Wenn Frauen trommeln wollen
Das Ravensburger Rutenfest gilt als Männerdomäne – Nun gründen zwei Schülerinnen eine Trommlergruppe – Es rührt sich Widerstand
Von Dirk Grupe
- Amy Gruberts Liebe und Leidenschaft zum Ravensburger Rutenfest wurde schon in jungen Jahren auf die Probe gestellt. Nämlich bei der Rollenzuteilung für den historischen Festumzug. „Ich war immer unzufrieden mit den Kostümen“, sagt die heute 17-Jährige und lacht. Einmal musste sie sich in einen Lumpensammler verwandeln, dann in eine Magd, was irgendwie noch in Ordnung war. „Zwei Jahre infolge war ich jedoch Knappe und durfte neben einer Kutsche herlaufen.“Ein überdimensionaler Hut und eine Lanze vervollständigten den burschikosen Auftritt, während ihre Freundin mit hübschem Kleid in der Kutsche saß. Erinnerungen, die sie heute amüsieren. Damals konnte sie nicht ahnen, dass ihr in späteren Jahren nicht einmal eine Männerverkleidung den Zugang zu den bewunderten und stolzen Trommlergruppen der Jungs verschaffen könnte. Als sich Amy Grubert und ihre Freundin Dila Tütünci dieser Ausgrenzung bewusst wurden, haben sie eine eigene Trommlergruppe gegründet – ausschließlich für Mädchen. Die erste in der rund 380 Jahre alten Geschichte des Heimatfestes. Eine Revolution. Und eine harte Probe für manchen Traditionalisten.
Brauchtum ist Männersache, geprägt von Bruderschaften und abgeschlossenen Zirkeln, in denen Geschäfte gemacht und Posten verteilt werden. In denen das Geschlecht über Teilnahme oder Ausschluss entscheidet. So war es über Jahrhunderte und Jahrzehnte, die Zeiten haben sich jedoch geändert. Strukturen brechen auf, Frauen werden vielerorts und auf verschiedenen Ebenen als Bereicherung angesehen. Der Kampf für Gleichstellung ist jedoch zäh und hart, bis Ende des 19. Jahrhunderts sollten Frauen nicht einmal Fahrrad fahren (ungesund, unweiblich, unmoralisch), in der Schweiz erhielten sie erst 1971 das Wahlrecht, im Kanton Appenzell sogar erst 1990, nicht selten mussten Gerichte die Gegenwehr brechen. Was bisweilen auch im Brauchtum nötig ist, das sich mancherorts mit Wandel und Weiterentwicklung noch immer schwertut. Das gilt nicht nur, aber auch für Ravensburg.
Amy Grubert und Dila Tütünci vom Spohn-Gymnasium, beide in der Stadt der Türme geboren, beste Freundinnen seit der dritten Klasse, sind mit dem Rutenfest aufgewachsen, das ihnen immer Herzensangelegenheit und Höhepunkt des Sommers war. „Als Kind habe ich mich jedes Jahr auf das Fest gefreut, es gab nichts Schöneres“, erzählt Dila Tütünci. Genauso vorfreudig war ihre Freundin, die in den Tagen vor dem Auftakt aufgeregt und mit einer Trommel durch die Wohnung zog, im Schlepptau ihre mit der Fahne schwingende Schwester. Ebbte im Gymnasium die Begeisterung für Marschmusik etwas ab („zu uncool“), nahm sie mit den Jahren wieder zu – und mündete in einer riesigen Enttäuschung. Als alle Schüler in der zehnten Klasse ein Anschreiben zu den Wahlen für die Trommlergruppen erhielten, versehen mit einem Hinweis wie aus einer anderen Zeit: „Nur für Jungs“.
„Das tat weh“, sagt Grubert. Waren Jungen und Mädchen einer Klasse doch seit vielen Jahren zusammen, hatten sich gemeinsam von Kindern zu Teenagern entwickelt, im Guten wie im Schlechten prägende Erfahrungen geteilt. Bis ein einziger Satz Gleichgewicht und Gemeinsamkeit ins Wanken bringt. Eine Schieflage erzeugt, die sich beim traditionellen Adlerschießen fortsetzt. Dort dürfen inzwischen zwar auch Frauen mit der Armbrust ansetzen, doch in einem getrennten Wettbewerb und erst wenn die Jungs ihren König unter Jubel schon gekrönt haben. „Es ist hart zu sehen, dass einem vor der eigenen Haustür nicht die gleichen Rechte zugestanden werden wie den Jungs“, sagt Tütünci.
Nun flammen in Ravensburg die Debatten um eine rein weibliche Trommlergruppe seit Jahren immer wieder auf, mit stets niederschmetterndem Ausgang. So beschlossen erst vor einer Weile die Gruppen Landsknechte, Troko, Fahnenschwinger und Schützentrommler einmütig, auch künftig keine Frauen in ihre Reihen aufzunehmen. „Da war uns klar, dass sich auch in zehn Jahren nichts ändern wird“, sagt Grubert, die enttäuscht war, dass es auch keine Alternativvorschläge gab, kein Entgegenkommen für ihr brennendes Anliegen, als wolle man sagen: Thema vom Tisch – und jetzt lasst es doch bitte sein. „Das war der Punkt, an dem ich die Freude am Rutenfest verloren hatte.“
Die überraschende Wende leitete ihr früherer Physiklehrer und Schützenvater Michael Hammer ein, der auf die Mädchen zuging: „Wollt ihr beiden es nicht versuchen?“Und wie sie wollten! Allerdings verbunden mit der Sorge des Schützenvaters, dass auf die Mädchen künftig Drohungen einprasseln könnten.
Keine unberechtigte Befürchtung, denn so ergeht es 2005 der damals 13jährigen Johanna Oswald, die als Gymnasiastin erst den Schützenwettbewerb gewinnt und in der Euphorie des Erfolges mithilfe eines Schlagzeuglehrers eine rein weibliche Trommlergruppe gründen möchte. Ein Desaster für die Schülerin. Sie wird gemobbt, öffentlich als „DrecksEmanze“beschimpft und bekommt in Vulgärsprache noch weitaus Schlimmeres zu hören. „Was ich damals in Ravensburg erlebt habe, wünsche ich niemandem“, sagt sie vor zwei Jahren der „Schwäbischen Zeitung“. Übel attackiert werden auch zwei Studenten, einst selber Trommler beim Rutenfest, die erst vor drei Jahren in einem Leserbrief fordern, „jungen Frauen und Mädchen an den Ravensburger Schulen nicht weiter die Teilhabe an den Trommlergruppen“zu verweigern. Die Empörung folgt prompt, in einer Altstadtkneipe werden ihnen Prügel angedroht, von Nestbeschmutzern und Wichtigtuern ist die Rede, in Onlinekommentaren von „postmodernem Wahnsinn“, von „gruseligen Argumenten“, „Männer mischen sich ja auch nicht bei Thermomix-Abenden ein“, oder „gönne den Damen die Blasen an den Händen“.
Nun spiegeln diese Reaktionen, vor allem in Ausdrucksweise und Abwertung, mehr die Spitze wider, denn die Breite. Dass es beim Fest der Feste am Willen für Veränderungen mangelt, ist allerdings kaum zu übersehen. „Das haben wir schon immer so gemacht“, ist ein gern gesagter Satz.
Dass sich auch andere Städte mit Erneuerung beim Brauchtum schwertun, zeigt sich in Memmingen, als eine Frau vor Gericht zieht, um beim traditionellen Fischertag im Stadtbach nach der dicksten Forelle jagen zu dürfen, was bis dahin allein den Männern zusteht, die so ihren „Fischerkönig“küren. Durch zwei Instanzen muss die Klägerin, bis das Landgericht feststellt, dass der Zweck des Fischertagvereins nicht im Gedenken an althergebrachte Rollenverteilungen liege. Worauf die „Berliner Zeitung“süffisant titelt: „Frauen dürfen jetzt auch Fische angeln“.
Um Rollenverteilung geht es auch beim Blutritt im oberschwäbischen Weingarten, der 1529 erstmals Erwähnung findet – und stets den Männern vorbehalten war. Pfarrer und Blutreiter Ekkehard Schmid sagte kürzlich zur „Schwäbischen Zeitung“: „Wenn ich sehe, da wird niemandem Schaden zugefügt, dann verstehe ich nicht, dass Kirche hier eher Kränkungen und Verletzungen produziert, anstatt dass sie Leben ermöglicht.“Womit er auch den Ausschluss von Frauen beim Blutritt meint. Inzwischen ist es den Blutreitergruppen freigestellt, ob sie Frauen aufs Pferd lassen, inwiefern sie das Angebot annehmen, wird sich erst nach der Pandemie zeigen. Die Skepsis ist auf alle Fälle groß, vielerorts heißt es abwehrend: „Die Frauen wollen doch gar nicht mitreiten.“
Mag sein, doch wie sollten sie auch, wenn es dafür keine Offenheit gibt, wenn eine entsprechende Kultur auch vom vermeintlich starken Geschlecht nicht ehrlich und offensiv vorgelebt wird. Ist dem aber nicht so, braucht es einzelne mutige Frauen, die gegen Widerstände auf ein Fahrrad steigen oder ihr Wahlrecht einfordern. Es braucht junge Frauen wie Amy Grubert und Dila Tütünci. Die übrigens nicht alleine dastehen.
„Anfangs haben wir mit zwei, drei Mädchen gerechnet“– nun wollen gleich 17 Gymnasiastinnen beim Rutenfest mittrommeln und -musizieren, die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Der Entwurf für die Kostüme in den Stadtfarben BlauWeiß steht bereits, an Logo und Name wird fieberhaft gearbeitet, diese Woche werden die Instrumente bestellt; Pikkoloflöten, Chalumeaus und Basstrommel. „Wir wollen laut sein“, sagen die Mädchen, die moderne Stücke spielen, die weniger militärisch klingen.
„Seit einem Dreivierteljahr können wir an nichts anderes mehr denken“, sagt Grubert über den geplanten Umbruch, für den Stadt, Fördervereine, Unternehmen und Privatpersonen finanzielle Unterstützung signalisieren. Nicht minder wichtig und bedeutsam: Die Trommlergruppen Troko und Landsknechte aus diesem und aus dem letzten Jahr wollen den Mädchen helfen. „Das hat uns sehr gefreut, darüber sind wir glücklich und das macht es uns auch leichter.“An Kritik aus ihrem Umfeld fehlt es trotzdem nicht.
„Es war doch in den vergangenen 100 Jahren gut, warum lasst ihr es nicht so?“, heißt es da. „Die Trommeln sind doch viel zu schwer für euch“, „Schafft ihr das alles denn überhaupt?“, „Brecht doch lieber früher ab, als dass es später nicht funktioniert.“Und immer wieder: „Ihr seid ja auch sexistisch, weil ihr keine Jungs zulassen wollt.“Dazu entgegnet Tütünci: „Wir sind nicht gegen Jungs. Aber das Verhältnis stimmt derzeit nicht.“Weil Jungs schon jetzt zwischen verschiedenen Trommlergruppen wählen können. „Mädchen dagegen können nicht sagen: ,Ich mache mit oder nicht’ – sie haben überhaupt keine Wahl.“Das soll sich nun ändern. Auch wenn es wie in der Vergangenheit noch zu harschen oder beleidigenden Kommentaren kommen sollte. „Wir sind auf wirklich alles vorbereitet“, betont Grubert. „Manche haben eben ein toxisches Verhältnis zum Wort Tradition. Die wollen keine Veränderung.“
Dabei ist es ein historisches Missverständnis, dass sich Bräuche nicht verändern dürfen. Viele sind über die Jahrhunderte hinweg nur deshalb lebendig geblieben, eben weil sie sich verschiedenen Verhältnissen immer wieder angepasst haben, wie der Bayerische Landesverein für Heimatpflege bestätigt. „Gesellschaftlicher Wandel zwingt auch Bräuche und Traditionen zur Veränderung.“
Dila Tütünci und Amy Grubert dürften genau die Richtigen sein, um diesen Wandel voranzutreiben, die klug und unvoreingenommen rüberkommen, die jene wichtige Mischung aus Anspannung, Tatendrang und Respekt vor der Herausforderung mitbringen. Die mit Enthusiasmus ihr Rutenfest leben und lieben, das sie künftig auf Augenhöhe begleiten wollen. Unüberhörbar und der Männerverkleidung längst entledigt.
Bayerischer Landesverein
für Heimatpflege