Unterschiedlich infiziert
Der eine steckt sich ungeimpft mit der Alpha-Variante an, die andere geimpft mit Omikron
- Als sich der Leiter der Tettnanger Lokalredaktion mit der Alpha-Variante des Coronavirus infiziert, haben die Impfungen gerade erst begonnen. Ein knappes Jahr später infiziert sich seine Lindauer Kollegin geimpft mit Omikron. Was sich in der Zwischenzeit verändert hat.
Mark Hildebrandt, im Frühjahr 2021 mit Alpha infiziert
Mit dem Fieber kam die Angst. „Jetzt kannst du endlich mal eine Serie anschauen“, höre ich mich noch ganz am Anfang sagen. Das soll Optimismus versprühen. Simone hustet schon. Sie liegt im Schlafzimmer, ich bin vorerst ins Wohnzimmer gezogen. Es ist März 2021. Die Impfungen beginnen da gerade erst. Wir haben die „britische Variante“, Alpha. Als mein Husten beginnt, verstummt der von Simone bereits nicht mehr.
Später wird daraus ein heiseres, asthmatisches Dauerröhren. Wir gleiten beide in eine Art unruhige Traumwelt, die häufig durchbrochen wird von Hustenanfällen. Lunge, Hals und Kopf platzen, brennen. Die Gedanken reichen nur noch bis zum lindernden Schluck Wasser. In wacheren Momenten haben wir Kontakt mit Freunden, die sich rührend um uns kümmern. Sehen können wir uns nicht. Dass eine Einkaufstüte vor der Tür steht, erfahren wir per Whats-App. Wir fragen uns, wie wir solche Menschen um uns verdienen.
Dann steigt Simones Temperatur. Sie schluckt alles Mögliche gegen Fieber. Es hilft nicht. Und die Sauerstoffsättigung sinkt auch noch. Wir haben ein Pulsoxymeter, sie ist Krankenschwester. Gefühlt hätte ich schon längst den Krankenwagen gerufen. Doch erst jetzt sinkt die Sättigung auf die magische Grenze von 90 Prozent. „Ruf nicht an, bitte“, hustet Simone. Wir wissen: Solange man nicht in die Klinik muss, überlebt man höchstwahrscheinlich. Doch ist der Schritt einmal getan ... „Ruf nicht an, bitte.“Ich lege den Hörer weg.
Die Temperatur sinkt nach Stunden, die Sauerstoffsättigung steigt. Langsam. Auch wenn es ab da immer besser geht, es fühlt sich erst nicht danach an. Immer wieder schaut das Ordnungsamt vorbei, das Gesundheitsamt
ist da auch noch recht gut erreichbar. Im Vergleich zu heute ist die Inzidenz niedrig. Der CT-Wert bei den PCR-Tests wird besser, aber noch dürfen wir nicht raus. Der Husten ist ein gelegentlicher Reizhusten geworden. Wir sitzen beim Frühstück, Freunde haben uns frische Brötchen vor die Tür gestellt. Es ist nach Wochen einer der ersten Tage, an dem wir wieder Appetit haben.
Da kommt ein WhatsApp-Anruf. Ein Freund. Die Verbindung ist schlecht. „Ich habe Corona“, hören wir ihn bruchstückhaft sagen. Er liegt im Krankenhaus. Textnachrichten folgen. Die Häkchen, die auf Blau umspringen, wenn der Empfänger die Nachricht gesehen hat, bleiben bei ihm irgendwann grau. Wir hoffen mit der Familie. Die darf ihn nicht besuchen. Die künstliche Beatmung reicht am Ende nicht aus. Frau und Kinder sieht er nicht wieder. Als sie zu ihm dürfen, ist er bewusstlos. Er schafft es nicht.
Julia Baumann, im Januar 2022 geimpft mit Omikron infiziert Noch während die Freundin Anfang des Jahres bei uns auf dem Sofa sitzt, kommt die Nachricht: Ein positiver Corona-Fall in ihrer Sportgruppe. Zu diesem Zeitpunkt fühlen wir uns noch sicher, schließlich hatten wir vor unserem Treffen alle einen Schnelltest gemacht. Alle, das sind in dem Fall vier Leute. Einige Tage später ist klar: Wir haben uns alle mit Omikron angesteckt.
In zwei Jahren Pandemie hat sich vieles verändert, unser Umgang mit der Situation ist geradezu routiniert. Als die Freundin am nächsten Morgen anruft und erzählt, dass der Schnelltest, den sie zur Sicherheit noch einmal in einem Testzentrum hat machen lassen, positiv ist, sagen wir sofort alle Pläne für den Sonntag ab. Wir bleiben daheim und warten. Ohne so richtig zu wissen, worauf. Wir spielen Möglichkeiten durch. Vielleicht war unsere Freundin am Tag zuvor ja noch gar nicht infektiös. Und immerhin sind wir ja alle geimpft. Zwei von uns schon dreifach.
Wir müssten also nicht einmal mehr in Quarantäne, einen Anruf vom Gesundheitsamt bekommen wir nicht. Doch einfach weitermachen, als sei nichts gewesen, fühlt sich nicht richtig an. Nach einigen Tagen gehen wir zum Arzt und lassen einen PCR-Test machen. Denn mittlerweile ist auch die andere Freundin positiv, mein Freund hat erste, leichte Symptome. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns angesteckt haben, steigt. Und damit auch das mulmige Gefühl. Immerhin ist es Corona. Sofort kommt die Erinnerung an meinen Vater zurück, der im Frühjahr 2021 mit einer Corona-Infektion im Krankenhaus lag.
Der Besuch beim Arzt war eine gute Entscheidung. Weil er uns beruhigt und noch einmal bekräftigt, dass junge, gesunde und vor allem geimpfte Menschen sich vor einer Infektion mit der Omikron-Variante nicht fürchten müssen. Von meiner Booster-Impfung, die ich in derselben Woche bekommen hätte, rät er mir ab. Impfung und Infektion zur gleichen Zeit, das könnte zu viel werden für mein Immunsystem.
Am Ende sind wir beide positiv. Mein geboosterter Freund sogar ein paar Tage vor mir, bei mir schlägt erst ein zweiter PCR-Test an. Mein Freund bekommt etwas Schnupfen, ich fühle mich fit wie immer, arbeite ganz normal aus dem Homeoffice. Bis mir eines abends plötzlich schwindelig wird. Ich bekomme Kreislaufprobleme, zuerst wird mir sehr heiß, dann bibbere ich vor Kälte. Ich frage mich, ob das erst der Anfang ist. Prüfe, ob ich noch gut Luft bekomme. Immerhin ist es Corona.
In dieser Nacht schlafe ich kaum. Doch schon am nächsten Morgen ist der Spuk vorbei. Ich habe noch ein paar Tage leichte Halsschmerzen, dann ist es überstanden.
Wie die Pandemie ihr Leben verändert hat, berichten sieben Lindauer auf