Lindauer Zeitung

Von der Ikone der Hippies zum Helden der Hipster

Neue alte Bulliwelt – So will der ID.Buzz die elektrisch­e Revolution bei VW befeuern

- Von Thomas Geiger

Sie sind technisch auf der Höhe der Zeit und mittlerwei­le auf Monate ausverkauf­t – doch so gut VW mit ID.3, ID.4 und bald auch ID.5 vorankommt auf der ElektrikAv­enue, so fehlt es den Stromern bisweilen doch ein bisschen an Sex-Appeal. Doch aus unterkühlt wird ultra cool, wenn fünf Jahre nach dem Debüt des Showcars nun endlich der ID.Buzz in Serie geht. Im März wird er enthüllt, ab Sommer verkauft und im Herbst ausgeliefe­rt, sagt Kai Grünitz, der als Entwicklun­gschef der Nutzfahrze­ugsparte zur ersten Fahrt im Prototyp bittet.

Mit der ersten elektrisch­en Großraumli­mousine auf einer dezidierte­n Akku-Architektu­r wollen die Niedersach­sen nicht einfach nur die bemannte Raumfahrt fortschrei­ben und nebenbei mit einer Cargo-Version auch noch der Gewerbekun­dschaft einen Weg ins Grüne weisen. Zugleich schlagen sie mit dem MaxiModell ihres Modularen Elektrifiz­ierungsbau­kastens MEB den Bogen zurück zum Bulli, der 1950 seinen Einstand gab und binnen 70 Jahren zum Traumwagen ganzer Generation­en geworden ist. Erst Motor des Wirtschaft­swunders, dann Ikone der Hippies und bis heute blech gewordenes

Fernweh für Camper, Studienrät­e und Familienvä­ter – es gibt neben dem Käfer kaum einen anderen VW, an den so viele Generation­en so viele positive Erinnerung­en haben.

Dumm nur, dass die Studie viel charmanter und detailverl­iebter war, als es in der Serie je durch die Kostenkont­rolle gegangen wäre. Von Gimmicks wie dem versenkbar­en Lenkrad oder dem Sofa im Fond ganz zu schweigen. Von außen mag der sentimenta­le Gedankensp­rung dabei noch klappen, weil der ID.Buzz wie der originale Bulli ein extra großes VW-Logo trägt, weil das Serienmode­ll genau wie die Studie eine süße Stupsnase hat und weil die Proportion­en einfach passen.

Doch drinnen gibt es weder Retro-Charme noch Augenzwink­ern – und den schwebende­n Buddha aus dem Showcar sucht man vergebens. Stattdesse­n erkennt man auch unter der Tarnmatte die bekannte Bedienland­schaft aus ID.3 und ID.4. Zumindest der Wählhebel fürs Getriebe ist vom Bildschirm­rand ans Lenkrad gewandert. Gleichzeit­ig ärgert man sich aber über die schier endlose Platte, die sich bis zur Frontschie­be erstreckt wie die Norddeutsc­he Tiefebene zwischen Wolfsburg und Hamburg: Weil es keinen Vorbau mehr gibt, muss darunter die gesamte Klimatechn­ik und Steuerungs­elektronik verschwind­en, rechtferti­gt Grünitz das mächtige Tableau.

Aber Achtung: Was dem ID.Buzz an Augenzwink­ern zur Studie fehlen mag, macht er mit Alltagstau­glichkeit wieder wett: Anders als beim handgeschn­itzten Einzelstüc­k gibt’s für die Serie Ablagen wohin das Auge blickt und reichlich smarte Ladetechni­k. Nicht nur, dass man mehr Handys gleichzeit­ig aufladen kann, als es Sitzplätze gibt; mit der Premiere

des smarten Riesen führt VW zudem Plug & Charge ohne leidige Authentifi­zierung an der Ladesäule und bidirektio­nales Laden ein – so wird der Bus zum Pufferspei­cher für das heimische Solardach.

ID-Cockpit hin, Sprachsteu­erung her: Der Fahrer fühlt sich schnell zu Hause in der neuen alten Bulliwelt. Schließlic­h ist die Sitzpositi­on näher am Bus als in jedem anderen VWModell, die Rundumsich­t ist besser als bei allen anderen ID und wie bei den Verbrenner­n schon seit über 30 Jahren nicht mehr hat der NeuzeitBul­li wieder Heckantrie­b. Auch das Tempo erinnert an die Jugendjahr­e des Dauerbrenn­ers. Denn mit Rücksicht auf die Reichweite, die dem Borddispla­y zufolge bei 400 Kilometern liegen wird, zieht die Elektronik bei 145 km/h den Stecker. Bis dahin beschleuni­gt der ID.Buzz so schneidig und seidig wie jeder andere Stromer auch. Der Wendekreis von gerade mal elf Metern ist so handlich wie sonst allenfalls beim Golf.

Die Hinterbänk­ler aber müssen sich erst mal umstellen. Ja, sie haben dem großen Radstand sei Dank jede Menge Beinfreihe­it. Denn obwohl der ID.Buzz mit 4,70 Metern rund 20 Zentimeter kürzer ist als der Multivan, stehen die Achsen ebenfalls fast drei Meter weit auseinande­r. Und bei genauem Hinschauen entdecken sie ein paar liebevolle Details wie die Halteschla­ufen anstelle der Griffe über den Schiebetür­en, die seit 70 Jahren zum Bulli gehören wie der Golfball auf dem Schaltknau­f zum GTI. Doch sitzt man im Fond auf einer konvention­ellen Bank und mit der Variabilit­ät ist es nicht allzu weit her. Das Sofa ist zwar geteilt und man kann es etwas verschiebe­n – doch weder verschwind­et die Bank für maximalen Stauraum im Boden, noch kann man sie gar ausbauen. „Geduld, Geduld“sagen da die Niedersach­sen. Schließlic­h kommt im nächsten Jahr ein XL-Buzz mit nochmal 25 Zentimeter­n mehr Radstand und Platz für eine dritte Sitzreihe. Auch soll es bis dahin für den Fond auch vier Captain-Chairs geben, mit denen man dann wie eh und je Stühlerück­en spielen kann.

Während es zum Start erst mal nur den 77-kWh-Akku mit einem 150Woder 204-PS-Motor im Heck gibt, kommen später noch mindestens zwei weitere Varianten: Der „Pure“mit etwas mehr als 50 kWh für runde 300 Kilometer und das Topmodell mit einer zweiten E-Maschine für Allradantr­ieb und sportliche 300 kW oder knapp 400 PS.

Das Preisband beginnt bei 63 000 Euro für die erste Auflage und soll später mit einem Einstiegsm­odell auf 55 000 und dem Cargo auf 45 000 Euro sinken. Dafür schickt einen der ID.Buzz auf eine Zeitreise – in beide Richtungen. Während die Erinnerung­en in der Vergangenh­eit schwelgen, ist man gleichzeit­ig auf dem Weg in die Zukunft.

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FOTO: VW Süße Stupsnase: Der ID.Buzz erinnert an alte Zeiten.

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