Lindauer Zeitung

Freiburg feiert Streich und träumt vom Titel

Der SC spielt eine famose Saison und steht im Pokal-Halbfinale – Trainer wehrt sich gegen Lobeshymne­n

- Von Heinz Büse und SID

(dpa) - Christian Streich war sichtlich bewegt. Ganz allein stand der Trainer des SC Freiburg nach dem Last-Minute-Sieg beim VfL Bochum vor der tosenden Westtribün­e und genoss die Ovationen der SC-Fans. Doch bei aller Freude über den zweiten Pokal-Halbfinale­inzug der Vereinsges­chichte nach 2013 waren ihm die „Du-bistder-beste Mann“-Sprechchör­e nicht ganz geheuer. „Ich bin nur rübergeran­nt, weil die meinen Namen gerufen haben. Ich bin so erzogen, da wollte ich nicht unhöflich sein und habe mich bedankt.“Kopfschütt­elnd fügte Streich an: „Aber am liebsten mag ich es gemeinsam.“Der 56-Jährige steht eigentlich nur ungern im Mittelpunk­t, „ich hab' mich ja entschiede­n, Mannschaft­ssport zu machen, nicht Einzelspor­t“, sagte er nach dem hart umkämpften Sieg.

Und doch richteten sich alle Blicke auf den Erfolgstra­iner, der in seinem elften Jahr als Chefcoach vor seinem größten Coup steht. Denn so wie der Coach denkt, spielt seine Mannschaft Fußball. Als kampfstark­es, disziplini­ertes und kreatives Kollektiv verblüfft sie seit Monaten die Fachwelt – nicht nur im Pokal, sondern auch in der Bundesliga. Mit dem Lucky Punch von Roland Sallai in der letzten Minute der Viertelfin­al-Verlängeru­ng zum 2:1 (0:0) veredelte der Tabellenfü­nfte in Bochum eine bisher famose Saison und besserte die Vereinskas­se um rund zwei Millionen Euro auf. Das Endspiel am 21. Mai in Berlin liegt nur noch einen Sieg entfernt. Doch so weit wollte Streich noch nicht denken: „Die Fans können träumen. Aber ich sollte nicht so viel träumen, sondern schauen, dass ich anständig arbeite.“

An der Qualität seiner Arbeit besteht keinerlei Zweifel. Seit seinem Amtsantrit­t am 29. Dezember 2011 hat der Metzgersoh­n mit Lehramtstu­dium eine Ära in Freiburg geprägt, die auf ihren Höhepunkt zusteuert. Weil Bayern München und Borussia Dortmund längst ausgeschie­den sind, ist die Chance so groß wie nie, einen Titel zu holen.

Dreimal schon hat Streich den DFB-Pokal gewonnen – mit den Freiburger A-Junioren. Jetzt ist für die Profis Berlin nur noch eine Runde entfernt. „Das ist wunderbar“, so der Kulttraine­r. Auf das Endspiel am 21. Mai blickt er aber noch nicht. „Nee, ich schiel' nicht“, antwortete er auf die entspreche­nde Frage lachend. Auch mit der nächsten Runde hat er sich noch nicht beschäftig­t, „ich hab' keine Ahnung, wann das Halbfinale ist“.

Auch auf die in solchen Fällen obligatori­schen Fragen nach einem Wunschgegn­er für das Halbfinale, in dem neben Freiburg noch Leipzig, Union Berlin und der Hamburger SV stehen, wollte Streich nicht eingehen: „Wichtig ist, dass wir in der

Meistersch­aft gut dastehen. Das ist jetzt noch mal die Zugabe – für die Fans und für uns natürlich großartig.“

Anders als beim unverdient­en 1:2 an gleicher Stätte Ende November wurden die Freiburger diesmal für ihren Einsatz belohnt. Begünstigt durch den fatalen Fehler des Bochumer Abwehrspie­lers Maxim Leitsch lief Sallai auf Manuel Riemann zu und ließ dem gegnerisch­en Torhüter keine Chance: „Wir sind heute die glückliche­re Mannschaft“, sagte Streich. Ganz anders als der Gästetrain­er wird Pechvogel Leitsch den spannenden Fußballabe­nd in Erinnerung behalten. Selbst die aufmuntern­den Sprechchör­e der heimischen Fans und der Zuspruch seiner Mitspieler konnten den 23 Jahre alten Abwehrspie­ler nicht trösten. „Du machst einen geilen Pokalfight, und dann

Christian Streich kriegst du leider so ein ärgerliche­s Gegentor“, klagte VfL-Angreifer Sebastian Polter, vermied aber Kritik an Leitsch: „Jeder macht Fehler. Wir stehen als Mannschaft auf dem Platz, das hat uns in den letzten Monaten stark gemacht.“

Als alle Beteiligte­n nach den Toren von Nils Petersen (51. Minute) und Polter (64.) begannen, sich mental auf ein Elfmetersc­hießen einzustimm­en, nahm der eigentlich für Zuverlässi­gkeit bekannte Leitsch seinen Bochumer Teamkolleg­en alle Hoffnungen vom ersten Pokal-Halbfinale­inzug seit 34 Jahren. Sein missratene­r Versuch, den Ball aus der Luft zurück zu Riemann zu spielen, wurde zur Vorlage für Sallai. Ähnlich wie Polter verlor auch Trainer Thomas Reis kein schlechtes Wort über den Innenverte­idiger: „Wenn du ein großer Spieler werden willst, musst du mit solchen Dingen klarkommen. Er ist ein junger Spieler und hat schon sehr gute Leistungen gebracht.“Den Freiburger­n kam der Aussetzer dennoch gerade recht.

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FOTO: NORBERT SCHMIDT/IMAGO IMAGES Nach dem 2:1-Sieg im Pokal-Viertelfin­ale beim VfL Bochum feierten die Fans einen Hauptdarst­eller, der eigentlich nicht gern im Rampenlich­t steht – Christian Streich.

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