Pandemie erschwert die Nachwuchssuche
IHK und Handwerk brauchen Azubis – Doch die sind bei Berufsorientierung oft unsicher
- Sowohl die IHK als auch Handwerksbetriebe stöhnen: Es werde immer schwieriger, Nachwuchs für die Ausbildung zu finden. Die seit zwei Jahren anhaltende Corona-Pandemie baut zusätzliche Hürden auf. Denn wenn Unterricht von zu Hause aus stattfindet und berufliche Praktika ausfallen, ist auch die Berufsorientierung für Jugendliche ein wachsendes Problem, wie Berufsberater im Gespräch mit der LZ berichten.
Markus Hafner (kleines Foto) ist als Berufsberater für die angehenden Schulabsolventen im Kreis Lindau zuständig. Er weiß: Berufsorientierung ist in den letzten beiden Schuljahren vor dem Abschluss sehr wichtig für die Jugendlichen. Und da spielen Berufspraktika eine wichtige Rolle.
Er weiß aber auch: „Über Praktikumswochen in Berufe hineinzuschnuppern, das ist in den vergangenen zwei Jahren wegen Corona sehr schwierig gewesen.“Hafner erinnert daran, dass vor einem Jahr Lockdown und Bundesnotbremse direkte Kontakte zwischen Firmen und Nachwuchs verhindert haben. Und da wundert es den Berufsberater wenig, dass zahlreiche junge Leute im vergangenen Jahr in ihrer Berufsorientierung sehr unsicher gewesen sind.
Etliche hätten deshalb weiter die Schule besucht: Um ein Jahr Zeit zu gewinnen, versuchen Mittelschüler, zusätzlich den mittleren Bildungsabschluss zu erreichen. Andere streben in die Berufsvorbereitungsklasse der Berufsschule, hat Hafner beobachtet. Realschüler steuern die Fachoberschule an, um bessere Chancen zu haben.
Das ist eine Pandemie-bedingte Entwicklung, von der auch IHK-Regionalgeschäftsführer Markus Anselment berichtet: Die jungen Leute erlebten Corona als äußerst unsichere Zeit. Von der niemand wisse, wie sie ausgeht, ob es den ursprünglich angedachten Beruf nach dem Ende der Pandemie noch gibt.
„Also suchen sie die für sie bestmögliche Schulausbildung.“Und wenn die mit einem Fachabitur an der FOS endet, dann gehen sie anschließend studieren. „Und dann bleiben sie weg“, stellt der IHK-Geschäftsführer fest. Fehlen für die duale Ausbildung genauso wie später als Fachkräfte.
Natürlich wurden im vergangenen Sommer und Herbst im Kreis Lindau eine ganze Reihe Ausbildungsverträge unterschrieben. Die IHK geht in ihrem Bereich in den beiden zurückliegenden Jahren von jeweils rund 300 aus. Vor Corona waren es bis zu 350.
Und um dem Fachkräftemangel zu begegnen, wären jährlich allerdings bis zu 400 Berufsanfänger nötig, ergänzt Anselment: „Diese Anzahl an Ausbildungsplätzen würden die IHK-Betriebe durchaus zur Verfügung stellen.“Und die Azubis fehlen nicht nur, wie oft diskutiert, in Hotels und Gastronomie. Sie fehlen beispielsweise auch im Einzelhandel. „Und eigentlich in fast allen Branchen“, wie der IHK-Vertreter sagt.
Hafner ist froh, dass sich die Pandemie-Situation auf dem Arbeitsmarkt langsam entspannt. „Jetzt sind wieder verstärkt Präsenz und Kontakte möglich“, freut er sich im Gespräch mit der LZ: „Wir dürfen wieder in die Schulen.“
Natürlich habe die Berufsberatung im vergangenen Jahr versucht, ihre Angebote zur Berufsorientierung über digitale Kanäle wie Skype und Teams zu den Jugendlichen zu bringen. Aber seine Kollegen und er hätten dabei erlebt, dass für eine gute Berufsberatung ein persönlicher Kontakt sehr wichtig ist.
Das unterstreicht auch Anselment: „In den vergangenen beiden Jahren sind die Firmen nur sehr schwer an die Jugendlichen herangekommen.“Zwar habe die IHK vor einem Jahr als „Plan B“eine digitale Berufsmesse organisiert, zudem gebe es verschiedene Projekte auf Social-Media-Kanälen. „Aber die jungen Leute setzen sich nicht vor einen Video-Bildschirm, um mit Firmenvertretern über Ausbildungsberufe zu sprechen.“
Deshalb ist der IHK-Geschäftsführer nach eigenen Worten „sehr froh“, dass es im kommenden Mai endlich wieder eine große Berufsinfomesse in Lindau geben soll: „Da wollen alle Firmen und Unternehmen ausstellen.“Und um Nachwuchs werben: „Diese Messe ist absolut wichtig.“Weil dort die Eltern Informationen sammeln, die Schulabgänger mit „ihresgleichen“, also jungen Auszubildenden sprechen können.
Der Berufsberater und seine Kollegen wollen unterdessen die Orientierungsphasen in den Schulen im Landkreis Lindau wieder vertiefen. Wollen in direkten Gesprächen zusammen mit den Schülern erforschen, wie denn der Traumberuf und die Wirklichkeit zusammenpassen. „Um den Jugendlichen zum Beispiel klar zu machen, dass You-Tuber kein Beruf ist“, wie Hafner es formuliert.
Mit Blick auf Hygiene-Vorgaben und in Absprache mit den Schulen wollen nach Anselments Worten auch die Betriebe wieder verstärkt an die Abschlussklassen herangehen, etwa mit Firmenführungen. Um den angehenden Schulabsolventen die so dringend notwendige Berufsorientierung zu geben. Und natürlich, um die genauso dringend benötigten Fachkräfte ausbilden zu können.