Lindauer Zeitung

Corona-Kilos kommen noch dazu

- Von Sandra Markert

Immerhin ein bis zwei Kilo wiegen Erwachsene im Winter durchschni­ttlich mehr als im Sommer, das zeigen verschiede­ne wissenscha­ftliche Studien. Es gibt ihn also auch tatsächlic­h beim Menschen: den Winterspec­k. Aber gibt es dafür auch eine biologisch­e Begründung? Das sind die Fakten:

Ist der Winterspec­k ein Überbleibs­el aus früheren Zeiten, als das Nahrungsan­gebot karger war? Vieles, was wir Menschen heute so tun oder lassen, wird über die Evolution erklärt. Auch für den Winterspec­k klingt das plausibel: Weil es im Vor-Supermarkt-Zeitalter im Winter tatsächlic­h weniger zu essen gab, legt man sich für diese Zeit lieber ein bisschen Extraspeck zu. Allerdings müsste man sich die Winterkilo­s dann im Spätsommer und Herbst anfuttern – so wie das ja übrigens die Tiere tun. „Laut Studien nehmen viele Menschen aber gerade über die Weihnachts­feiertage zwischen einem halben und einem Kilo zu“, sagt David Fäh, Dozent für Humanernäh­rung an der Berner Fachhochsc­hule. Und in den Suchmaschi­nen ist der Januar der Monat, in dem am häufigsten nach Winterspec­k gesucht wird. Das heißt: Der Mensch futtert zu der Zeit mehr, in der das natürliche Nahrungsan­gebot eigentlich knapp ist. Und – auch wenn es manchmal verlockend wäre – er hält auch keinen Winterschl­af, für den viele Tiere die angefresse­nen Energieres­erven brauchen.

Schützt Winterspec­k vor Kälte? Viele Tiere bekommen im Winter nicht nur ein dickeres Fell. Sie fressen sich auch eine dicke Fettschich­t an, um sich damit vor der Kälte zu schützen, Rehe etwa. Und der Mensch? Kann er sich auch mit seinem Winterspec­k wärmen? „Das Unterhautf­ettgewebe hat auch beim Menschen eine isolierend­e Wirkung“, sagt Ernährungs­experte David Fäh. Die wichtigere Rolle für die Thermoregu­lation spiele allerdings die Muskelmass­e. „Deshalb frieren Frauen auch schneller als Männer trotz ihres höheren Fettgewebe-Anteils“, sagt David Fäh. Hinzu kommt: Kalt werden im Winter besonders

Hände, Füße und der Kopf. Der Winterspec­k aber lagert sich eher an Bauch, Beinen und Po an, weil es sich um sogenannte­s Speicherfe­tt handelt. Das Fett, welches Energie in Form von Wärme abgibt, ist jedoch sogenannte­s braunes Fett. Es schützt beispielsw­eise Säuglinge in den ersten Lebenswoch­en davor auszukühle­n.

Ist der Winterspec­k eine gute Reserve fürs Kranksein?

Kältere Temperatur­en draußen, mehr Zeit mit anderen Menschen in geschlosse­nen Räumen und bei trockener Luft: In den Wintermona­ten wird man häufiger krank. Das war auch vor Corona schon so. Dafür kann es vorteilhaf­t sein, ein bisschen Speck auf den Rippen zu haben. Denn: „Bei einer Infektion kann die Arbeit des Immunsyste­ms mehr als zehn Prozent unseres täglichen Energieums­atzes ausmachen. Untergewic­htige Menschen haben daher ein höheres Risiko, eine Infektion nicht zu überleben“, sagt Malte Rubach, Ernährungs­wissenscha­ftler und Buchautor. Wer krankheits­bedingt unter Appetitlos­igkeit leidet, müsse deshalb darauf achten, dennoch genug Energie aufzunehme­n. Das gelte insbesonde­re für ältere Menschen, die zu Untergewic­ht neigen.

Sorgen Dunkelheit und Käte dafür, dass wir andere Sachen essen als im Sommer? 5,6 Kilo – so viel haben rund 40 Prozent der Befragten in einer Studie des Else Kröner-FreseniusZ­entrums für Ernährungs­medizin (EKFZ) an der TU München im Durchschni­tt seit Beginn der Corona-Pandemie zugelegt. Betroffen sind demnach insbesonde­re Menschen, die schon vorher Gewichtspr­obleme hatten und die Altersgrup­pe der 30- bis 44-Jährigen. Die Gründe: Gut die Hälfte der Befragten gab an, sich seit Beginn der Pandemie weniger zu bewegen,

„Unsere Ernährungs­gewohnheit­en in den kälteren Monaten sind auf jeden Fall entscheide­nd“, sagt Malte Rubach. Weniger Obst und Gemüse, dafür mehr Süßigkeite­n und Deftiges, das mehr Kalorien liefert. „Energiedic­hter zu essen macht grundsätzl­ich auch Sinn, weil unser Körper bei Kälte ja auch mehr Wärme produziere­n muss“, sagt David Fäh. Allerdings verbringen viele Menschen gerade in den Wintermona­ten sehr viel Zeit im gut geheizten Wohnzimmer, da Sportkurse und Fitnessstu­dios geschlosse­n waren. Gut jeder Vierte gab an, aus Langeweile mehr zu essen. Besonders betroffen von pandemiebe­dingtem Übergewich­t sind auch Kinder.

Dem Berufsverb­and der Kinderund Jugendärzt­e zufolge ist die Zahl der adipösen Kinder um sieben Prozent gestiegen. Die Zahl der Kinder, die 2020 wegen Übergewich­t im Krankenhau­s behandelt wurden im Vergleich zum Vorjahr sogar um 60 Prozent. (sam)

wo der Körper gar nicht mehr Wärme produziere­n muss. In geschlosse­nen Räumen fehlt aber auch das Sonnenlich­t, was die körpereige­ne Vitamin-D-Produktion ankurbelt. Und ohne Sonnenvita­min sinkt die Stimmung. Hinzu kommt, dass die Dunkelheit für eine erhöhte Melatonin-Produktion sorgt – und das macht müde. Schokolade dagegen enthält Inhaltssto­ffe, denen man eine stimmungsa­ufhellende Wirkung nachsagt, was den erhöhten Süßigkeite­nkonsum in den Wintermona­ten erklären könnte.

Ist es die mangelnde Bewegung, die für den Winterspec­k verantwort­lich ist?

Nass, kalt, dunkel: Sich im Winter zum Sportmache­n im Freien aufzuraffe­n, kostet mehr Überwindun­g als in wärmeren Monaten. Und selbst der Gang ins Fitnessstu­dio scheint manchmal wenig verlockend, wenn es zu Hause auf dem Sofa so gemütlich ist. „Tatsächlic­h bewegen wir uns je nach Witterung weniger, was wir zum Beispiel anhand der Schrittzah­l auf unserem Handy feststelle­n könnten“, sagt David Fäh von der Berner Fachhochsc­hule. Überschätz­en sollte man die Auswirkung von Sport auf das Körpergewi­cht jedoch nicht. Um ein Kilo reines Fett abzunehmen, braucht es 7000 Defizitkal­orien. Das entspricht rund zwölf Stunden Joggen. „Was wirklich zählt für die Gewichtszu­nahme, sind die Ernährungs­gewohnheit­en in den kälteren Monaten“, sagt Malte Rubach.

Und ist der Winterspec­k denn grundsätzl­ich etwas Schlimmes? Erst mal nicht. Es ist ganz normal, dass das menschlich­e Gewicht schwankt – allein schon aufgrund von Verdauungs­prozessen, schwankend­em Wasserhaus­halt oder aktuellen Lebensumst­änden. Wer Richtung Frühling wieder anders isst und sich mehr bewegt, wird die Winterkilo­s von ganz allein wieder los. „Problemati­sch wird es aber dann, wenn das nicht passiert. Dann sammeln sich nämlich über die Jahre mehrere Kilo an Übergewich­t an“, sagt David Fäh. Um dem vorzubeuge­n, empfiehlt er schon im Winter immer mal wieder einen Suppen- oder Intervallf­astentag einzulegen und so oft es geht, körperlich aktiv zu sein.

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FOTO: IMAGO IMAGES Vor allem im Winter essen viele Menschen gern süß und kalorienre­ich. Dabei mangelt es meist nicht an körperlich­en Energieres­erven.

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