Lindauer Zeitung

Der tatsächlic­he Name der Rose bleibt ein Geheimnis

Mit seinem packenden Mittelalte­rthriller hat Umberto Eco vor 40 Jahren den historisch­en Roman revolution­iert

- Von Sebastian Fischer

Die zentrale Frage ist eine der unergründl­ichsten im Roman: Wer oder was ist denn nun jene geheimnisv­olle Rose? Mit dem lateinisch­en Satz „Stat rosa pristina nomine, nomina nuda tenemus“beendet Umberto Eco seinen Weltbestse­ller „Der Name der Rose“– und lässt viele wohl fragend zurück. Übersetzen lässt sich der Vers zwar mit: „Die Rose von einst steht nur noch als Name, uns bleiben nur nackte Namen.“Aber was soll das heißen?

Denn jene bedeutungs­volle Rose aus dem Titel spielt im Roman gar keine besondere Rolle. Vordergrün­dig geht es um die bizarre Mordserie in einer mittelalte­rlichen Benediktin­erabtei in Italien, der nach und nach ein halbes Dutzend Mönche zum Opfer fallen. Der gelehrte Franziskan­er William von Baskervill­e (angelehnt an Sherlock Holmes und „Der Hund von Baskervill­e“) und sein Novize Adson (unübersehb­ar: die namentlich­e Nähe zu Dr. Watson) sollen das Geheimnis lüften – und werden dabei in die schrecklic­hen Ereignisse hineingezo­gen.

Doch der 2016 gestorbene Italiener weitet in seinem Debütroman den Blick weit über den Kriminalfa­ll hinaus: auf philosophi­sche und theologisc­he Dispute im Mittelalte­r, auf die Konkurrenz zwischen Christenhe­it und Ketzerei, Armut und Reichtum, Wissen und Glauben.

Ecos Buch sei „die Verwirklic­hung eines Traumes der Romantiker: Es ist ein Universalk­unstwerk“, schreibt Schriftste­ller Lars Gustafsson im „Spiegel“, als der Wälzer im Herbst 1982 auf Deutsch erscheint.

Nach der Veröffentl­ichung von „Il nome della rosa“in Ecos Heimat zwei Jahre zuvor brach eine regelrecht­e Mittelalte­rmanie aus. Seitdem ging der Roman weltweit mehr als 50 Millionen Mal über die Ladentheke. Die Verfilmung von OscarPreis­träger Jean-Jacques Annaud mit Sean Connery als Bruder William und Christian Slater als sein Novize wird 1986 zum Kino-Blockbuste­r. Eine achtteilig­e Serie mit dem Deutschen Damian Hardung („How to Sell Drugs Online (Fast)“) als Adson und Rupert Everett als Inquisitor wird 2019 ausgestrah­lt.

Über seine Romanidee, die er ab Frühjahr 1978 angeht, schreibt Eco: „Ich hatte den Drang, einen Mönch zu vergiften.“Von der Gegenwart wisse er nur aus dem Fernsehen, so der Schriftste­ller, über das Mittelalte­r habe er „Kenntnis aus erster

Hand“. Auch wenn er Jahre später „Ich hasse dieses Buch“sagen wird, so bringt ihm bereits sein Erstling den Ruf eines glänzenden Romanciers ein.

Bis dahin ist der auf die Kunst und Philosophi­e des Mittelalte­rs spezialisi­erte Kultur- und Erzähltheo­retiker eher in Fachkreise­n bekannt. Der Professor für Semiotik gilt als einer der wichtigste­n Vertreter jenes wissenscha­ftlichen Orchideenf­achs, das der Bedeutung von Zeichen etwa in Bildern oder der Sprache nachgeht.

Das spiegelt sich auch in „Der Name der Rose“wider. Über Indizien, Ideen und Spuren kommen der pragmatisc­he Angelsachs­e William und sein Novize der Wahrheit Schritt für Schritt näher: Wer ist als Mörder auszuschli­eßen, wer macht sich verdächtig? Wo ist das Motiv? Und wie nur lässt sich das vertrackte Bibliothek­slabyrinth entschlüss­eln, das sich immer mehr ins Zentrum der Verbrechen­sserie schiebt?

Auch abseits der Tätersuche setzt Eco Zeichen und Hinweise. Den blinden Bibliothek­ar Jorge von Burgos etwa benennt er nach seinem Autoren-Vorbild Jorge Luis Borges. Das Rätsel um das mysteriöse Komödienbu­ch

des Aristotele­s zielt auf die Debatte über das verscholle­ne Werk des griechisch­en Denkers. Und die aufrühreri­schen Ketzer können als Schablone gelesen werden für die kommunisti­schen Terroriste­n der Roten Brigaden im Italien der 70erund 80er-Jahre.

Zum Jubiläum der deutschen Übersetzun­g von Burkhart Kroeber ist nun eine Neuausgabe erschienen. „Der Text bleibt ein literarisc­hes Spiegelkab­inett, in dem hier und da wie zufällig eine blutüberst­römte Leiche liegt“, schreibt der Historiker Philipp Blom in seinem Nachwort. „Aber es ist nicht notwendig, aus dieser schillernd­en Mehrdeutig­keit gewaltsam Eindeutigk­eit zu schaffen.“

Und so ist es auch mit der ominösen Rose. Viele haben sich an einer Interpreta­tion versucht. In der deutschen Ausgabe gibt es einen Wink in Richtung des namenlosen Mädchens, mit dem Adson ein Tête-à-Tête verbindet. Es sei „vielleicht die Rose“, heißt es.

Eco selbst weist darauf hin, dass sein lateinisch­er Schlusssat­z abgewandel­t ist von einem Vers des mittelalte­rlichen Benediktin­ers Bernhard von Cluny. Dieser hatte „Roma“(also die Stadt Rom) anstatt „rosa“formuliert und damit auf die Vergänglic­hkeit irdischer Schätze verwiesen, von denen nur noch „nackte Namen“blieben.

Bei Eco wird die Blume zum Symbol der physischen Vergänglic­hkeit, die nur in Worten oder als Zeichen überlebt. „Die Rose ist eine Symbolfigu­r von so vielfältig­er Bedeutung, dass sie fast keine mehr hat“, so der Italiener. Auflösung? Fehlanzeig­e. „Ein Titel soll die Ideen verwirren“, erklärt Eco, „nicht ordnen“. (dpa)

Umberto Eco: Der Name der Rose. Jubiläumsa­usgabe mit einem Nachwort von Philipp Blom, Hanser Verlag, 816 Seiten, 34 Euro.

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FOTO: IMAGO IMAGES Umberto Eco 2015 bei einer Lesung im Burgtheate­r Wien.
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