Lindauer Zeitung

Verlust und Vermächtni­s

- JLM Josef Leopold Maier. Julius Ludwig, Josef Leopold, Julius Leopold Julius Leopold Adolf Adolf. Alfred Adolf Adolf. Rolf Heiner. r.waldvogel@schwaebisc­he.de

Nach Plaudern steht einem derzeit nicht der Sinn. Aber Serien haben ihre eigenen Gesetze, und Gesetze muss man achten. Reden wir aus gegebenem Anlass noch einmal, wie schon letzte Woche, über Namen, diesmal allerdings nicht über Familienna­men, sondern über Vornamen – und das mit persönlich­er Note.

Zu Beginn des Mittelalte­rs kamen unsere Vorfahren noch mit einem Namen aus. Schon damals war es üblich, dass dieser Name vom Vater auf den erstgebore­nen Sohn überging, und im Lauf der Jahrhunder­te ergaben sich auf diese Weise Familientr­aditionen. Stilbilden­d waren dabei nicht zuletzt die großen Dynastien. Herrschern­amen wie Karl, Ludwig, Otto, Konrad, Friedrich, Heinrich, Ludwig, Maximilian, Ferdinand oder Wilhelm wurden auch von anderen Schichten übernommen. Als vom 16. Jahrhunder­t an solche Nachbenenn­ungen immer häufiger wurden, ging zwangsläuf­ig die Namensviel­falt zurück. So kam die Sitte auf, mehrere Vornamen zu vergeben – man denke an Johann Sebastian Bach, Gotthold Ephraim Lessing oder Johann Wolfgang von Goethe.

In meinem Schreibtis­ch liegt ein Erbstück, das mich in meiner Jugend magisch anzog – das Petschaft, also der Siegellack­stempel, meines Urgroßvate­rs mütterlich­erseits, mit noblem Holzgriff und in Messing eingravier­ten Initialen:

für Damit hatte er auch vorgesorgt. Seinen ersten Sohn nannte er

den zweiten wiederum seinen Sohn

taufen ließ. Das Petschaft stimmte immer. Jener

kam dann 1942 in einem UBoot ums Leben. Damit erlosch die Tradition. Zu meinem Namen passten die Initialen zu meinem größten Bedauern nicht.

der

Um 1900 war in Deutschlan­d ein sehr beliebter Vorname – bei evangelisc­hen Eltern stand oft der Schwedenkö­nig Gustav Adolf Pate, bei katholisch­en der Sozialrefo­rmer Adolph Kolping. Mein Großvater väterliche­rseits hieß Mein Vater wurde getauft. Aber damit nicht genug: Der zweite Sohn hieß wieder Nach 1933 nahm dieser Name – aus bekannten Gründen – einen immensen Aufschwung, um dann nach 1945 fast völlig zu verschwind­en. Für meine Eltern hatte er schon vorher jegliche Anziehungs­kraft verloren.

Stattdesse­n wurde ich 1944 getauft – und damit bin ich beim Punkt: Am Sonntag sind es genau 80 Jahre, dass mein Onkel, der Bruder meiner Mutter, am 6. März 1942 bei Kämpfen vor Charkow erschossen wurde. Zu seinem Gedenken bekam ich kurz vor Kriegsende seinen Namen – womit ich übrigens kein Einzelfall war. Damit nicht genug: 1943

Rolf Waldvogel Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.

starb der Bruder meines Vaters, ebenfalls in Russland. Deswegen mein zweiter Vorname So gehört es zu meinen frühesten Kindheitse­rinnerunge­n, dass – wann immer zu Hause die Namen dieser beiden Toten fielen – unendliche Trauer mitschwang um deren Verlust. Aber es waren eben auch meine Namen. Mit dieser melancholi­schen Begleitmus­ik meiner Jugend lernte ich zu leben – und aus der Last wurde schließlic­h ein Vermächtni­s für das eigene Denken.

Wahnsinn wiederholt sich leider, das lehrt uns die Weltgeschi­chte. Aggressore­n gehen locker über die Leichenber­ge des Gegners und treten den Friedenswi­llen brutal in den Schmutz. Aber sie blenden auch jeden Gedanken an den Blutzoll auf der eigenen Seite gewissenlo­s aus – und verbrämen ihn zynisch obendrein. Drei Monate nach dem Tod meines Onkels bei Charkow kam ein Brief an meine Großeltern, darin die Medaille für Verdienste bei der Winterschl­acht 41/42 im Osten. Mit deutschem Gruß. Da stockt einem das Blut – gerade in diesen Tagen.

Wenn Sie Anregungen zu Sprachthem­en haben, schreiben Sie! Schwäbisch­e Zeitung, Kulturreda­ktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg

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