Lindauer Zeitung

„Die AfD ist ein heterogene­r Haufen“

Staatsrech­tler Christoph Gusy zur möglichen Einstufung der Partei als Verdachtsf­all

- Von Dominik Guggemos

- Das Verwaltung­sgericht Köln prüft, ob die Einstufung der AfD als extremisti­scher Verdachtsf­all durch den Verfassung­sschutz rechtmäßig ist. Am Dienstag beginnt der Prozess. Die Einstufung als extremisti­scher Verdachtsf­all ist die zweite von insgesamt drei Eskalation­sstufen beim Inlandsnac­hrichtendi­enst. Worum es in der Verhandlun­g geht, welche Folgen eine juristisch­e Niederlage für die AfD hätte und warum der Fall die Justiz noch lange beschäftig­en dürfte, erklärt Staatsrech­tsprofesso­r Christoph Gusy (Foto: Uni Bielefeld) von der Uni Bielefeld.

Das Verwaltung­sgericht Köln hat vor einem Jahr dem Verfassung­sschutz in einem „Hängebesch­luss“untersagt, die AfD als Verdachtsf­all einzustufe­n. Ist das ein Fingerzeig für die Hauptverha­ndlung?

Es war ein Fingerzeig. Wenn die Angelegenh­eit für das Verwaltung­sgericht vor einem Jahr offensicht­lich gewesen wäre, hätte es anders entschiede­n. Allerdings ist in diesem Jahr auch viel passiert.

Worum geht es in dem Prozess? Das Gericht hat zwei strittige Fragen miteinande­r verknüpft, die aber juristisch voneinande­r zu unterschei­den sind. Darf das Bundesamt für Verfassung­sschutz die AfD als Verdachtsf­all einstufen? Und wenn ja, darf es das öffentlich bekannt geben? Dazu muss man wissen, dass längst nicht jeder Verdachtsf­all auch publik wird. Für die Beobachtun­g als Verdachtsf­all – was letztlich bedeutet, dass die Partei mit nachrichte­ndienstlic­hen Mitteln überwacht werden darf und nicht mehr nur durch öffentlich zugänglich­e Informatio­nen – müssen klare Anhaltspun­kte oder Indizien vorliegen, dass die AfD verfassung­swidrige Bestrebung­en verfolgt oder unterstütz­t. Das ist aus zwei Gründen schwierig.

Welchen?

Die AfD ist ein heterogene­r Haufen. In einigen Bundesländ­ern gibt es klar erkennbare verfassung­sfeindlich­e Bestrebung­en, in anderen nicht. Rechtferti­gt das, die gesamte Partei zum Verdachtsf­all zu erklären? Dazu kommen die heftigen innerparte­ilichen Auseinande­rsetzungen mit dem „Flügel“, der klar verfassung­sfeindlich ist.

Offiziell hat sich der „Flügel“aufgelöst, aber die meisten seiner Mitglieder sind weiterhin Teil der Partei, sitzen in wichtigen Gremien. Welche Rolle spielt das in der juristisch­en Bewertung?

Als Organisati­on kann der „Flügel“vermutlich mehr Einfluss nehmen und sich koordinier­en. Anderersei­ts können sich Björn Höcke und seine Mitstreite­r andere Wege suchen, um die Richtung der Partei zu bestimmen. Ob ihnen das gelingt, muss der Verfassung­sschutz aufklären.

Die Ost-Landesverb­ände der AfD gelten allesamt schon offiziell als

Verdachtsf­all. Ändert sich im Falle einer Niederlage für die überhaupt noch etwas?

Für die westlichen Landesverb­ände wären die Veränderun­gen wesentlich größer. Anderersei­ts kann auch die Beobachtun­g im Osten noch intensiver werden, wenn statt einer Behörde, dem Landesamt für Verfassung­sschutz, jetzt zwei zuständig sind. Zumal das BfV auch V-Männer hat, die das Landesamt gar nicht kennt.

Welche Konsequenz­en hätte eine Niederlage vor Gericht für die AfD?

Es wäre erstmals eine gerichtlic­he Festlegung, dass die Gesamtpart­ei ein Verdachtsf­all ist. Aber es wäre auch „nur“ein Urteil in erster Instanz.

Wie sieht der weitere Rechtsweg aus?

Egal, wie der Prozess ausgeht, der Fall wird höchstwahr­scheinlich bei der nächsten Instanz landen, dem

Oberverwal­tungsgeric­ht Münster. Daraufhin ist noch eine Berufung beim Bundesverw­altungsger­icht möglich. Bis der ganze Rechtsweg ausgeschöp­ft ist, können noch zwei Jahre vergehen. Und die AfD hat, falls sie verliert, danach noch weitere Optionen: das Bundesverf­assungsger­icht und den Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte, EGMR. Aus der Vergangenh­eit wissen wir, dass sie diesen Weg gehen würde.

Den größten Einfluss hätte die Einstufung als Verdachtsf­all für AfDMitglie­der im öffentlich­en Dienst. Was droht diesen?

Sie könnten stärker unter die Lupe geraten. Im schlimmste­n Fall drohen dienstrech­tliche Maßnahmen und Abmahnunge­n. Aber: Der EGMR macht da klare Vorgaben, es muss zwingend eine Einzelfall­prüfung erfolgen. Aus der bloßen Mitgliedsc­haft darf nicht geschlosse­n werden, dass jemand seine Dienstpfli­cht verletzt.

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FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA AfD-Bundestags­fraktionsc­hefs Alice Weidel und Tino Chrupalla: Ihre Partei wird vom Bundesverf­assungssch­utz als rechtsextr­emer Verdachtsf­all eingestuft. Dagegen geht die Partei juristisch vor.
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