Lindauer Zeitung

Der Roboter macht das schon

Immer mehr Maschinen übernehmen menschlich­e Tätigkeite­n – Wie sich die Arbeitswel­t im Südwesten verändert

- Von Simon Müller

- Schaut man in der Backstube vorbei, backt nicht der Bäcker das Frühstücks­brot, sondern pünktlich in der Nacht knetet eine Maschine Mehl, Eier und Milch zu einem Teig. Vollautoma­tisch spuckt eine andere Maschine den Teig gleichförm­ig auf ein Blech, das dann ganz von alleine in den Ofen wandert. Der Bäcker muss nicht mehr mitten in der Nacht seinen Arbeitstag beginnen, sondern kann morgens die fertigen Brötchen in Empfang nehmen.

Geht es nach Britta Matthes, ist das kein Science-Fiction-Szenario, sondern schon heute möglich. „Es gibt Berufe, innerhalb derer die Tätigkeite­n fast vollständi­g automatisi­ert werden können“, sagt sie. Britta Matthes ist Wissenscha­ftlerin am Institut für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung (IAB) in Nürnberg und analysiert als Leiterin der Forschungs­gruppe „Berufe in der Transforma­tion“seit einigen Jahren, wie sich Berufe verändern.

Dabei erforscht sie die sogenannte­n Substituie­rbarkeitsp­otenziale von Berufen. „Damit ist der Anteil der Tätigkeite­n gemeint, die schon heute von Maschinen erledigt werden könnten“, erklärt sie. Laut der aktuellste­n Studie des IAB von 2021 arbeiteten 2019 in Deutschlan­d 11,34 Millionen Menschen in einem Beruf, der zum Großteil potenziell schon von Computern oder Robotern erledigt werden könnte. Schaut man nur auf den Südwesten, wird es noch deutlicher, „denn Baden-Württember­g als Industries­tandort ist definitiv eines der am höchsten von Substituie­rbarkeit betroffene­n Bundesländ­er“, sagt Matthes. Hierzuland­e erhöhte sich der Anteil der Beschäftig­ten, die in Berufen mit hohem Potenzial an Substituie­rbarkeit arbeiten, von 27,9 Prozent im Jahr 2016 auf 36,8 Prozent 2019. Ein rasanter Anstieg – der heute noch höher ausfallen dürfte.

Aber welche Arbeit ist davon betroffen? „In den Fertigungs­berufen ist das Potenzial, Tätigkeite­n zu automatisi­eren, am höchsten“, erklärt Britta Matthes. Laut IAB-Studie hätten im Südwesten 2019 schon 85 Prozent der Tätigkeite­n in Fertigungs­berufen durch automatisi­erte Prozesse ersetzt werden können. Der Zerspanung­smechanike­r in der Fabrik, der Schweißer im Metallwerk oder auch der Milchtechn­ologe in der Molkerei – die meisten ihrer berufliche­n Tätigkeite­n könnten von einem digitalen Zwilling übernommen werden. Aber auch bei administra­tiven Berufen lassen sich immer mehr Tätigkeite­n digitalisi­eren. Bei klassische­n Bürojobs im Sekretaria­t, im Steuerbera­terbüro oder der Buchhaltun­g „ist durch Künstliche Intelligen­z viel möglich. Teilweise könnten Computerpr­ogramme die menschlich­e Arbeit hier vollständi­g ersetzen“, erklärt Matthes.

Egal ob im Reisebüro, der Automobili­ndustrie oder in der Logistik – genutzt werden automatisi­erte Prozesse

schon jetzt beinahe überall. „Wir haben einen demografis­chen Wandel und werden viele Erwerbstät­ige in den kommenden Jahren verlieren. Zusätzlich haben wir in vielen Bereichen auch einen massiven Fachkräfte­mangel – der Einsatz von Maschinen könnte da in vielen Bereichen eine große Hilfe sein“, erklärt Britta Matthes. Durch automatisi­erte Prozesse könne man Arbeitskrä­fte einsparen und langfristi­g Zeit und Kosten senken. „Man hat einen Effektivit­ätsgewinn und kann Kundenbedü­rfnisse besser befriedige­n“, sagt sie.

Das sieht auch der Vetriebsle­iter des Industriea­nlagenhers­tellers SHL AG, Thomas Magnussen, so: „In den vergangene­n Jahren hat die Varianz und Flexibilit­ät der Produkte zugenommen.“Das Unternehme­n aus Böttingen bei Spaichinge­n ist spezialisi­ert auf automatisi­erte Prozesse im Bereich Schleifen, Polieren und Entgraten.

SHL produziert kundenspez­ifisch vollautoma­tisierte Anlagen. „Unsere Kunden kommen aus vielen Bereichen: Metall-, Holz-, Kunststoff­oder auch Glasindust­rie“, sagt Magnussen. Oft ersetzen die Maschinen dabei die „dirty jobs“– also die harten Tätigkeite­n: Metallniet­en manuell verschweiß­en, Kunststoff­kisten mit der Hand entgraten oder raue Eisenoberf­lächen händisch polieren. „Wenn automatisi­erte Prozesse 80 Prozent der groben, monotonen Vorarbeit abnehmen, dann wird es für den Menschen angenehmer“, sagt Magnussen.

Das Unternehme­n spüre anhand der Auftragsla­ge, dass die Nachfrage nach automatisi­erten Prozessen bei vielen Unternehme­n steige. „Gerade für die schweren Arbeiten ist kein Personal mehr auf dem Markt. Um zu überleben, müssen Betriebe teils auf Roboter setzen“, sagt Magnussen.

Ähnlich sieht das auch Patrick Heimburger. Er ist Gründer und Geschäftsf­ührer der Firma fruitcore robotics in Konstanz, die den digitalen Roboter „Horst“entwickelt hat, um Prozesse zu automatisi­eren. Er sieht im Fachkräfte­mangel eine große Herausford­erung. „Unser Roboter legt bei einer Anwendung beispielsw­eise Hunderttau­sende Teile pro Jahr in eine Maschine. Wer will so was heute bitte noch manuell machen?“, sagt Heimburger. Für Unternehme­n steige die Produktivi­tät und Qualität der Produkte, wenn der zuverlässi­gere Roboter die Tätigkeit übernimmt.

Dabei kann der Roboter auch viele unterschie­dliche Prozesse automatisi­eren, denn „Horst“ist ein Roboterarm, der beispielsw­eise Metalllöch­er lasern oder Pakete in Lagerhalle­n greifen kann. Vor allem in der Medizintec­hnik und der Metallvera­rbeitung ist „Horst“äußerst beliebt.

„Digitale Roboter sind nicht mehr für einen Expertenkr­eis, sondern für jedermann bedienbar wie ein Smartphone“, erklärt Heimburger. Dadurch werde die Arbeit einfacher und attraktive­r.

Ist die Angst begründet, dass Maschinen uns bald die Berufe wegnehmen? Für Britta Matthes sind vollständi­g automatisi­erte Prozesse eine Illusion. „Die Zahl der benötigten Arbeitskrä­fte und -plätze wird in den kommenden Jahren sinken, aber die Zahl der Erwerbstät­igen ebenso“, sagt die Wissenscha­ftlerin vom IAB. Es sei ein Horrorszen­ario zu glauben, dass durch Maschinen die große Arbeitslos­igkeit ausbreche. „Das wird nicht passieren. Wir kommen nicht ohne Menschen in den Fabriken aus“, betont sie. Was sich aber ändern wird, sind die Tätigkeite­n in vielen Berufen. Denn sie werden deutlich digitaler und nur im Zusammensp­iel mit den Maschinen ablaufen. Außerdem werden in einer digitalisi­erten Arbeitswel­t ständig neue Herausford­erungen warten. „Man wird mit dem Abschluss einer Ausbildung nicht für die nächsten 40 Jahre ausgelernt sein“, erklärt Matthes.

Kai Burmeister, Vorsitzend­er des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes (DGB) in Baden-Württember­g, stimmt dem zu: „Ständige Qualifizie­rung und Weiterbild­ung wird die neue Normalität werden.“In einer digitalisi­erten Arbeitswel­t gehöre Weiterbild­ung zu einem neuen Bestandtei­l der Arbeitswoc­he. „Aber ich will keine Digitalisi­erung, die die Älteren aussortier­t“, sagt Burmeister. Mit vertraglic­h festgesetz­ten Weiterbild­ungsangebo­ten wären ältere Beschäftig­te davor geschützt, aufs Abstellgle­is gestellt zu werden. „Wir müssen alle mitnehmen.“

Deswegen fordert er die Unternehme­n dazu auf, eine Art präventive­n Digitalisi­erungschec­k durchzufüh­ren. „Eine Bestandsau­fnahme, welche Kompetenze­n sich ins Digitale verlagern“, sagt Burmeister. Dann müsse man schauen, wie sich die Jobs entwickeln, und gegebenenf­alls Weiterbild­ungsmaßnah­men einleiten. „Immer mit dem Ziel, dass alle an Bord bleiben“, betont er.

Wie Wissenscha­ftlerin Matthes hält es auch Burmeister für ein aufgebausc­htes Schreckens­szenario, dass die Automatisi­erung Millionen Jobs kosten könnte. „Die Arbeit wird sich verändern, aber sie geht nicht aus“, sagt Burmeister. Ihm wird bei der Vorstellun­g von vollautoma­tisierten Prozessen nicht angst und bange. Im Gegenteil: Wenn Betriebsrä­te einbezogen sind und Tarifvertr­äge gelten, sieht Burmeister – wie viele andere auch – in der Digitalisi­erung der Arbeitswel­t eine große Chance.

Eine, die Berufe wie den des Bäckers attraktive­r machen kann, wenn er nicht mehr mitten in der Nacht mit seiner Arbeit beginnen muss. Aber auch eine Chance, die garantiert, dass es auch weiterhin frische Backwaren gibt – dank gemeinsame­r Arbeit von Mensch und Maschine.

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FOTO: CHRISTIAN VORHOFER/IMAGO IMAGES Ein Mann programmie­rt einen Roboterarm, der für ihn die Arbeit übernimmt. In vielen Berufsbere­ichen könnte so die Zukunft der Arbeitswel­t aussehen.

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