Der Roboter macht das schon
Immer mehr Maschinen übernehmen menschliche Tätigkeiten – Wie sich die Arbeitswelt im Südwesten verändert
- Schaut man in der Backstube vorbei, backt nicht der Bäcker das Frühstücksbrot, sondern pünktlich in der Nacht knetet eine Maschine Mehl, Eier und Milch zu einem Teig. Vollautomatisch spuckt eine andere Maschine den Teig gleichförmig auf ein Blech, das dann ganz von alleine in den Ofen wandert. Der Bäcker muss nicht mehr mitten in der Nacht seinen Arbeitstag beginnen, sondern kann morgens die fertigen Brötchen in Empfang nehmen.
Geht es nach Britta Matthes, ist das kein Science-Fiction-Szenario, sondern schon heute möglich. „Es gibt Berufe, innerhalb derer die Tätigkeiten fast vollständig automatisiert werden können“, sagt sie. Britta Matthes ist Wissenschaftlerin am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg und analysiert als Leiterin der Forschungsgruppe „Berufe in der Transformation“seit einigen Jahren, wie sich Berufe verändern.
Dabei erforscht sie die sogenannten Substituierbarkeitspotenziale von Berufen. „Damit ist der Anteil der Tätigkeiten gemeint, die schon heute von Maschinen erledigt werden könnten“, erklärt sie. Laut der aktuellsten Studie des IAB von 2021 arbeiteten 2019 in Deutschland 11,34 Millionen Menschen in einem Beruf, der zum Großteil potenziell schon von Computern oder Robotern erledigt werden könnte. Schaut man nur auf den Südwesten, wird es noch deutlicher, „denn Baden-Württemberg als Industriestandort ist definitiv eines der am höchsten von Substituierbarkeit betroffenen Bundesländer“, sagt Matthes. Hierzulande erhöhte sich der Anteil der Beschäftigten, die in Berufen mit hohem Potenzial an Substituierbarkeit arbeiten, von 27,9 Prozent im Jahr 2016 auf 36,8 Prozent 2019. Ein rasanter Anstieg – der heute noch höher ausfallen dürfte.
Aber welche Arbeit ist davon betroffen? „In den Fertigungsberufen ist das Potenzial, Tätigkeiten zu automatisieren, am höchsten“, erklärt Britta Matthes. Laut IAB-Studie hätten im Südwesten 2019 schon 85 Prozent der Tätigkeiten in Fertigungsberufen durch automatisierte Prozesse ersetzt werden können. Der Zerspanungsmechaniker in der Fabrik, der Schweißer im Metallwerk oder auch der Milchtechnologe in der Molkerei – die meisten ihrer beruflichen Tätigkeiten könnten von einem digitalen Zwilling übernommen werden. Aber auch bei administrativen Berufen lassen sich immer mehr Tätigkeiten digitalisieren. Bei klassischen Bürojobs im Sekretariat, im Steuerberaterbüro oder der Buchhaltung „ist durch Künstliche Intelligenz viel möglich. Teilweise könnten Computerprogramme die menschliche Arbeit hier vollständig ersetzen“, erklärt Matthes.
Egal ob im Reisebüro, der Automobilindustrie oder in der Logistik – genutzt werden automatisierte Prozesse
schon jetzt beinahe überall. „Wir haben einen demografischen Wandel und werden viele Erwerbstätige in den kommenden Jahren verlieren. Zusätzlich haben wir in vielen Bereichen auch einen massiven Fachkräftemangel – der Einsatz von Maschinen könnte da in vielen Bereichen eine große Hilfe sein“, erklärt Britta Matthes. Durch automatisierte Prozesse könne man Arbeitskräfte einsparen und langfristig Zeit und Kosten senken. „Man hat einen Effektivitätsgewinn und kann Kundenbedürfnisse besser befriedigen“, sagt sie.
Das sieht auch der Vetriebsleiter des Industrieanlagenherstellers SHL AG, Thomas Magnussen, so: „In den vergangenen Jahren hat die Varianz und Flexibilität der Produkte zugenommen.“Das Unternehmen aus Böttingen bei Spaichingen ist spezialisiert auf automatisierte Prozesse im Bereich Schleifen, Polieren und Entgraten.
SHL produziert kundenspezifisch vollautomatisierte Anlagen. „Unsere Kunden kommen aus vielen Bereichen: Metall-, Holz-, Kunststoffoder auch Glasindustrie“, sagt Magnussen. Oft ersetzen die Maschinen dabei die „dirty jobs“– also die harten Tätigkeiten: Metallnieten manuell verschweißen, Kunststoffkisten mit der Hand entgraten oder raue Eisenoberflächen händisch polieren. „Wenn automatisierte Prozesse 80 Prozent der groben, monotonen Vorarbeit abnehmen, dann wird es für den Menschen angenehmer“, sagt Magnussen.
Das Unternehmen spüre anhand der Auftragslage, dass die Nachfrage nach automatisierten Prozessen bei vielen Unternehmen steige. „Gerade für die schweren Arbeiten ist kein Personal mehr auf dem Markt. Um zu überleben, müssen Betriebe teils auf Roboter setzen“, sagt Magnussen.
Ähnlich sieht das auch Patrick Heimburger. Er ist Gründer und Geschäftsführer der Firma fruitcore robotics in Konstanz, die den digitalen Roboter „Horst“entwickelt hat, um Prozesse zu automatisieren. Er sieht im Fachkräftemangel eine große Herausforderung. „Unser Roboter legt bei einer Anwendung beispielsweise Hunderttausende Teile pro Jahr in eine Maschine. Wer will so was heute bitte noch manuell machen?“, sagt Heimburger. Für Unternehmen steige die Produktivität und Qualität der Produkte, wenn der zuverlässigere Roboter die Tätigkeit übernimmt.
Dabei kann der Roboter auch viele unterschiedliche Prozesse automatisieren, denn „Horst“ist ein Roboterarm, der beispielsweise Metalllöcher lasern oder Pakete in Lagerhallen greifen kann. Vor allem in der Medizintechnik und der Metallverarbeitung ist „Horst“äußerst beliebt.
„Digitale Roboter sind nicht mehr für einen Expertenkreis, sondern für jedermann bedienbar wie ein Smartphone“, erklärt Heimburger. Dadurch werde die Arbeit einfacher und attraktiver.
Ist die Angst begründet, dass Maschinen uns bald die Berufe wegnehmen? Für Britta Matthes sind vollständig automatisierte Prozesse eine Illusion. „Die Zahl der benötigten Arbeitskräfte und -plätze wird in den kommenden Jahren sinken, aber die Zahl der Erwerbstätigen ebenso“, sagt die Wissenschaftlerin vom IAB. Es sei ein Horrorszenario zu glauben, dass durch Maschinen die große Arbeitslosigkeit ausbreche. „Das wird nicht passieren. Wir kommen nicht ohne Menschen in den Fabriken aus“, betont sie. Was sich aber ändern wird, sind die Tätigkeiten in vielen Berufen. Denn sie werden deutlich digitaler und nur im Zusammenspiel mit den Maschinen ablaufen. Außerdem werden in einer digitalisierten Arbeitswelt ständig neue Herausforderungen warten. „Man wird mit dem Abschluss einer Ausbildung nicht für die nächsten 40 Jahre ausgelernt sein“, erklärt Matthes.
Kai Burmeister, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Baden-Württemberg, stimmt dem zu: „Ständige Qualifizierung und Weiterbildung wird die neue Normalität werden.“In einer digitalisierten Arbeitswelt gehöre Weiterbildung zu einem neuen Bestandteil der Arbeitswoche. „Aber ich will keine Digitalisierung, die die Älteren aussortiert“, sagt Burmeister. Mit vertraglich festgesetzten Weiterbildungsangeboten wären ältere Beschäftigte davor geschützt, aufs Abstellgleis gestellt zu werden. „Wir müssen alle mitnehmen.“
Deswegen fordert er die Unternehmen dazu auf, eine Art präventiven Digitalisierungscheck durchzuführen. „Eine Bestandsaufnahme, welche Kompetenzen sich ins Digitale verlagern“, sagt Burmeister. Dann müsse man schauen, wie sich die Jobs entwickeln, und gegebenenfalls Weiterbildungsmaßnahmen einleiten. „Immer mit dem Ziel, dass alle an Bord bleiben“, betont er.
Wie Wissenschaftlerin Matthes hält es auch Burmeister für ein aufgebauschtes Schreckensszenario, dass die Automatisierung Millionen Jobs kosten könnte. „Die Arbeit wird sich verändern, aber sie geht nicht aus“, sagt Burmeister. Ihm wird bei der Vorstellung von vollautomatisierten Prozessen nicht angst und bange. Im Gegenteil: Wenn Betriebsräte einbezogen sind und Tarifverträge gelten, sieht Burmeister – wie viele andere auch – in der Digitalisierung der Arbeitswelt eine große Chance.
Eine, die Berufe wie den des Bäckers attraktiver machen kann, wenn er nicht mehr mitten in der Nacht mit seiner Arbeit beginnen muss. Aber auch eine Chance, die garantiert, dass es auch weiterhin frische Backwaren gibt – dank gemeinsamer Arbeit von Mensch und Maschine.