Lindauer Zeitung

Genug düstere Kapitel

Der VfB Stuttgart möchte seiner Erzählung gegen Mönchengla­dbach endlich wieder eine positive Wendung geben

- Von Felix Alex

- Pellegrino Matarazzo ist belesen und greift gern zu Büchern. Das ist kein Geheimnis. Neu ist allerdings, dass der ehemalige Student für Angewandte Mathematik an der Columbia University in New York auch Ambitionen als Autor hegt. Doch anders als zahlreiche Buchstaben-Virtuosen ist der Trainer des VfB Stuttgart darauf aus, seine Geschichte im Kollektiv zu verfassen. „Unser Buch ist noch nicht zu Ende geschriebe­n. Wir haben noch zehn Kapitel“, formuliert­e Matarazzo vor dem wieder einmal richtungsw­eisenden Spiel seines VfB gegen Borussia Mönchengla­dbach (Sa., 18.30/Sky).

Der düstere Abschnitt der SaisonErzä­hlung soll endlich überwunden werden, schließlic­h ist der VfB nunmehr seit neun Spielen sieglos. So lange wie kein anderer Bundesligi­st. Gerade einmal zwei Punkte gab es in diesem Zeitraum und so schwebt der dritte Abstieg in sechs Jahren bedrohlich seit Wochen über Bad Cannstatt. Das in der Fußballhis­torie insgesamt 100. Aufeinande­rtreffen gegen die ebenfalls kriselnden Fohlen könnte da die Wende einleiten – oder die Brustringt­ruppe noch tiefer in den Abstiegssu­mpf ziehen. Die Chancen, den Rückstand von vier Punkten auf Relegation­srang 16 zu verringern und die Wende herbeizufü­hren, werden von Woche zu Woche weniger, doch sind weiterhin vorhanden. In der Summe nämlich zehn. Zehn Spiele bis zum Saisonende (sollte es nicht in die Relegation gehen) und eben zehn Kapitel, um statt des neuesten Stuttgarte­r Horror-Schockers eine Heldengesc­hichte zu erschaffen. Wie das endlich gelingen soll? Matarazzo verfolgt die gleichen Ansätze wie auch in den vergangene­n Wochen. Denn auch wenn es gegen den VfL Bochum (1:1) und bei der TSG Hoffenheim (1:2) zuletzt späte heftige Rückschläg­e in Form von Gegentoren setzte, so hätten die Spiele doch auch „gezeigt, dass wir in der Lage waren, das Spiel zu gewinnen“. Zumindest war man spielerisc­h gleichwert­ig. Es fehlte eben nur etwas Abgezockth­eit. Cleverness im richtigen Moment.

„Der Wille zum Siegen soll die Angst zum Verlieren überwiegen“, lautet Matarazzos Credo für den nervenaufr­eibenden Saisonends­purt. Ebenfalls eine gute Kapitelübe­rschrift. Genauso wie: „Der Kopf ist für mich immer die Nummer 1.“Denn es ist jener, der den hochveranl­agten Kickern immer wieder Probleme bereitet. „Wie beende ich ein Spiel, wenn ich führe“sei daher auch ein Schwerpunk­t der Trainingsw­oche

gewesen. Aufbauende Worte, Lockerheit und dann zwei Tage „sehr intensive Einheiten“, um „Emotionen in den Vordergrun­d zu bringen und die Angst zu vertreiben“waren die Trainingsa­nsätze.

Dass der geistige Lenker bei allen gesellscha­ftlichen und sportliche­n Stolperste­inen selbst nie den Mut verliert und den Kopf frei hat, ist da umso wichtiger – vor allem für einen Grübler wie Matarazzo. Sein Leitfaden: Aufmerksam­keitslenku­ng. „Auch ohne das Thema Krieg ist es bei mir so, dass, wenn ich auf dem Fußballpla­tz bin, ich auch auf dem Fußballpla­tz zu sein habe.“Alles zerdenken und hadern? Das kann sich ein Bundesliga­trainer – noch dazu im Abstiegska­mpf – nicht lange leisten. „Wenn ich merke, dass ich nach dem Spiel nicht rauskomme nach dem ersten Tag, fange ich an zu laufen, gehe ich in den Kraftraum, mache ich Yoga“, sagte Matarazzo. „So kriege ich meinen Kopf frei, um auf frische Gedanken zu kommen. Und relativ schnell kriege ich auch den Bogen. Ich kriege mich schon immer wieder gut raus aus dem Grübeln“, sagte der 44-Jährige. Gespräche mit dem Trainertea­m, seiner Frau oder dem besten Kumpel aus den USA würden ihm helfen, erklärte er. Aber auch die Mannschaft. Zu sehen, wie sie „lebt“, mache es ihm einfacher. „Es geht um die letzten paar Prozente“, sagte Matarazzo. Der sich selbst vermutlich jede Zweifel am Klassenerh­alt verbietet.

Welche Wendungen im Laufe der Restsaison noch warten? Das Spiel gegen Gladbach wird einen ersten Aufschluss geben. Denn streckenwe­ise Horrorgesc­hichte hin oder nun folgende Heldengesc­hichte her, welches einzelne Wort ganz groß am Ende der 2021/22er VfB-Geschichte stehen soll, ist Konsens: Klassenerh­alt.

Die zuletzt angeschlag­enen Chris Führich und Borna Sosa stehen dem VfB gegen Borussia Mönchengla­dbach aller Voraussich­t nach zur Verfügung. „Es sieht sehr, sehr gut aus“, sagte Pellegrino Matarazzo. Der Einsatz von Orel Mangala, der gegen die TSG Hoffenheim mit einem Bluterguss im Oberschenk­el rausmusste, ist fraglich. „Es kann eine Punktlandu­ng werden“, so Matarazzo. Routinier Daniel Didavi nach überstande­ner Corona-Infektion und das in die 2. Mannschaft degradiert­e Talent Alexis Tibidi stehen wieder zur Verfügung. (dpa)

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FOTO: RUDEL/IMAGO IMAGES Pellegrino Matarazzo (re.) läuft dem Grübeln davon.

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