Genug düstere Kapitel
Der VfB Stuttgart möchte seiner Erzählung gegen Mönchengladbach endlich wieder eine positive Wendung geben
- Pellegrino Matarazzo ist belesen und greift gern zu Büchern. Das ist kein Geheimnis. Neu ist allerdings, dass der ehemalige Student für Angewandte Mathematik an der Columbia University in New York auch Ambitionen als Autor hegt. Doch anders als zahlreiche Buchstaben-Virtuosen ist der Trainer des VfB Stuttgart darauf aus, seine Geschichte im Kollektiv zu verfassen. „Unser Buch ist noch nicht zu Ende geschrieben. Wir haben noch zehn Kapitel“, formulierte Matarazzo vor dem wieder einmal richtungsweisenden Spiel seines VfB gegen Borussia Mönchengladbach (Sa., 18.30/Sky).
Der düstere Abschnitt der SaisonErzählung soll endlich überwunden werden, schließlich ist der VfB nunmehr seit neun Spielen sieglos. So lange wie kein anderer Bundesligist. Gerade einmal zwei Punkte gab es in diesem Zeitraum und so schwebt der dritte Abstieg in sechs Jahren bedrohlich seit Wochen über Bad Cannstatt. Das in der Fußballhistorie insgesamt 100. Aufeinandertreffen gegen die ebenfalls kriselnden Fohlen könnte da die Wende einleiten – oder die Brustringtruppe noch tiefer in den Abstiegssumpf ziehen. Die Chancen, den Rückstand von vier Punkten auf Relegationsrang 16 zu verringern und die Wende herbeizuführen, werden von Woche zu Woche weniger, doch sind weiterhin vorhanden. In der Summe nämlich zehn. Zehn Spiele bis zum Saisonende (sollte es nicht in die Relegation gehen) und eben zehn Kapitel, um statt des neuesten Stuttgarter Horror-Schockers eine Heldengeschichte zu erschaffen. Wie das endlich gelingen soll? Matarazzo verfolgt die gleichen Ansätze wie auch in den vergangenen Wochen. Denn auch wenn es gegen den VfL Bochum (1:1) und bei der TSG Hoffenheim (1:2) zuletzt späte heftige Rückschläge in Form von Gegentoren setzte, so hätten die Spiele doch auch „gezeigt, dass wir in der Lage waren, das Spiel zu gewinnen“. Zumindest war man spielerisch gleichwertig. Es fehlte eben nur etwas Abgezocktheit. Cleverness im richtigen Moment.
„Der Wille zum Siegen soll die Angst zum Verlieren überwiegen“, lautet Matarazzos Credo für den nervenaufreibenden Saisonendspurt. Ebenfalls eine gute Kapitelüberschrift. Genauso wie: „Der Kopf ist für mich immer die Nummer 1.“Denn es ist jener, der den hochveranlagten Kickern immer wieder Probleme bereitet. „Wie beende ich ein Spiel, wenn ich führe“sei daher auch ein Schwerpunkt der Trainingswoche
gewesen. Aufbauende Worte, Lockerheit und dann zwei Tage „sehr intensive Einheiten“, um „Emotionen in den Vordergrund zu bringen und die Angst zu vertreiben“waren die Trainingsansätze.
Dass der geistige Lenker bei allen gesellschaftlichen und sportlichen Stolpersteinen selbst nie den Mut verliert und den Kopf frei hat, ist da umso wichtiger – vor allem für einen Grübler wie Matarazzo. Sein Leitfaden: Aufmerksamkeitslenkung. „Auch ohne das Thema Krieg ist es bei mir so, dass, wenn ich auf dem Fußballplatz bin, ich auch auf dem Fußballplatz zu sein habe.“Alles zerdenken und hadern? Das kann sich ein Bundesligatrainer – noch dazu im Abstiegskampf – nicht lange leisten. „Wenn ich merke, dass ich nach dem Spiel nicht rauskomme nach dem ersten Tag, fange ich an zu laufen, gehe ich in den Kraftraum, mache ich Yoga“, sagte Matarazzo. „So kriege ich meinen Kopf frei, um auf frische Gedanken zu kommen. Und relativ schnell kriege ich auch den Bogen. Ich kriege mich schon immer wieder gut raus aus dem Grübeln“, sagte der 44-Jährige. Gespräche mit dem Trainerteam, seiner Frau oder dem besten Kumpel aus den USA würden ihm helfen, erklärte er. Aber auch die Mannschaft. Zu sehen, wie sie „lebt“, mache es ihm einfacher. „Es geht um die letzten paar Prozente“, sagte Matarazzo. Der sich selbst vermutlich jede Zweifel am Klassenerhalt verbietet.
Welche Wendungen im Laufe der Restsaison noch warten? Das Spiel gegen Gladbach wird einen ersten Aufschluss geben. Denn streckenweise Horrorgeschichte hin oder nun folgende Heldengeschichte her, welches einzelne Wort ganz groß am Ende der 2021/22er VfB-Geschichte stehen soll, ist Konsens: Klassenerhalt.
Die zuletzt angeschlagenen Chris Führich und Borna Sosa stehen dem VfB gegen Borussia Mönchengladbach aller Voraussicht nach zur Verfügung. „Es sieht sehr, sehr gut aus“, sagte Pellegrino Matarazzo. Der Einsatz von Orel Mangala, der gegen die TSG Hoffenheim mit einem Bluterguss im Oberschenkel rausmusste, ist fraglich. „Es kann eine Punktlandung werden“, so Matarazzo. Routinier Daniel Didavi nach überstandener Corona-Infektion und das in die 2. Mannschaft degradierte Talent Alexis Tibidi stehen wieder zur Verfügung. (dpa)