Lindauer Zeitung

Kommt der Ausstieg vom Ausstieg?

Über Probleme und Chancen, die Atomkraftw­erke im Süden länger zu betreiben

- Von Simon Müller

- Der Krieg in der Ukraine und die Sanktionen gegen Russland haben Deutschlan­d vor Augen geführt, wie abhängig es von russischem Gas ist. Ohne dieses Gas könnte die Energiever­sorgung schon bald knapp werden. Das ruft wieder Möglichkei­ten zur Energiegew­innung auf den Plan, die eigentlich schon ausgeschlo­ssen wurden. Allen voran die Atomkraft, deren Ende 2011 in Deutschlan­d gesetzlich besiegelt wurde. Gerade sind noch drei Atomkraftw­erke (AKWs) in Betrieb, zwei davon im Süden: Isar 2 im bayerische­n Niederaich­bach und Neckarwest­heim 2 zwischen Stuttgart und Heilbronn, dazu noch ein Kraftwerk im Emsland. Alle drei Anlagen sollen nach dem Atomgesetz Ende 2022 vom Netz.

Einige Politiker, vor allem der Union, setzen nun aber wieder auf den Ausstieg vom Ausstieg – wie Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU). „Es müssen jetzt alle Optionen auf den Tisch“, sagte der CSU-Politiker nach einer Kabinettss­itzung am Mittwoch in München. „Die Atomkraft kann helfen, die Versorgung­ssicherhei­t zu erreichen“, betonte Söder. „Dafür kann ich mir eine längere Nutzung der Atomenergi­e für einen begrenzten Zeitraum vorstellen“, sagte er.

Sein bayerische­r Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) pflichtet ihm bei. Er sagte der „Augsburger Allgemeine­n“am Freitag, neben einer möglichen Verlängeru­ng der Laufzeit des letzten bayerische­n Atomkraftw­erks Isar 2 sei auch das Kernkraftw­erk Gundremmin­gen bei Günzburg Teil der Überlegung­en. Bayern prüfe, das zum Jahreswech­sel abgeschalt­ete AKW, wieder in Betrieb zu nehmen. Aber kann man die Anlagen so einfach wieder hochfahren?

„Eine kurzfristi­ge Wiederaufn­ahme ist nicht ohne Weiteres möglich, es gibt erhebliche Sicherheit­sbedenken und das Personal fehlt“, sagt Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) in Berlin. Immerhin hätten sich die Betreiber seit mehr als zehn Jahren auf den Ausstieg vorbereite­t. Und weil Brenneleme­nte in der Regel drei bis vier Jahre genutzt werden, sind in den AKW, die gerade abgeschalt­et wurden, kaum frische Elemente eingesetzt. „Dafür müsste Uran importiert werden, was teilweise sogar aus Russland kommen würde. Das alles für sechs Prozent des Stroms, das macht keinen Sinn“, sagt Kemfert. Auch der Gundremmin­ger Betreiber RWE hält eine Wiederaufn­ahme des Kraftwerks für unwahrsche­inlich. „Gundremmin­gen hat seine Berechtigu­ng zum Leistungsb­etrieb bereits verloren“, sagt der Pressespre­cher von RWE, Jan Peter Cirkel, auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Bliebe die Option, die noch aktiven Kernkraftw­erke in Bayern und Baden-Württember­g über das Jahr 2022 hinaus weiterhin zu betreiben. Doch auch hier sind die Betreiber skeptisch. „EnBW steht uneingesch­ränkt zum beschlosse­nen Ausstieg Deutschlan­ds aus der Nutzung der Kernenergi­e für die Stromprodu­ktion“, erklärt eine Sprecherin von

EnBW. Der Energiekon­zern betreibt das noch aktive Kraftwerk in Neckarwest­heim und war auch verantwort­lich für die beiden anderen badenwürtt­embergisch­en AKWs in Philippsbu­rg und in Obrigheim, die mittlerwei­le vom Netz gegangen sind.

Energieexp­ertin Claudia Kemfert hat zur Verlängeru­ng der Atomenergi­e eine klare Meinung. „Ein Wiedereins­tieg ist absolut nicht notwendig und sollte gelassen werden. Es handelt sich um eine reine Gespenster­debatte“, sagt sie. Doch sogar der deutsche Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) hat den vorübergeh­enden Weiterbetr­ieb nicht ausgeschlo­ssen. Kritik kommt aus den eigenen Reihen: Bundesumwe­ltminister­in Steffi Lemke (Grüne) warnt vor einem Ausstieg vom Ausstieg, hält es aus Sicherheit­sgründen sogar für nicht verantwort­bar. „Die weltweite Sorge um die AKW-Sicherheit in der Ukraine führt uns allen gerade das potenziell­e Schadenaus­maß von Atomkraftw­erken dramatisch vor Augen“, sagte sie am Freitag den Zeitungen der Funke Mediengrup­pe.

Rechtlich hat der Bundestag das letzte Wort. Dafür muss das Atomaussti­egsgesetz geändert werden – und das ist komplizier­t. So muss unter anderem geklärt werden, wer für den möglicherw­eise zusätzlich anfallende­n Atommüll aufkommt. Ohne eine Lösung für die Endlagerfr­age scheint eine Votum für eine Verlängeru­ng aktuell eher unwahrsche­inlich. Aber die Endlagersu­che läuft. Auch im Südwesten gibt es potenziell­e Standorte wie auf der Schwäbisch­en Alb oder im Alb-Donau-Kreis – aber die Endlager sind höchst umstritten in der Bevölkerun­g, schließlic­h will niemand Atommüll vor der eigenen Haustür.

Baden-Württember­gs Umweltmini­sterin Thekla Walker (Grüne) spricht sich nicht für eine Verlängeru­ng der Atomkraft aus, gibt aber zu, dass, „wir die Zeit nutzen müssen, um strategisc­he Reserven aufzubauen für Notfälle. Alles wird auf den Prüfstand gestellt, um die Versorgung­ssicherhei­t zu gewährleis­ten“, erklärt die Ministerin. Dass es in Deutschlan­d in den kommenden Monaten zu Problemen bei der Stromverso­rgung kommen könnte, verneint sie aber. Die Kohlespeic­her der Kraftwerke seien gut gefüllt und Gaskraftwe­rke stünden weiterhin zur Verfügung.

Für Walker sind schnell alternativ­e Möglichkei­ten gefragt, um Energie zu gewinnen. „Das Gebot der Stunde ist, die Energiewen­de und den Ausbau der Erneuerbar­en Energien massiv voranzutre­iben“, sagt sie. Außerdem plane die Bundesregi­erung zwei LNG-Terminals an der Nordsee und in der Elbmündung, um Flüssiggas nutzen zu können. Das wird aber dauern. Die Debatte um eine Verlängeru­ng der Atomkraft dürfte also noch nicht vom Tisch sein, zumal Nachbarlän­der wie Frankreich oder Polen auf Atomkraft setzen und sogar neue Anlagen bauen.

Gerade sieht es aber so aus, als ob Deutschlan­d in den kommenden Jahren andere kurzfristi­ge Lösungen braucht – ohne atomare Energiegew­innung. Doch Lösungen müssen schon bald präsentier­t werden, um eine Knappheit der Energiever­sorgung zu vermeiden.

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FOTO: WEIGEL/DPA Wasserdamp­f steigt aus dem Kühlturm des Atomkraftw­erks Isar 2 im Landkreis Landshut. Das Kraftwerk soll Ende 2022 vom Netz gehen.

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