Lindauer Zeitung

„Ich bin in diesem Humus aufgewachs­en“

Die aus Oberstdorf stammende Theaterfra­u Crescentia Dünßer kehrt für ein Projekt zurück ins Allgäu

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- Im Interview mit Michael Dumler spricht Theaterfra­u Crescentia Dünßer über die Inszenieru­ng von „Heimatwund­er“. In dem Stück geht es um Geistheile­r, Gesundbete­r und Brandlösch­er. Sie verrät auch, wie sie zur Mediation kam und warum sie ein Angebot von Claus Peymann ablehnte.

Frau Dünßer, Sie sind nicht nur Schauspiel­erin und Regisseuri­n, sondern auch Mediatorin, also jemand, der zwischen zwei Parteien vermittelt. Was ist schiefgela­ufen im Ukraine-Russland-Konflikt, der Sie wohl wie viele auch beschäftig­t?

Ja, das Ganze beschäftig­t mich in der Tat sehr. In der Mediation sagt man, Menschen müssen freiwillig mitmachen und außerdem bereit sein, sich einzulasse­n und sich zu verändern. Wenn diese Bereitscha­ft nicht da ist, kann man überhaupt keine Mediation machen. Das heißt im Falle von Putin und Selenskyj müssten beide sagen: Ja, wir sind beide lösungsori­entiert, sind bereit für Veränderun­gen, wollen uns darauf einlassen und brauchen jemanden, der uns dabei hilft.

Zur Mediation kamen Sie über Ihren Beruf als Schauspiel­erin und Regisseuri­n.

Genau. Ich bin seit 30 Jahren Regisseuri­n und war 18 Jahre lang als Theaterlei­terin tätig und mich interessie­rt schon von daher das Thema Verständig­ung. Theater ist ein kollektive­s, aber auch ein direktives Gebilde. Mich hat dabei immer die Frage interessie­rt, wie kann ich eine Atmosphäre schaffen, in der wir uns menschlich und fachlich auf Augenhöhe begegnen oder reiben können, ohne, wie es in der Mediation genannt wird, auf die sogenannte Beziehungs­ebene zu rutschten und persönlich verletzend zu werden.

Claus Peymann wollte Sie Mitte der 80er-Jahre von Bochum ans Wiener Burgtheate­r mitnehmen. Doch Sie lehnten – wie Ihr Partner Otto Kukla – ab. Wie das?

Ich habe damals wirklich sehr weiche Knie bekommen. Ich war 25 und gerade mal zwei Jahre als Schauspiel­erin am Theater. Als ich am Telefon absagte, habe ich gezittert wie Espenlaub. Ich wusste, dass dies eine Lebensents­cheidung war, aber nicht, ob sie richtig war. Aber wir wollten unsere eigenen künstleris­chen Fantasien kennenlern­en und inhaltlich­e Verantwort­ung übernehmen.

Hat Peymann das verstanden?

Er hat mir später gesagt, er verstünde nicht, warum ich in die Täler gehe, wo ich doch auf den Bergen sein könnte. Ich hatte damals das Gefühl, dass ich nur als Gefäß gesehen werde, nicht als Person oder Persönlich­keit. Peymann glaubte, erst einmal die Leute auseinande­rnehmen und zur Verzweiflu­ng bringen zu müssen, um das Wahrhaftig­e zu finden. Theater war damals ein Männermach­tbetrieb, aufgebaut auf Hierarchie und Druck. Wer „nett“ist, kann kein gutes Theater machen, hieß es. Als Regisseuri­n war das für mich kein gangbarer Weg. Ich wollte bei allem künstleris­chen Anspruch immer fair bleiben.

Sie haben für das Theater in Kempten das Stück „Heimatwund­er“erarbeitet, in dem es um Fragen der Heilung und, ausgehend vom Allgäu, vor allem um Geistheilu­ng und Gesundbete­n geht. Wie kam es dazu?

Im Gespräch mit Kemptens Theaterdir­ektorin Silvia Armbruster kam das Thema Gesundbete­n auf, das ich super fand. Als sie mir ein Theaterpro­jekt dazu anbot, habe ich zugesagt. Beim Arbeiten daran konnte ich auf meine Angebunden­heit an Region und Sprache, an Herkunft, Tradition und Katholizis­mus vertrauen. Ich weiß, wovon ich rede, bin keine Fremdreins­chmeckerin. Ich bin in diesem Humus, in dieser Gemengelag­e aufgewachs­en.

Haben Sie auch eigene Erfahrunge­n mit Gesundbete­rn oder Brandlösch­ern?

Ich kannte das als Kind, war auch beim Warzenabbe­ten, habe nicht wirklich dran geglaubt, und dennoch gingen die Warzen weg. Ich bin immer noch sehr kritisch, was das anbelangt. Aber gerade diese Ambivalenz hat mich, die Schauspiel­erinnen Julia Jaschke, Nadine Schneider und Corinne Steudler und das ganze Team sehr interessie­rt. Wir haben das Thema von allen möglichen Seiten beleuchtet, mit Hilfe von selbst geschriebe­nen, intuitiven Texten, Heilbesuch­en, Gesprächen mit Fachleuten, mit Fans und Gegnern. Die pandemisch­e Situation floss mit ein, auch die Gräben zwischen Schulmediz­in und alternativ­er Medizin haben uns beschäftig­t.

Das klingt nach einem riesigen Buch ...

Ja, das war es auch. Und es war viel

Crescentia Dünßer (Foto: Ralf Lienert) wurde 1960 in Oberstdorf geboren und machte dort auch ihr Abitur. Mit 15 Jahren entdeckte sie als Kulissensc­hieberin für die Theatergas­tspiele im Oberstdorf­er

Kurhaus ihre Leidenscha­ft fürs Theater. Nach einer Schauspiel­ausbildung am Konservato­rium für Musik und Theater in Bern hatte sie 1984 am Theater Bochum unter Claus Peymann ihr erstes Engagement. 1986 gründete sie gemeinsam mit Otto Kukla das „Zelt Ensemble Theater“. Von 1993 bis 1996 leiteten die beiden das Zimmerthea­ter Tübingen

Arbeit, daraus eine Bühnenfass­ung zu erstellen. Mein Ziel war es, unsere gemeinsame Reise durch dieses Labyrinth der Heilung abzubilden. „Heimatwund­er“ist als diskursive­s Angebot zu verstehen. Wir behandeln das Thema in zwölf Kapiteln – ohne eindeutige Antworten.

„Heimatwund­er“

Vorführung­en im kleinen Saal des Kemptener Stadttheat­ers (Einführung­en 45 Minuten vor Beginn): 5. März (19 Uhr, Uraufführu­ng, ausverkauf­t), 6. März (19 Uhr), 10./11. März (je 20 Uhr), 12./13. März (je 19 Uhr).

Karten: Telefon 0831/

870 23 23, www.theaterink­empten.de (mdu)

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und von 1996 bis 2004 das Theater Neumarkt in Zürich. Seit 2004 ist Crescentia Dünßer freischaff­end als Schauspiel­erin, Regisseuri­n, und Mediatorin tätig.

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