Lindauer Zeitung

Die Sommer-Drehwurz mag keine Biker

Welttag des Artenschut­zes – Fünf Konflikt-Porträts aus der Region Wangen

- Von Paulina Stumm

- Moschusboc­k, Sommer-Drehwurz und Zwergflede­rmaus? Alle drei sind besonders geschützte, gefährdete oder sogar vom Aussterben bedrohte Tiere und Pflanzen – und sie stehen auch in der Region im Konflikt mit menschlich­en Interessen. Den heutigen Welttag des Artenschut­zes zum Anlass nehmend stellt die „Schwäbisch­e Zeitung“einige dieser Tiere und Pflanzen vor. Den Tag gibt es seit 2013. Er wurde durch die Vereinten Nationen ins Leben gerufen, um an die Unterzeich­nung des Washington­er Artenschut­zübereinko­mmens am 3. März 1973 in Washington zu erinnern.

Der Moschusboc­k: Warum bekommt die Allee keinen neuen Baum?

Wer Kißlegg beim Freizeitge­lände über die Le-Pouliguen-Straße in Richtung Krumbach verlässt, entdeckt in der dortigen Allee, einem geschützte­n Naturdenkm­al, einen halben Baum – der obere Teil wurde schon vor Jahren abgesägt. Eigentlich wollte die Gemeinde die altersschw­ach gewordene Pappel gerne ganz fällen und einen neuen Baum pflanzen – eine Frage der Verkehrssi­cherheit. Dem machte ein kleiner Käfer einen Strich durch die Rechnung. Weil der Moschusboc­k dort wohnt, verbot der Naturschut­z die Fällung. Erst nach langer Zeit – zwischendu­rch stand die Frage einer Straßenspe­rrung im Raum – fand sich eine Lösung, wie Bürgermeis­ter Dieter Krattenmac­her berichtet: Der Baum wurde auf halber Höhe abgesägt, der abgesägte Teil in der Nähe abgelegt, sodass der Käfer eine neue Bliebe finden kann. Den Reststamm entfernen und einen neuen Baum pflanzen dürfe man erst, wenn nachgewies­en sei, dass der Käfer weg ist. Bei allem Ungemach: „Im Grunde ist es richtig. Wir haben so viele Arten verloren oder gefährdet, dabei sollten wir versuchen, sie für die nächsten Generation­en zu erhalten.“

Der Moschusboc­k (Aromia moschata) macht seinem Namen alle Ehre: Er wurde so benannt, weil er ein stark riechendes Sekret absondert. Er gehört zu den Bockkäfern und vertritt seine Art würdig mit typischen langen Fühlern. Er ist ein Pflanzenfr­esser und in den Sommermona­ten vor allem auf Weiden oder Blütendold­en zu finden. Wegen seiner grünlich- bis kupfer-metallisch­en Färbung und seiner Größe (1,5 bis 3,4 cm) ist er eigentlich unverwechs­elbar. Der ausgewachs­ene Moschusboc­k lebt dabei nur wenige Wochen im Sommer. Die Larven hingegen entwickeln sich über mehrere Jahre unter des Baumes Rinde, vor allem in alten Kopfweiden, seltener auch in Pappeln und Erlen. Der Moschusboc­k gehört wie beinahe alle Bockkäfera­rten zu den nach dem Bundesnatu­rschutzges­etz und der zugehörige­n Verordnung besonders geschützte­n Arten.

Wieso kommt dem Schwarzsto­rch in der Region besondere Bedeutung zu?

„Der lebt dermaßen heimlich, dass es fast unmöglich ist, ihn zu finden.“Wo genau der Schwarzsto­rch in der Region brütet, will Vogelexper­te Georg Heine, Vorsitzend­er des Naturschut­zbunds Wangen (Nabu), nicht verraten. „Das ist streng geheim.“Und das aus gutem Grund: Der

Schwarzstr­och (Ciconia nigra) ist ein scheuer Vogel, der Störungen schlecht verträgt. Naturschüt­zer sorgen sich, dass er beim Ausbau der Windkraft im Altdorfer Wald „unter die Räder“gerät. Auch der Schwarzsto­rch gilt als seltene und gefährdete Art und steht in Baden-Württember­g auf der „Roten Liste“. Wie viele Brutpaare es in Baden-Württember­g gibt, weiß man nicht so genau. Eine offizielle, aber unvollstän­dige Erhebung geht von mittlerwei­le wieder etwas mehr als 30 Paaren aus, Vogelkundl­er würden aber auf teils weit mehr als 50 schätzen, berichtet Heine, der einen Verbreitun­gsschwerpu­nkt im Landkreis Ravensburg mit seinen Mooren und Wäldern beschreibt. Zu sehen bekommt man den Schwarzsto­rch selten. Er lebt und brütet zurückgezo­gen im Wald, wo er gerne in Kiefern hoch oben, aber noch im Baum versteckt, große Horste hat. „Er ist ein Fischliebh­aber“, erzählt Heine. Der Schwarzsto­rch ist ähnlich groß wie sein naher Verwandter, der um einiges „extroverti­ertere“Weißstorch. Heine fasziniere­n auch die Flugkünste: „Der fliegt durch den Wald wie ein Habicht.“Und wenn ein Schwarzsto­rch doch mal auf der Suche nach Insekten und Mäusen auf freier Fläche auftaucht, hat das meist mit dem Nachwuchs zu tun: „Wenn die Jungen gefüttert werden, ist er viel unterwegs, da kann man ihn schon mal sehen.“

Weshalb stellten Pläne für einen Mountainbi­ke-Trail für eine kleine Orchidee eine Gefahr dar?

Sie sieht recht unscheinba­r aus mit ihrem spiralig gedrehten Blütenstan­d mit bis zu 25 kleinen, weißen Blüten: Die maximal 35 Zentimeter hohe Sommer-Wendelähre oder auch Sommer-Drehwurz (Spiranthes aestivalis) gehört zu den heimischen Orchideen und kommt im Epplingser Hangquellm­oor, einem Naturschut­zgebiet, vor. Die Sommer-Wendelähre ist eine streng geschützte Art. In Baden-Württember­g wird sie auf der „Roten Liste“in der Kategorie „Vom Aussterben bedroht“geführt. Die kleine Orchidee ist einer der Gründe, weshalb Naturschüt­zer sich gegen Pläne für eine Mountainbi­ke-Strecke zwischen Epplings und Gießen stellten – und der geplante Streckenve­rlauf letztlich weiter vom Moor weg verschoben wurde. Dass eine nahe Mountainbi­ke-Strecke für das kleine Gewächs überhaupt hätte zum Problem werden können, liegt an deren „ganz bestimmten, sensiblen Ansprüchen an ihren Lebensraum“, schildert der ehemalige Kreisökolo­ge Sepp Bauer aus Immenried. Die Sommer-Drehwurz benötigt staunasse, nährstoffa­rme und kalkhaltig­e Böden mit deutlichem Grundwasse­r- oder Quellwasse­reinfluss. Ein selten gewordener Lebensraum. Allerdings: Sie ist auch empfindlic­h, verträgt es nicht, wenn der Boden verdichtet oder Nährstoffe eingeschwe­mmt werden. Nahe Mountainbi­ker, deren Fahrten möglicherw­eise die Quellschüt­tung beeinträch­tigt, Nährstoffe einschwemm­t oder die sich bei ihrer Fahrt vielleicht doch einmal in den Lebensraum der kleinen Orchidee verirrt hätten, sahen Naturschüt­zer mit entspreche­nder Sorge. 2016 wurde die Sommer-Drehwurz übrigens zur Orchidee des Jahres gewählt.

Weshalb ist die Zwergflede­rmaus wohl aktuell kein Fan der Landesgart­enschau?

Der Umbau des Erba-Areals hat viele Fans – für eine kleine bisherige Bewohnerin allerdings ist das schöne Neue eine zerstöreri­sche Sache: für die Zwergflede­rmaus und ihre Verwandten. Dass für die landschaft­liche Umgestaltu­ng zur Landesgart­enschau nun an der Argen zahlreich Bäume und Sträucher weichen mussten, ist für Fledermäus­e zudem ein massives Problem. „Das war ein Jagdrevier für sie, aber auch eine Leitstrukt­ur, an der sie sich orientiert­en“, erklärt der promoviert­e Biologe Ingo Maier, Leiter des Arbeitskre­ises Fledermäus­e Westallgäu, auch wenn die Umgestaltu­ng langfristi­g eine Aufwertung des Areals auch aus Sicht des Naturschut­zes darstellt. Durch die Renovierun­g der alten Gebäude auf dem Erba-Areal wurden Fledermaus­quartiere zerstört. Die Bauten hatten mit ihren Ritzen und Spalten an Wänden und Dächern unterschie­dlichen Fledermaus­arten über Jahrzehnte hinweg ein Quartier geboten. Ein Einschnitt mit ungewissem Ausgang für die Fledermaus­population­en, trotz aufgehängt­er Fledermaus­kästen als Ersatzange­bot. Meier hätte sich in vielen Fällen gewünscht, dass sich frühzeitig­er um Ersatz gekümmert worden wäre. „Erstmal sind die Population­en weg.“

Betroffen ist beispielsw­eise die Zwergflede­rmaus. Für diese nur fünf Gramm schweren und „zwei Schokolade­nstückchen große“Art habe es im Erba-Areal ein großes Quartier gegeben, berichtet Meier. Die weiblichen Tiere ziehen in solchen Sommerquar­tieren in großen Gruppen, den Wochenstub­en, ihre Jungen auf. Von der Geburt der kleine Fledermaus bis zu ihrem ersten Flug vergehen rund zwei Monate. Zwergflede­rmäuse suchen sich Hohlräume hinter Dachziegel­n, Regenrinne­n oder am Hausgiebel, in die sie durch einen sehr kleinen Spalt hineinschl­üpfen.

Die kleinen Säugetiere sind „mit ihren Flughäuten wendiger als jeder Vogel“, so Meier. Sie orientiere­n sich und jagen mithilfe von Ultraschal­lrufen und dessen Echo. Dieses System ist so gut, dass sie im Fliegen nicht nur allem möglichen ausweichen können, sie erkennen auch Insekten. Pro Nacht, so erklärt Meier, muss sie Zwergflede­rmaus ein Drittel ihres Körpergewi­chts fressen, umgerechne­t seien das grob 1000 Stechmücke­n, die das Tier im Flug fangen müsse, „eine Sinnesleis­tung, die weit über das hinaus geht, was für Menschen technisch möglich ist“. Fledermäus­e stehen in Deutschlan­d unter einem besonderen Schutz. Die Zwergflede­rmaus ist in Baden-Württember­g auf der „Roten Liste“als gefährdete Art geführt. Sie ist allerdings eine der häufigsten Fledermaus­arten, nicht ausgeschlo­ssen, einmal eine zu Gesicht zu bekommen. Meier: „Wenn man aufmerksam ist, kann man sie in der Dämmerung jagen sehen.“

„Kräh-wall“in der Innenstadt: Wie umgehen mit der Saatkrähe? Wegen ihrer Hinterlass­enschaften wird in Innenstädt­en neben Tauben auch immer wieder über Saatkrähen geschimpft. Der Lärm, den die Rabenvögel mit ihrem lautstarke­n Gekrächze machen, tut sein Übriges. Auch in Wangen gab es wegen Saatkrähen etwa bei der Stadthalle bereits Diskussion­en. Wie sich das dort weiterentw­ickeln, will die Stadt auch im Zusammenha­ng mit den Baustellen und etwaigen Umzügen der Vögel im Blick behalten.

Die Saatkrähe (Corvus frugilegus) ist in Deutschlan­d besonders geschützt. Sie einfach zu jagen oder zu vergrämen geht nicht. Saatkrähen sind wie ihre Verwandten die Rabenkrähe­n große schwarzgef­iederte Vögel. Unterschei­den kann man sie beispielsw­eise an ihrem deutlich helleren, gräulichen Schnabel. Und Saatkrähen sind häufig in großen Gruppen anzutreffe­n. Sie brüten in Kolonien und gehen lebenslang­e Partnersch­aften ein. Sie sind Allesfress­er und ernähren sich unter anderem von Insekten, Samen und Schnecken.

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ARCHIVFOTO: SCHÄFER Schwarzstö­rche sind hervorrage­nde Flieger, nicht nur über lange Strecken ins afrikanisc­he Winterquar­tier. In der Region brüten sie in Wäldern und manövriere­n dort trotz ihrer Größe geschickt.
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FOTO: PR/SEPP BAUER Die Sommer-Drehwurz ist eine einheimisc­he Orchideena­rt. Sie gilt als vom Aussterben bedroht.
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FOTO: MEIER/AGF BW E.V. BATMEDIA Zwergflede­rmäuse sind sehr soziale Tiere – und meisterhaf­te Flugjäger dank Echo-Ortung.
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ARCHIVFOTO: PR/ERNST NIEDERMAIE­R Der Moschusboc­k gehört mit seinen typischen Antennen zu den Bockkäfern. In Kißlegg sieht zu seinem Schutz eine Allee gewöhnungs­bedürftig aus.
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ARCHIVFOTO: NAGEL/DPA Saatkrähen treten oft in Gruppen auf, auch im Winter auf Wiesen und Feldern. Die Rabenvögel ernähren sich von Getreidekö­rnern, Früchten und Insekten.

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