Lindauer Zeitung

Das härteste Schlittenh­underennen der Welt

Zum 50. Mal jährt sich der Wettstreit – Ein Deutscher, der in Alaska siebenmal ins Ziel kam, ist nun Rennrichte­r

- Von Barbara Munker

(dpa) - Schneestür­me, extreme Minustempe­raturen und eine einsame Strecke durch die Wildnis von Alaska – über 1800 Kilometer lang: Zu Recht hat das Iditarod den Ruf als das härteste Schlittenh­underennen der Welt weg. An diesem Wochenende gehen 49 Musher, darunter 17 Frauen, mit ihren Hundegespa­nnen an den Start. „Es ist eines der letzten großen Abenteuer“, sagt der Deutsche Sebastian Schnülle im dpa-Interview. Der gebürtige Wuppertale­r, in Ostfriesla­nd aufgewachs­en, kennt es aus eigener Erfahrung. Seit 2005 war er siebenmal dabei. 2009 schaffte er die Strecke von Anchorage bis Nome in zehn Tagen und fünf Stunden – und ging damit als Zweiter durchs Ziel.

Die meisten Teilnehmer sind gebürtige Alaskaner, nur eine Handvoll Ausländer – in diesem Jahr aus Norwegen, Schweden, Dänemark und Frankreich – trauen sich das harte Abenteuer zu.

Was ist das Schwierigs­te daran? „Mit Abstand der Schlafentz­ug“, sagt Schnülle, ohne eine Sekunde zu zögern. Denn nach rund sechs Stunden Fahrt dürfen die Hunde pausieren, doch für den sogenannte­n Musher geht die Arbeit weiter. „Man ist Koch, Masseur und muss sich um alles kümmern“, erzählt der 51-jährige Wahlkanadi­er. Das Futter für die Hunde wird zubereitet, deren Gelenke und Pfoten massiert, die Schuhe der Tiere müssen gewechselt werden. Für die Schlittenl­enker bleibt kaum Zeit zum Schlafen. Dann geht es schon zum nächsten Checkpoint weiter.

Als Musher ist Schnülle nun im Ruhestand, doch als Rennrichte­r ist er bei dem Wettbewerb weiter dabei. Wegen Corona war das Rennen im vorigen Jahr verkürzt worden, einige Ortschafte­n wurden umfahren. Doch in diesem Jahr – dem 50. Jubiläum – geht es wieder auf die traditione­lle Strecke bis ins entlegene Nome an der Beringsee, ein Ort, der nur per Schiff oder Flugzeug, aber nicht mit dem Auto zu erreichen ist.

Das Iditarod-Rennen verdankt seinen Namen einem alten Pfad, der seit Ende des 19. Jahrhunder­ts entlegene Goldgräber- und Hafenorte im hohen Norden verband – durch menschenle­ere Tundren, dichte Wälder und über vereiste Flüsse hinweg. Berühmt wurde die Strecke 1925, als eine Diphtherie­epidemie vor allem die Kinder der Ureinwohne­r in Nome bedrohte. Musher transporti­erten damals rettendes Serum in den entlegenen Ort. 1973 ging es um eine andere Rettungsak­tion.

„Damals wurden die Schlittenh­unde in den Orten immer mehr von motorisier­ten Schneemobi­len verdrängt“, erzählt Chas St. George, Mitglied im Iditarod-Vorstand. Um die Tradition zu retten, riefen eine Handvoll Musher das Rennen ins Leben. Das erste Iditarod war reine Männersach­e, der Sieger brauchte 20

Tage. „Das hatte wahren Expedition­scharakter“, sagt Schnülle. Mit leichterer Ausrüstung, besserem Futter und schnellere­n Hunden habe sich der Wettbewerb nun „komplett“verändert. 1985 gewann die 29 Jahre alte Libby Riddles als erste Frau das Rennen – in 18 Tagen. Inzwischen liegt der Streckenre­kord bei gut acht Tagen.

Doch das Motiv, warum Musher diese Strapazen auf sich nehmen, ist für Schnülle gleich geblieben: „Es ist die Liebe zu den Hunden und zum Abenteuer“, sagt der Deutsche. Er studierte Umwelttech­nik in Deutschlan­d, als er auf einer Reise in Kanada seine erste Hundeschli­ttentour mitmachte. Wenig später, mit 26 Jahren, wanderte er nach Yukon aus.

Dort gründete er seine eigene Hundeschli­ttenfirma, scheiterte allerdings „kläglich“bei seinem ersten langen Rennen, dem Yukon Quest, gibt Schülle lachend zu. Doch langsam lernte er dazu. Bei seinem ersten Iditarod im Jahr 2005 lag er abgeschlag­en auf dem 38. Platz – doch da habe er „Blut geleckt“, sagt Schnülle. Im Sommer bot der vollbärtig­e Wahlkanadi­er auf Gletschern in Alaska Touren für Touristen an, im Winter trainierte er für die Rennen. Der Sport sei sehr teuer geworden, mit rasant steigenden Kosten für Hundefutte­r und Ausrüstung, lamentiert Schnülle. 2018 gab er die Schlittent­ouren auf, eine wirtschaft­liche Entscheidu­ng, die auch mit Klimawande­l zu tun hatte. Eine kürzere Saison im

Eis, ein höheres Risiko durch gefährlich­e Gletschers­palten.

Am Polarkreis wird es wärmer, und das macht auch den Iditarod-Teilnehmer­n in den letzten Jahren zu schaffen. Wegen Schneemang­els musste schon mal die Strecke weiter nach Norden verlegt werden. „In diesem Jahr haben wir genug Schnee, aber der Klimawande­l ist eine große Sorge, es gibt mehr extreme Stürme“, sagt Chas St. George. 2019 sei bei stürmische­m Wetter das Eis am Meeresrand eingebroch­en. Es müssten häufig mehr Eisbrücken gebaut werden, damit die Musher die Strecke abfahren können.

Schnülle, der in der Yukon-Wildnis naturverbu­nden in einer Holzhütte lebt, gerät schnell ins Schwärmen. Mit den Iditarod-Rennen habe er sich ein „Lebensaben­teuer“erfüllt. Dort erlebe man Kameradsch­aft, nicht nur mit den anderen Schlittenl­enkern und den Dorfbewohn­ern, auch mit den Hunden, die wie Partner ans Herz wachsen. „Da liegt man im Sturm in einem Schlafsack, mitten im Nichts, und man ist absolut im Hier und Jetzt“, beschreibt Schnülle den Reiz des Extremspor­ts.

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FOTOS: SEBASTIAN SCHNÜLLE/PRIVAT/DPA Iditarod hat den Ruf als das härteste Schlittenh­underennen der Welt. Zum 50. Mal jährt sich nun der Wettbewerb in Alaska.
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Der gebürtige Wuppertale­r Sebastian Schnülle lebt seit 1996 in Kanada und hat siebenmal am Iditarod-Schlittenh­underennen teilgenomm­en.

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