Kommt der Ausstieg vom Ausstieg?
Über Probleme und Chancen, die Atomkraftwerke im Süden länger zu betreiben
- Der Krieg in der Ukraine und die Sanktionen gegen Russland haben Deutschland vor Augen geführt, wie abhängig es von russischem Gas ist. Ohne dieses Gas könnte die Energieversorgung schon bald knapp werden. Das ruft wieder Möglichkeiten zur Energiegewinnung auf den Plan, die eigentlich schon ausgeschlossen wurden. Allen voran die Atomkraft, deren Ende 2011 in Deutschland gesetzlich besiegelt wurde. Gerade sind noch drei Atomkraftwerke (AKWs) in Betrieb, zwei davon im Süden: Isar 2 im bayerischen Niederaichbach und Neckarwestheim 2 zwischen Stuttgart und Heilbronn, dazu noch ein Kraftwerk im Emsland. Alle drei Anlagen sollen nach dem Atomgesetz Ende 2022 vom Netz.
Einige Politiker, vor allem der Union, setzen nun aber wieder auf den Ausstieg vom Ausstieg – wie Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). „Es müssen jetzt alle Optionen auf den Tisch“, sagte der CSU-Politiker nach einer Kabinettssitzung am Mittwoch in München. „Die Atomkraft kann helfen, die Versorgungssicherheit zu erreichen“, betonte Söder. „Dafür kann ich mir eine längere Nutzung der Atomenergie für einen begrenzten Zeitraum vorstellen“, sagte er.
Sein bayerischer Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) pflichtet ihm bei. Er sagte der „Augsburger Allgemeinen“am Freitag, neben einer möglichen Verlängerung der Laufzeit des letzten bayerischen Atomkraftwerks Isar 2 sei auch das Kernkraftwerk Gundremmingen bei Günzburg Teil der Überlegungen. Bayern prüfe, das zum Jahreswechsel abgeschaltete AKW, wieder in Betrieb zu nehmen. Aber kann man die Anlagen so einfach wieder hochfahren?
„Eine kurzfristige Wiederaufnahme ist nicht ohne Weiteres möglich, es gibt erhebliche Sicherheitsbedenken und das Personal fehlt“, sagt Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Immerhin hätten sich die Betreiber seit mehr als zehn Jahren auf den Ausstieg vorbereitet. Und weil Brennelemente in der Regel drei bis vier Jahre genutzt werden, sind in den AKW, die gerade abgeschaltet wurden, kaum frische Elemente eingesetzt. „Dafür müsste Uran importiert werden, was teilweise sogar aus Russland kommen würde. Das alles für sechs Prozent des Stroms, das macht keinen Sinn“, sagt Kemfert. Auch der Gundremminger Betreiber RWE hält eine Wiederaufnahme des Kraftwerks für unwahrscheinlich. „Gundremmingen hat seine Berechtigung zum Leistungsbetrieb bereits verloren“, sagt der Pressesprecher von RWE, Jan Peter Cirkel, auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“.
Bliebe die Option, die noch aktiven Kernkraftwerke in Bayern und Baden-Württemberg über das Jahr 2022 hinaus weiterhin zu betreiben. Doch auch hier sind die Betreiber skeptisch. „EnBW steht uneingeschränkt zum beschlossenen Ausstieg Deutschlands aus der Nutzung der Kernenergie für die Stromproduktion“, erklärt eine Sprecherin von
EnBW. Der Energiekonzern betreibt das noch aktive Kraftwerk in Neckarwestheim und war auch verantwortlich für die beiden anderen badenwürttembergischen AKWs in Philippsburg und in Obrigheim, die mittlerweile vom Netz gegangen sind.
Energieexpertin Claudia Kemfert hat zur Verlängerung der Atomenergie eine klare Meinung. „Ein Wiedereinstieg ist absolut nicht notwendig und sollte gelassen werden. Es handelt sich um eine reine Gespensterdebatte“, sagt sie. Doch sogar der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat den vorübergehenden Weiterbetrieb nicht ausgeschlossen. Kritik kommt aus den eigenen Reihen: Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) warnt vor einem Ausstieg vom Ausstieg, hält es aus Sicherheitsgründen sogar für nicht verantwortbar. „Die weltweite Sorge um die AKW-Sicherheit in der Ukraine führt uns allen gerade das potenzielle Schadenausmaß von Atomkraftwerken dramatisch vor Augen“, sagte sie am Freitag den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Rechtlich hat der Bundestag das letzte Wort. Dafür muss das Atomausstiegsgesetz geändert werden – und das ist kompliziert. So muss unter anderem geklärt werden, wer für den möglicherweise zusätzlich anfallenden Atommüll aufkommt. Ohne eine Lösung für die Endlagerfrage scheint eine Votum für eine Verlängerung aktuell eher unwahrscheinlich. Aber die Endlagersuche läuft. Auch im Südwesten gibt es potenzielle Standorte wie auf der Schwäbischen Alb oder im Alb-Donau-Kreis – aber die Endlager sind höchst umstritten in der Bevölkerung, schließlich will niemand Atommüll vor der eigenen Haustür.
Baden-Württembergs Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) spricht sich nicht für eine Verlängerung der Atomkraft aus, gibt aber zu, dass, „wir die Zeit nutzen müssen, um strategische Reserven aufzubauen für Notfälle. Alles wird auf den Prüfstand gestellt, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten“, erklärt die Ministerin. Dass es in Deutschland in den kommenden Monaten zu Problemen bei der Stromversorgung kommen könnte, verneint sie aber. Die Kohlespeicher der Kraftwerke seien gut gefüllt und Gaskraftwerke stünden weiterhin zur Verfügung.
Für Walker sind schnell alternative Möglichkeiten gefragt, um Energie zu gewinnen. „Das Gebot der Stunde ist, die Energiewende und den Ausbau der Erneuerbaren Energien massiv voranzutreiben“, sagt sie. Außerdem plane die Bundesregierung zwei LNG-Terminals an der Nordsee und in der Elbmündung, um Flüssiggas nutzen zu können. Das wird aber dauern. Die Debatte um eine Verlängerung der Atomkraft dürfte also noch nicht vom Tisch sein, zumal Nachbarländer wie Frankreich oder Polen auf Atomkraft setzen und sogar neue Anlagen bauen.
Gerade sieht es aber so aus, als ob Deutschland in den kommenden Jahren andere kurzfristige Lösungen braucht – ohne atomare Energiegewinnung. Doch Lösungen müssen schon bald präsentiert werden, um eine Knappheit der Energieversorgung zu vermeiden.