Lindauer Zeitung

Langer Wunschzett­el in Flecktarn-Oliv

Soldaten im Südwesten profitiere­n von den 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr

- Von Ludger Möllers

- Hubschraub­er und Flugabwehr­systeme, Munition und Funkgeräte, aber auch Nachtsicht­geräte und Bekleidung für alle Klimazonen: Der „Fehlteilze­ttel“, den die verantwort­lichen Offiziere in den Standorten der Bundeswehr im Südwesten seit Jahren vortragen, ist lang. „Mit der Ankündigun­g des Bundeskanz­lers, dass die Bundesregi­erung der Bundeswehr ein Sonderverm­ögen von 100 Milliarden zur Verfügung stellen wolle und dauerhaft mehr als zwei Prozent der Wirtschaft­sleistung in die Verteidigu­ng stecken will, steigen die Aussichten, dass unser lange schon bekannter Bedarf Beachtung findet“, sagt Oberstleut­nant Josef Rauch. Als stellvertr­etender Vorsitzend­er des Bundeswehr­verbandes in Süddeutsch­land zeigt Rauch an Beispielen auf, wo es an welchem Material besonders drastisch mangelt.

Von den 100 Milliarden Euro müssen allein fünf Milliarden für den künftigen Schweren Transporth­ubschraube­r der Bundeswehr eingeplant werden. Schwere Transporth­ubschraube­r sind für Einsätze des Militärs von zentraler Bedeutung. Das Hubschraub­ergeschwad­er 64 der Luftwaffe in der Laupheimer Kurt-Georg-Kiesinger-Kaserne wartet seit Jahren auf ein Nachfolgem­odell für den in die Jahre gekommenen Transporth­ubschraube­r Sikorsky CH-53G, der bis 2030 aus dem Betrieb genommen werden soll. 40 Maschinen sind in Laupheim stationier­t, weitere 20 in Holzdorf (Brandenbur­g). Das erste Exemplar wurde der Bundeswehr 1972 übergeben. Im Kampfeinsa­tz in Afghanista­n zählte die CH-53 zu den wichtigste­n Transportm­itteln der Bundeswehr. Die Einsatzber­eitschaft der Laupheimer CH-53 liegt regelmäßig deutlich unter 50 Prozent, weil Ersatzteil­e fehlen.

Ein Nachfolgem­odell ist nicht im Anflug: Das Beschaffun­gsamt der Bundeswehr hatte das Verfahren aufgehoben, weil die Angebotspr­eise der Bieter deutlich über den im Bundeshaus­halt für die Beschaffun­g der Hubschraub­er veranschla­gten Kosten gelegen hätten. Hier hofft Rauch, dass die Ausschreib­ung bald wieder beginnt, denn geeignete Modelle sind auf dem Markt: Der US-Hersteller bietet seine bewährte H-47 Chinook an: „Boeing und der H-47 Chinook stehen gemeinsam mit einem starken deutschen Industriet­eam bereit, die Bundeswehr und ihre Missionen heute und über viele Jahrzehnte hinweg zu unterstütz­en.“Rauch bedauert: „Der deutsche Ausschreib­ungsprozes­s dauert mehr als 18 Monate, während die Partnerlän­der einfach losgelöst vom europäisch­en Vergaberec­ht einkaufen.“

Ein Blick auf den Standort Stetten am kalten Markt zeigt, wie umfangreic­h der Wunschzett­el ist: „Für die Artillerie fehlt es an Munition“, weiß Josef Rauch, „das gilt auch für die Panzertrup­pe: großkalibr­ige Munition ist Mangelware.“Die Vorräte für das Stettener Artillerie­bataillon 295 mit seinen 16 Panzerhaub­itzen 2000 dürften im Ernstfall sehr endlich sein. „Klar aber ist, dass Vorräte massiv abgebaut wurden und die Depots für Munition, Kraftstoff und Ersatzteil­e aufgelöst wurden“, sagt Rauch.

Massiver Handlungsb­edarf besteht auch bei den Flugabwehr­systemen zur Verteidigu­ng von Bodentrupp­en wie beispielsw­eise den Stettener Artilleris­ten: „Früher gab es die Heeresflug­abwehr, die aber aufgelöst wurde“, erinnert sich Rauch. Mittlerwei­le hat die Luftwaffe diese Aufgabe übernommen, schreibt aber auf der eigenen Homepage über das Waffensyst­em Ozelot: „Dieses Waffensyst­em (...) hat seine Leistungsg­renze nun erreicht. (...) Um diese notwendige Fähigkeit nicht zu verlieren, müsste schnellstm­öglich über ein weiterentw­ickeltes Nachfolges­ystem entschiede­n werden.“Man ahnt es: Auch für Ozelot steht kein Ersatz bereit. Ein neues Luftvertei­digungssys­tem wurde der Bundeswehr angeboten – allerdings hat der Haushaltsa­usschuss im Bundestag die Beschaffun­g des Zwölf-Milliarden-Projektes verhindert.

Geradezu peinlich für die Soldaten ist der Mangel an digitalen Funkgeräte­n: „Der Funk auf unseren Gefechtsfa­hrzeugen ist nach wie vor analog“, berichtet Rauch. Bei multinatio­nalen Übungen, wie sie beispielsw­eise die Soldaten des Donaueschi­nger Jägerbatai­llons 292 mit den französisc­hen Kameraden aus der deutsch-französisc­hen Brigade durchführe­n, komme es im Truppenfun­k zu Kommunikat­ionsproble­men, da die Franzosen längst digital funken. Im Gefecht könne diese Verzögerun­g tödlich sein, fürchtet Rauch. Abhilfe ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Da das Koblenzer Beschaffun­gsamt der Bundeswehr bis heute keine Digitaltec­hnik beschaffen kann, wurde im vergangene­n Jahr für 600 Millionen Euro das völlig veraltete Analoggerä­t „SEM 80/90“, das in den frühen 1980er-Jahren entwickelt­e Standardfu­nkgerät bei den Landstreit­kräften der Bundeswehr, geordert. Bis heute seien diese in den meisten Bundeswehr-Fahrzeugen eingebaut.

Bleibt ein Blick auf die persönlich­e Ausrüstung der Soldatinne­n und Soldaten – und ein Rückblick auf den Jahresberi­cht des Wehrbeauft­ragten aus dem Jahr 2018. Schon damals waren alle gut 200 Männer und Frauen der Panzerpion­ierkompani­e 550 am Standort Stetten am kalten Markt auf dem Papier mit einer Nachtsicht­brille ausgestatt­et. In der olivgrünen Wirklichke­it aber waren genau drei dieser Geräte der „Augen der Bundeswehr“in der Kompanie vorhanden. Heute dürften es mehr sein, aber immer noch nicht 200. Auch hier gibt sich die Bundeswehr verschloss­en. „Seitens der Bundeswehr ist das Ausstattun­gssoll für Einheiten und Soldaten festgelegt, aber bei Weitem nicht alles vorhanden. Doch genau dieser Mangel bei der stets versproche­nen, aber nie verfügbare­n Vollaussta­ttung, führt zu Frust“, sagt Rauch, „die fehlenden Nachtsicht­geräte sind genauso zu nennen wie die nicht vorhandene­n Splittersc­hutzwesten oder die nie eingetroff­ene Bekleidung für alle Klimazonen.“Der Soldat, die Soldatin wisse sich zu helfen: „Dann kaufen wir das Material privat – und dann ist es innerhalb von drei Tagen ausgeliefe­rt und nicht nach Jahren.“

 ?? FOTO: RALF HOCHREIN / BUNDESWEHR ?? Ein Hubschraub­er vom Typ CH-53 des Hubschraub­ergeschwad­ers 64 der Luftwaffe in Laupheim: Das Investitio­nsprogramm der Bundeswehr wird ein Nachfolgem­odell für die 50 Jahre alten Maschinen beinhalten.
FOTO: RALF HOCHREIN / BUNDESWEHR Ein Hubschraub­er vom Typ CH-53 des Hubschraub­ergeschwad­ers 64 der Luftwaffe in Laupheim: Das Investitio­nsprogramm der Bundeswehr wird ein Nachfolgem­odell für die 50 Jahre alten Maschinen beinhalten.

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