Der Kampf ums Überleben
Russlands Vormarsch stößt auf erbitterten Widerstand – Wie sich der Krieg in der Ukraine weiter entwickeln könnte
(dpa) - Zwischen Partisanenkampf und Volksaufstand: Mit schnellen und flexiblen Schlägen haben ukrainische Soldaten die russische Offensive verlangsamt und stellenweise gar in den Rückwärtsgang gezwungen. Das hatten auch viele westliche Militärexperten kaum erwartet. Fest steht: Der russische Präsident Wladimir Putin hat sich mit seinem Angriffskrieg gründlich verrechnet.
Nehme man die Versorgung der russischen Soldaten mit Treibstoff und Lebensmitteln zum Maßstab, müsse Putin an einen Sieg binnen vier Tagen geglaubt haben, sagte ein westlicher Regierungsvertreter in Berlin. Stattdessen habe sich die Kolonne der Angreifer – wegen Spritmangels, mechanischer Ausfälle und ukrainischer Angriffe – auf bis zu 70 Kilometer gestaut.
Dazu sei ein Vertrauensverlust russischer Soldaten gekommen, von denen einige erst beim Überqueren der Grenze verstanden hätten, dass dies keine Übung mehr sei. Westliche Nachrichtendienste werten die Vielzahl von Fotos und Videos mit zerstörten russischen Panzern genau aus. Als wahrscheinlich gilt auch, dass mindestens drei ranghohe russische Kommandeure getötet wurden, als sie versuchten, den stockenden Vormarsch wieder voranzubringen.
Mit der Lieferung von leichten, schultergestützten Waffen unterstützen Nato-Staaten – inzwischen auch Deutschland – die Taktik der Ukraine. 1000 moderne Panzerfäuste und 500 Stinger-Flugabwehrraketen wurden aus Berlin geliefert. Sie zwingen russisches Fluggerät in Höhen von teils über 3000 Metern, wodurch jedoch die Treffgenauigkeit sinkt.
Überraschend setzten die USA eine Überlassung von Kampfjets an die Ukraine auf die Tagesordnung. In der ersten Phase des russischen Angriffs hatte sich ein unter Druck geratener ukrainischer Kampfpilot in seiner SU-27 in den Nato-Staat Rumänien abgesetzt, war dort später aufgetankt worden und wieder in den umkämpfen Luftraum seiner Heimat zurückgeflogen – ein Vorgang, der inzwischen politisch schon brenzliger wäre.
Putin lässt es nun verstärkt mit der Brechstange versuchen. Wo er keinen militärischen Erfolg habe, lasse er umso brutaler dazwischenschlagen, sagte der ehemalige NatoGeneral Hans-Lothar Domröse. „Die erhofften Bilder, winkende Frauen mit Blumensträußen und strahlende Kinder, die waren ja nicht da. Er hat wahrscheinlich nicht mit diesem heldenhaften Widerstand der ukrainischen Bevölkerung, angeführt von diesem vorbildlichen Präsidenten Selenskyj, gerechnet.“
Die Ukrainer kämpften schon jetzt partisanenartig und bereiteten damit der russischen Militärmacht Probleme. „Das ist ein Partisanenkrieg der allergrößten Art. Das ist ein Afghanistan 2.0, was er erlebt. Die ergeben sich nicht, ganz offensichtlich
– und das ist wohl auch richtig“, meinte Domröse. „Das ist ein Fass ohne Boden. Das ist kein easy win für ihn. Das wird fürchterlich.“
Die Ukraine könne den Krieg moralisch gewinnen, sagte Domröse dazu. Putin könne ihn technisch-taktisch gewinnen. Das zeigen auch die heftigen Attacken auf ukrainische Städte, auch auf Kosten einer humanitären Katastrophe. Bereits im Syrien-Krieg in Aleppo und in Tschetscheniens Hauptstadt Grosny ließ Putin seine Armee so vorgehen und hinterließ völlig zerstörte Städte. Der Präsident werden im Zweifel noch weiter gehen, die Ukraine im schlimmsten Fall zerschlagen und die Bevölkerung als Geisel nehmen.
Was die Möglichkeit eines militärischen Sieges der Ukraine angeht, war Domröse aber überaus skeptisch. Ein anderer, noch aktiver ranghoher Offizier meinte, ein Sieg käme einer Art Wunder gleich. Allerdings könne die Ukraine den Vormarsch erheblich verzögern, während um die Welt die Bilder von Toten und Verletzten gehen, auch unter den russischen Soldaten.
Dagegen sagte der frühere NatoGeneral Egon Ramms am Sonntagabend in der ARD, er halte einen Sieg der Ukraine durchaus für möglich, und der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk warb darum, sein Land nicht aufzugeben.
Putins Entscheidung, schon nach wenigen Tagen die „Karte nuklearer Bedrohung“zu ziehen, zeige dessen „wachsende Verzweiflung“, schrieb Efraim Halevy, früherer Chef des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad, in der Tagezeitung „Haaretz“. Er machte Mangel an Erfahrung und Motivation bei den einfachen russischen Soldaten aus. Russland sei international isoliert, Putins Prestige schwer beschädigt – international und auch in der Heimat. Die USA stünden vor der Herausforderung, wie der Ukraine geholfen werden, gleichzeitig aber Putin ein ehrenhafter Ausweg aus der Lage geboten werden könne.
Israel hat sich in die Verhandlungsbemühungen eingeschaltet. Aber die Zeichen im Kriegsgebiet scheinen nicht auf Frieden zu stehen. Putin habe sich einen schnelleren militärischen Vorstoß vorgestellt und nicht mit der Kampfkraft der Ukraine gerechnet, sagte in
Eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine galt wegen des Konflikts mit Russland bisher als ausgeschlossen, doch nun haben sich die EU-Staaten auf einen hoch symbolischen Schritt geeinigt: Sie brachten am Montag die Prüfung des ukrainischen Beitrittsantrags auf den Weg. Hoffnungen auf eine schnelle Mitgliedschaft kann sich das Land dennoch nicht machen – auch wenn sich die Ukraine gegen den russischen Angriff behaupten sollte.
Konkret einigten sich die Botschafter der EU-Länder nach Angaben der französischen Ratspräsidentschaft darauf, von der EU-Kommission eine erste Stellungnahme zum Kandidatenstatus für die Ukraine einzuholen. Auch die Anträge Georgiens und Moldaus sollen demnach geprüft werden.
Die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Länder dürften sich bei einem Gipfeltreffen im französischen Versailles am Donnerstag und Freitag mit dem Thema befassen. Vor allem östliche EU-Länder wie Polen und Slowenien hatten sich für eine Mitgliedschaft der Ukraine eingesetzt. (AFP)
Berlin die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann.
„Ich gehe davon aus, dass daher die Kämpfe noch lange anhalten werden und Putin vermutlich noch schmutzigere Angriffe starten wird. Er hält nicht mal sein Wort von angeblich nur Angriffen auf militärische Infrastruktur“, sagte die FDPPolitikerin. „Er tritt damit die Regeln des humanitären Völkerrechts mit Füßen. Dort ist festgeschrieben, dass in bewaffneten Konflikten das Leiden der Zivilbevölkerung gering gehalten wird.“
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