Corona-Kilos kommen noch dazu
Immerhin ein bis zwei Kilo wiegen Erwachsene im Winter durchschnittlich mehr als im Sommer, das zeigen verschiedene wissenschaftliche Studien. Es gibt ihn also auch tatsächlich beim Menschen: den Winterspeck. Aber gibt es dafür auch eine biologische Begründung? Das sind die Fakten:
Ist der Winterspeck ein Überbleibsel aus früheren Zeiten, als das Nahrungsangebot karger war? Vieles, was wir Menschen heute so tun oder lassen, wird über die Evolution erklärt. Auch für den Winterspeck klingt das plausibel: Weil es im Vor-Supermarkt-Zeitalter im Winter tatsächlich weniger zu essen gab, legt man sich für diese Zeit lieber ein bisschen Extraspeck zu. Allerdings müsste man sich die Winterkilos dann im Spätsommer und Herbst anfuttern – so wie das ja übrigens die Tiere tun. „Laut Studien nehmen viele Menschen aber gerade über die Weihnachtsfeiertage zwischen einem halben und einem Kilo zu“, sagt David Fäh, Dozent für Humanernährung an der Berner Fachhochschule. Und in den Suchmaschinen ist der Januar der Monat, in dem am häufigsten nach Winterspeck gesucht wird. Das heißt: Der Mensch futtert zu der Zeit mehr, in der das natürliche Nahrungsangebot eigentlich knapp ist. Und – auch wenn es manchmal verlockend wäre – er hält auch keinen Winterschlaf, für den viele Tiere die angefressenen Energiereserven brauchen.
Schützt Winterspeck vor Kälte? Viele Tiere bekommen im Winter nicht nur ein dickeres Fell. Sie fressen sich auch eine dicke Fettschicht an, um sich damit vor der Kälte zu schützen, Rehe etwa. Und der Mensch? Kann er sich auch mit seinem Winterspeck wärmen? „Das Unterhautfettgewebe hat auch beim Menschen eine isolierende Wirkung“, sagt Ernährungsexperte David Fäh. Die wichtigere Rolle für die Thermoregulation spiele allerdings die Muskelmasse. „Deshalb frieren Frauen auch schneller als Männer trotz ihres höheren Fettgewebe-Anteils“, sagt David Fäh. Hinzu kommt: Kalt werden im Winter besonders
Hände, Füße und der Kopf. Der Winterspeck aber lagert sich eher an Bauch, Beinen und Po an, weil es sich um sogenanntes Speicherfett handelt. Das Fett, welches Energie in Form von Wärme abgibt, ist jedoch sogenanntes braunes Fett. Es schützt beispielsweise Säuglinge in den ersten Lebenswochen davor auszukühlen.
Ist der Winterspeck eine gute Reserve fürs Kranksein?
Kältere Temperaturen draußen, mehr Zeit mit anderen Menschen in geschlossenen Räumen und bei trockener Luft: In den Wintermonaten wird man häufiger krank. Das war auch vor Corona schon so. Dafür kann es vorteilhaft sein, ein bisschen Speck auf den Rippen zu haben. Denn: „Bei einer Infektion kann die Arbeit des Immunsystems mehr als zehn Prozent unseres täglichen Energieumsatzes ausmachen. Untergewichtige Menschen haben daher ein höheres Risiko, eine Infektion nicht zu überleben“, sagt Malte Rubach, Ernährungswissenschaftler und Buchautor. Wer krankheitsbedingt unter Appetitlosigkeit leidet, müsse deshalb darauf achten, dennoch genug Energie aufzunehmen. Das gelte insbesondere für ältere Menschen, die zu Untergewicht neigen.
Sorgen Dunkelheit und Käte dafür, dass wir andere Sachen essen als im Sommer? 5,6 Kilo – so viel haben rund 40 Prozent der Befragten in einer Studie des Else Kröner-FreseniusZentrums für Ernährungsmedizin (EKFZ) an der TU München im Durchschnitt seit Beginn der Corona-Pandemie zugelegt. Betroffen sind demnach insbesondere Menschen, die schon vorher Gewichtsprobleme hatten und die Altersgruppe der 30- bis 44-Jährigen. Die Gründe: Gut die Hälfte der Befragten gab an, sich seit Beginn der Pandemie weniger zu bewegen,
„Unsere Ernährungsgewohnheiten in den kälteren Monaten sind auf jeden Fall entscheidend“, sagt Malte Rubach. Weniger Obst und Gemüse, dafür mehr Süßigkeiten und Deftiges, das mehr Kalorien liefert. „Energiedichter zu essen macht grundsätzlich auch Sinn, weil unser Körper bei Kälte ja auch mehr Wärme produzieren muss“, sagt David Fäh. Allerdings verbringen viele Menschen gerade in den Wintermonaten sehr viel Zeit im gut geheizten Wohnzimmer, da Sportkurse und Fitnessstudios geschlossen waren. Gut jeder Vierte gab an, aus Langeweile mehr zu essen. Besonders betroffen von pandemiebedingtem Übergewicht sind auch Kinder.
Dem Berufsverband der Kinderund Jugendärzte zufolge ist die Zahl der adipösen Kinder um sieben Prozent gestiegen. Die Zahl der Kinder, die 2020 wegen Übergewicht im Krankenhaus behandelt wurden im Vergleich zum Vorjahr sogar um 60 Prozent. (sam)
wo der Körper gar nicht mehr Wärme produzieren muss. In geschlossenen Räumen fehlt aber auch das Sonnenlicht, was die körpereigene Vitamin-D-Produktion ankurbelt. Und ohne Sonnenvitamin sinkt die Stimmung. Hinzu kommt, dass die Dunkelheit für eine erhöhte Melatonin-Produktion sorgt – und das macht müde. Schokolade dagegen enthält Inhaltsstoffe, denen man eine stimmungsaufhellende Wirkung nachsagt, was den erhöhten Süßigkeitenkonsum in den Wintermonaten erklären könnte.
Ist es die mangelnde Bewegung, die für den Winterspeck verantwortlich ist?
Nass, kalt, dunkel: Sich im Winter zum Sportmachen im Freien aufzuraffen, kostet mehr Überwindung als in wärmeren Monaten. Und selbst der Gang ins Fitnessstudio scheint manchmal wenig verlockend, wenn es zu Hause auf dem Sofa so gemütlich ist. „Tatsächlich bewegen wir uns je nach Witterung weniger, was wir zum Beispiel anhand der Schrittzahl auf unserem Handy feststellen könnten“, sagt David Fäh von der Berner Fachhochschule. Überschätzen sollte man die Auswirkung von Sport auf das Körpergewicht jedoch nicht. Um ein Kilo reines Fett abzunehmen, braucht es 7000 Defizitkalorien. Das entspricht rund zwölf Stunden Joggen. „Was wirklich zählt für die Gewichtszunahme, sind die Ernährungsgewohnheiten in den kälteren Monaten“, sagt Malte Rubach.
Und ist der Winterspeck denn grundsätzlich etwas Schlimmes? Erst mal nicht. Es ist ganz normal, dass das menschliche Gewicht schwankt – allein schon aufgrund von Verdauungsprozessen, schwankendem Wasserhaushalt oder aktuellen Lebensumständen. Wer Richtung Frühling wieder anders isst und sich mehr bewegt, wird die Winterkilos von ganz allein wieder los. „Problematisch wird es aber dann, wenn das nicht passiert. Dann sammeln sich nämlich über die Jahre mehrere Kilo an Übergewicht an“, sagt David Fäh. Um dem vorzubeugen, empfiehlt er schon im Winter immer mal wieder einen Suppen- oder Intervallfastentag einzulegen und so oft es geht, körperlich aktiv zu sein.