Experimentelles auf vertrautem Terrain
Im Museum Villa Rot trifft Tradition auf Moderne – Die neue Ausstellung widmet sich dem Teppich in der Gegenwartskunst
Von Antje Merke
- Teppiche sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Doch der Teppich kann viel mehr sein als nur ein Fußbodenbelag. Er ist Teil der Kulturgeschichte der Menschheit – und er kann auch Kunst sein. Das zeigt die neue Ausstellung in der Villa Rot bei Laupheim unter dem Titel „Mit den Füßen sehen – Der Teppich in der zeitgenössischen Kunst“. So gab es Teppiche in Oberschwaben noch nie zu sehen. Soll heißen: unbedingt hinfahren.
Teppiche machen den Boden unter unseren Füßen weicher, wärmer und somit unseren Wohnraum komfortabler. Bereits vor 10 000 Jahren empfanden das Menschen so und stellten Teppiche her. Zunächst waren sie noch ein einfacher aus Wolle gewirkter Filz. Doch die Techniken verfeinerten sich. Gewebt oder geknüpft, in vielen Farben und mit kunstvollen Mustern, wurde aus der Herstellung des Bodenbelags eine Handwerkskunst und der Teppich damit auch zum Wertgegenstand, Repräsentations- und Identifikationsobjekt. Kein Wunder, dass der Teppich teilweise auch seinen Weg vom Boden an die Wand fand. Man denke nur an die Gobelins aus der berühmten Pariser Manufaktur. Vor allem im orientalischen Raum entwickelte sich für die Auswahl von Farben und Mustern vielfach eine ganz eigene Symbolsprache.
Erstaunlicherweise hat in den letzten Jahren eine Vielzahl an Künstlerinnen und Künstlern das Medium Teppich für sich entdeckt. Sie verknüpfen dabei Vertrautes mit Unbekanntem und entwickeln eine ganz neue Bildsprache. Faig Ahmed aus Aserbaidschan ist international der bekannteste Künstler in diesem Bereich. Er hat die Teppichkunst wegweisend weiterentwickelt. In seinen konzeptionellen Arbeiten verwandelt der 40-Jährige dekoratives Handwerk in zeitgenössische skulpturale Kunstwerke. Zum Beispiel indem er visuelle Verzerrungen in traditionelle orientalische Teppiche integriert. Das Ergebnis sind außergewöhnliche optische Illusionen und Effekte. In der Villa Rot wird ein Perserteppich gezeigt, den Ahmed mit knallgrünen geometrischen Formen in 3-D ergänzt hat.
Doch der Reihe nach: Los geht der Rundgang durchs Haus mit einem riesigen Polarbären von Debbie Lawson, der sein Fell gegen einen Teppich getauscht hat. Trotz seiner Größe von mehr als zwei Metern wirkt er alles andere als bedrohlich. Vielmehr würde man ihn am liebsten berühren und sich für ein Selfie in seine Arme kuscheln. Zugleich erinnert er an ausgestopfte Trophäen von wilden und gefährlichen Tieren. Tatsächlich formt die Schottin ihre Figuren aus Draht und überzieht sie anschließend mit Perserteppichen aus der Massenproduktion.
Der Teppich kann aber auch im übertragenen Sinn zur Kunst beitragen. Als „fliegender Teppich“beflügelt etwa der Orientteppich die Fantasie. Und so schmückt beispielsweise die Installation „Flying Carpet“von Salah Saouli den ehemaligen Salon in der Villa Rot. Allerdings bringt der gebürtige Beiruter das mystische Morgenland mit der digitalen Gegenwart zusammen, indem er unterm Teppich ein Video eines Drohnenflugs über Berlin zeigt.
Auch Farkhondeh Sharoudi hat sich mit der Erzählung aus 1001 Nacht beschäftigt. Hier fliegt allerdings eine Vielzahl an Teppichen in viel wilderer Weise durch den Raum – als Teppichkugeln. Fast immer verarbeitet die iranische Künstlerin, die in Berlin lebt, für ihre Objekte gebrauchte Stücke. Denn: „Sie erzählen eine Geschichte.“An einer Stelle hat sie sogar deformierte Hände aus ihnen genäht und auf Stöcken arrangiert. Noémi Kiss ist ebenfalls fasziniert von alten Teppichen mit ihren Gebrauchsspuren. Kiss verändert die ausrangierten Stücke, die sie auf Flohmärkten findet, indem sie ihnen eine neue, überraschende Form gibt, wie in der Kunsthalle zu sehen ist. Die großformatigen Milchspritzer oder die Schnitte in der Oberfläche, die an Bilder von Lucio Fontana erinnern, wirken auch deswegen so faszinierend, weil sie in Wirklichkeit nur aufgemalt sind. Durch Destruktion wird so Neues und Schönes. Ramazan Can aus der Türkei wiederum bringt das altehrwürdige Material in immer wieder neue Bezüge – mit Beton, Neonröhren oder auch mit Holz. Hier trifft das Weiche auf das Harte, der Orient auf den Okzident, das Historische auf die Gegenwart. Gleichzeitig verleiht er so den Teppichfragmenten eine ästhetische Steigerung.
Ein sinnliches Erlebnis der besonderen Art ist die Installation „When will it end? #2“des schottischen Duos Littlewhitehead. Die beiden verändern oftmals eine Form so weit, dass sie in völlig neuem Licht erscheint. In der Ausstellung beispielsweise wird das Bild des Swimmingpools mit dem Medium Teppich gekreuzt. Mit den Einstiegshilfen, die uns im Normalfall in das tiefe Nass eintauchen lassen, kommt man diesmal aber nicht weit. Außer die Künstler wollen uns in die verschlungenen Weiten des Ornaments einführen. Das Betreten des luxuriösen Stücks ist allerdings verboten, wie eigentlich alles in der Ausstellung. Von dem Motto „Mit Füßen sehen“kann also nicht wirklich die Rede sein – schade. Denn es gibt einige Exponate in der Schau, die sich dafür geradezu anbieten. Zum Beispiel auch der Teppich mit der Darstellung eines weit aufgerissenen Mundes des Künstlerkollektivs Slavs and Tatars.
Apropos Füße. Ein Exponat lädt sogar zum historischen Exkurs ein. Das Mittelstück des roten Teppichs, der für die Staatsgäste der Bundesrepublik zwischen 1958 und 1968 am Köln-Bonner Flughafen ausgerollt wurde. Über ihn schritten schon Charles de Gaulle, John F. Kennedy oder Queen Elizabeth II. Zu sehen ist der inzwischen etwas verblichene rote Teppich aus dem Haus der Geschichte im ehemaligen Eingangsbereich der Villa. Er steht damit im übertragenen Sinn für eine Willkommenskultur. So bilden die vielen unterschiedlichen Ausstellungsstücke den Ausgangspunkt, um über Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges zu reflektieren. Unmissverständlich wird dabei deutlich, dass traditionelle Teppichkunst gerade im Austausch und in der Übersetzung mit der Gegenwart lebendig bleibt.
Dauer: bis 22. Mai, Öffnungszeiten: Mi.-Sa. 14-17 Uhr, So. und Fei. 11-17 Uhr. Zur Ausstellung ist ein kleiner Katalog erschienen. Weitere Infos auch zu den Führungen unter: