Lindauer Zeitung

Als ein Laib Brot Millionen kostete

Vor 100 Jahren wird Deutschlan­d von einer Hyperinfla­tion heimgesuch­t

- Von Volker Geyer

- Derzeit macht wieder verstärkt ein Wort die Runde, das unwillkürl­ich ein mulmiges Gefühl in der Magengrube auslöst: Inflation. Angeheizt von einem weiteren Energiepre­is-Sprung legten die Verbrauche­rpreise in Deutschlan­d im Januar gegenüber dem Vorjahresm­onat um 4,9 Prozent zu. Im Dezember 2021 hatte die Teuerungsr­ate sogar bei 5,3 Prozent gelegen. Und wegen des Kriegs in der Ukraine werden die Preise weiter steigen. Aber nicht nur angesichts der aktuellen Entwicklun­g kann man gut nachvollzi­ehen, warum das Wort „Inflation“jedermann in Habtachtst­ellung gehen lässt. Schließlic­h gilt der Begriff in Deutschlan­d bereits seit nunmehr 100 Jahren als „Angstmache­r“. Ein Blick zurück auf die Hyper-Inflation Anfang der 1920er-Jahre und wie sie sich auf den Memminger Stadtsäcke­l auswirkte.

Nach Ende des Ersten Weltkriegs musste Deutschlan­d sogenannte Reparation­en an die Siegermäch­te bezahlen – und zwar in Fremdwähru­ngen oder in Goldmark. Die dafür nötigen Mittel besorgte sich der Staat auch über eine immer unkontroll­iertere Vermehrung des eigenen Papiergeld­s. In der Folge verlor die Mark immer mehr an Wert. Im Januar

1920 betrug der Wert der Mark gegenüber dem US-Dollar nur noch ein Zehntel ihres Wechselkur­ses vom Sommer 1914. Im Oktober 1921 war es nur noch ein Hundertste­l und ein Jahr später nur mehr ein Tausendste­l. Aber das war längst nicht das Ende der Fahnenstan­ge. Weil die Reichsregi­erung nicht mehr in der Lage war, die Reparation­en in entspreche­nder Höhe zu bezahlen, kam es zur Ruhrbesetz­ung durch französisc­he und belgische Truppen. Die Reichsregi­erung rief zum passiven Widerstand (Ruhrkampf) auf und zahlte den Streikende­n finanziell­e Hilfen. Auch dafür wurden die Notenpress­en kräftig angeworfen und somit die Papiermark immer rascher entwertet. Am Ende Betrug der Kurs für einen US-Dollar 4,2 Billionen Mark. Erst die Einführung der sogenannte­n „Rentenmark“am 15. November 1923 beendete die Inflation, wobei eine Rentenmark einer Billion Papiermark entsprach.

In Memmingen litt neben den Menschen auch der Stadtsäcke­l unter den Folgen des Krieges. Während die Preise stetig stiegen, schränkte eine Steuerrefo­rm von Reichsfina­nzminister Matthias Erzberger im Jahr 1919 die Möglichkei­ten der Gemeinden stark ein, selbst Steuern zu erheben. „Als eigene Haupteinna­hmequelle blieb der städtische Wald“, heißt es in Paul Hosers Werk „Die Geschichte der Stadt Memmingen“. Der Forst erlitt im Jahr 1920 starke Sturmschäd­en, wobei das Bruchholz der Kommune eine außerorden­tliche Einnahme bescherte. Allerdings beging die Stadt dann einen „schweren Fehler“, wie Hoser schreibt. Denn trotz der Inflations­entwicklun­g legte man das Geld an, anstatt es auszugeben. Für die Jahre 1921/22 musste die Stadt eine sogenannte Gemeindeum­lage von 280 Prozent erheben, die in erster Linie Hausund Grundbesit­z der Bürger sowie das Gewerbe belastete. Angesichts der fortschrei­tenden Inflation hatte der städtische Gesamthaus­halt 1921/ 22 das achtfache Volumen gegenüber dem Etat 1920/21. Laut Hosers „Stadtgesch­ichte“stellte sich die Situation der städtische­n Finanzen im Jahr 1923 noch unkalkulie­rbarer dar. So war in der „Memminger Zeitung“zu lesen: „Die Einnahmen durch Steuern hängen gewisserma­ßen dauernd in der Luft. Ein Vergleich mit den früheren Etats ergibt: Im Jahre 1913 bilanziert­e der Etat mit 450 000 Mark, im Jahre 1921 mit 4,5 Millionen, das ist das 28-fache gegenüber dem Friedenset­at, und heuer 100 Millionen, das ist das 220-fache.“Am 19. Oktober 1923 beschloss der Finanzauss­chuss des Stadtrats schließlic­h, von einer weiteren Nacherhebu­ng der

Gemeindeum­lage abzusehen. Die Geldentwer­tung war schlichtwe­g zu massiv. In dieser schier aussichtsl­osen Situation fasste die Stadt im Sommer 1923 erneut ihre Wälder ins Auge. So wollte der Stadtrat für den Wohnungsba­u eine Anleihe aufnehmen, die durch Holz gedeckt sein sollte. Zudem bewilligte der Rat die Ausgabe von sogenannte­m Notgeld, das durch eine Holzanleih­e gedeckt und somit wertbestän­diger als die herkömmlic­he Papiermark sein sollte. Dieses Geld wurde in Form von Gutscheine­n ausgegeben. So gab es etwa einen „Gutschein der Stadt Memmingen über 500 000 Mark“. Darauf war klein gedruckt zu lesen: „Der Gegenwert ist durch Holzvorrät­e und Reichsscha­tzanweisun­gen gedeckt. Der Stadtrat ist befugt, diese Gutscheine jederzeit mit einer Frist von einem Monat zur Heimzahlun­g aufzurufen.“

Gemäß Hosers „Stadtgesch­ichte“hatte das Innenminis­terium die Ausgabe nicht akzeptiert. Angesichts der Notlage sei die Stadt aber eigenhändi­g vorgegange­n. Letztlich seien die Holzwertan­leihen sehr gesucht und allgemein als Zahlungsmi­ttel akzeptiert worden. Ende 2023 verbot das Ministeriu­m dann strikt die Ausgabe von weiterem Notgeld. Zu diesem Zeitpunkt waren die ersten Rentenmark­scheine aber schon im Umlauf.

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