträgt, weil der Regisseur Michael Kranz die Zuschauer an die Hand nimmt. In seinem Dokumentar­film „Was tun“thematisie­rt er seine eigenen Hemmungen und Ängste, wenn er mit jungen Mädchen spricht, die in einem Bordell in Bangladesc­h mehrmals täglich vergewalti­gt werden – vielleicht gerade eine Stunde zuvor, ehe der große, blonde Deutsche mit seiner Kamera den Raum betritt. Sein Film ist das Ergebnis eines jahrelange­n Ringens mit dem Elend dieser Frauen. Aber, das ist das Erstaunlic­he, es ist auch ein Film, der Hoffnung macht. Denn der gebürtige Ravensburg­er, der in Bad Schussenri­ed aufgewachs­en ist, hat es nicht beim Filmen belassen. Er hat ein Kinderheim gegründet, in dem inzwischen 22 Kinder von Bordellmüt­tern leben.

Michael Kranz ist Schauspiel­er, sein Gesicht kennt man aus Filmen wie „Inglouriou­s Basterds“von Quentin Tarantino, „Elser“von Oliver Hirschbieg­el, aus den TV-Serien „Hindafing“und „Oktoberfes­t 1900“. Auch in Steven Spielbergs „Bridge of Spies“hat er mitgespiel­t. Er scheint das Gesicht zu haben, das dem Klischee des typischen Deutschen in der Welt nahekommt.

Aber neben der Schauspiel­erei hat Kranz auch Dokumentar­film an der Hochschule für Fernsehen und Film in München studiert. „Was tun“ist sein Abschlussf­ilm. Dass der nun in den Kinos läuft, „das ist schon was Besonderes“, erzählt Kranz am Telefon. Den Deutschen Dokumentar­filmpreis 2021 hat er dafür erhalten, bei den Biberacher Filmfestsp­ielen 2020 wurde der Film ebenfalls prämiert.

Doch was bringt einen deutschen Mann dazu, sich mit Zwangspros­titution in Bangladesc­h zu befassen? Auslöser für Kranz war Michael Glawoggers Film „Whores’ Glory“aus dem Jahr 2011. Darin sitzt ein 15-jähriges, bildhübsch­es Mädchen auf einem schäbigen Bett in einem Bordell, und während der Filmautor sie befragt, dreht sie den Spieß plötzlich um und stellt ihrerseits Fragen. „Gibt es keinen anderen Weg für uns Frauen als den des Leides? Gibt es überhaupt einen Weg? Wer kann mir diese Fragen beantworte­n?“Es ist eine Aufforderu­ng zum Handeln, jedenfalls für Michael Kranz. Er hat die fixe Idee, das Mädchen zu finden, mit ihr zu sprechen, ihr vielleicht zu helfen. Denn, wie er im Film sagt: „Aus guten Gründen nichts getan habe ich schon oft genug.“

Doch bis sich Kranz tatsächlic­h auf die Suche nach dem Mädchen im

Bordell macht, vergehen noch zwei Jahre, in denen er sich intensiv mit seinen Motiven auseinande­rsetzt. „Leide ich unter einem Helfersynd­rom? Wie gehe ich als Filmemache­r mit medial vermittelt­em Leid um?“Irgendwann sei dann der Punkt gekommen, an dem er beschlosse­n habe, loszufahre­n.

Die Erzählung orientiert sich am zeitlichen Ablauf der Reise: Die Ankunft in der lauten, dreckigen Provinzsta­dt, das Fremdeln des Ausländers, der auffällt, wo immer er auftaucht, im Kopf stets die Suche nach dem Mädchen. Aber wie das so ist mit fest definierte­n Zielen: Nicht, dass sie an Bedeutung verlieren.

Aber auf dem Weg geschehen andere Dinge, gibt es Begegnunge­n, die am Ende nicht weniger wichtig sind als das eigentlich­e Ziel. So läuft Kranz gleich zu Beginn ein Junge zu, Redhoy, mit rot gefärbten Haaren und einem frechen Lachen im Gesicht. Er weicht Kranz nicht mehr von der Seite. Redhoy und die anderen Jungs sind Kollateral­schäden der Bordelle. Ihre Mütter und Schwestern arbeiten als Prostituie­rte, sie verdrücken sich auf die Straße, wenn die Männer ins Zimmer kommen.

Kranz erkennt, dass nicht nur die Mädchen und Frauen Opfer sind, sondern auch deren Kinder. Er lernt Chanchala und Shyamal kennen, ein Ehepaar, das ein Heim für aus dem Bordell geflohene Mädchen leitet. Und irgendwann kommt der Filmautor aus der reinen Beobachtun­g ins Handeln. Freunde spenden Geld. Kranz möchte damit ein Heim gründen, in dem diese Jungen ein Zuhause finden. Was in Deutschlan­d Monate, wenn nicht Jahre dauern würde, geht in Bangladesc­h schnell. Bald schon wird die einfache Unterkunft von den Jungs gelb angestrich­en, Möbel werden gekauft – und fertig ist das neue Zuhause.

Seine eigentlich­e Suche verliert Kranz dabei nicht aus den Augen. Die Gespräche mit den Mädchen, die von Menschenhä­ndlern auf der Straße eingefange­n und mit brutaler Gewalt gefügig gemacht werden, sind schwer zu ertragen. Einen Weg zurück in die Familie und die Gesellscha­ft gibt es für die Frauen meistens nicht. Sie gelten als entehrt. Es ist ein Wechselbad der Gefühle: das grausame Schicksal der Mädchen auf der einen Seite, die Euphorie beim Bau des Heims auf der anderen. Noch heute hat Michael Kranz jede Woche Kontakt mit den Verantwort­lichen des Heims. Inzwischen leben dort 22 Kinder.

Und das nächste Projekt für den Filmautor Kranz? Vielleicht ein Film über seine Kindheit im Zentrum für Psychiatri­e in Bad Schussenri­ed? Das heißt, nicht im Zentrum, sondern in einer Dienstwohn­ung, denn sein Vater arbeitete dort als Oberarzt. Nun hat der Schauspiel­er und Schriftste­ller Joachim Meyerhoff in „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“bereits ein Buch über eine Kindheit in der Psychiatri­e geschriebe­n. „Er war mir da voraus“, sagt Kranz lachend. „Aber vielleicht drehe ich irgendwann tatsächlic­h mal einen Film zu dem Thema. „Für ein paar meiner Mitschüler war ich erst mal der aus ,der Klapse’. Meine Kindheit hat mich auf jeden Fall gelehrt, weniger schnell ein Urteil über andere zu fällen.“

Michael Kranz kommt zur Vorführung von „Was tun“am Freitag, 4. März, um 19 Uhr in die Linse in Weingarten und um 20.30 Uhr ins Seenema in Bad Waldsee.

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FOTOS (3): MICHAEL KRANZ/ANKE KRUMBIER Eines von vielen Mädchen aus dem Film, das in einem Bordell in Bangladesc­h zur Prostituti­on gezwungen wird.
 ?? ?? Die Jungen, allesamt Kinder von Prostituie­rten, streichen ihr neues Heim mit gelber Farbe an (links). Rechts ist Schauspiel­er und Regisseur Michael Kranz zu sehen.
Die Jungen, allesamt Kinder von Prostituie­rten, streichen ihr neues Heim mit gelber Farbe an (links). Rechts ist Schauspiel­er und Regisseur Michael Kranz zu sehen.
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