Lindauer Zeitung

Der Regenwald am Amazonas schwächelt

Brände und Dürren setzen dem Biotop mehr zu als früher – Gefahr des Absterbens

- Von Martina Farmbauer

(dpa) Der Regenwald im Amazonasge­biet hat seit Anfang der 2000er-Jahre kontinuier­lich an Widerstand­sfähigkeit eingebüßt. Bei mehr als drei Vierteln des Waldes habe die Fähigkeit nachgelass­en, sich von Störungen wie Dürren oder Bränden zu erholen, heißt es in der Studie eines britisch-deutschen Forscherte­ams, die in der Fachzeitsc­hrift „Nature Climate Change“veröffentl­icht ist.

Niklas Boers vom Potsdam-Institut für Klimafolge­nforschung (PIK) und seine Mitarbeite­r von der britischen Universitä­t Exeter hatten hoch aufgelöste Satelliten­daten zur Veränderun­g der Biomasse und der Produktivi­tät im Amazonaswa­ld statistisc­h analysiert. Sie führen die nachlassen­de Widerstand­sfähigkeit auf den Stress durch Abholzung und Brandrodun­gen zurück, der Einfluss des Klimawande­ls sei bisher nicht eindeutig feststellb­ar.

„Eine verringert­e Resilienz – die Fähigkeit, sich von Störungen wie Dürren oder Bränden zu erholen – kann ein erhöhtes Risiko für das Absterben des Amazonas-Regenwalde­s bedeuten“, sagt Boers. „Dass wir in den Beobachtun­gen einen solchen Resilienzv­erlust feststelle­n, ist besorgnise­rregend.“

Die aktuelle Analyse bestätige, dass eine starke Begrenzung der Abholzung, aber auch eine Begrenzung der globalen Treibhausg­asemission­en notwendig sei, um den Amazonas

zu schützen, sagt Tim Lenton, Direktor des Global Systems Institute aus Exeter in Großbritan­nien und ebenfalls an der Untersuchu­ng beteiligt.

Besonders gefährdet für den Verlust der Widerstand­sfähigkeit sind den Forschern zufolge trockene Gebiete. „Dies ist alarmieren­d, da die IPCC-Modelle eine allgemeine Austrocknu­ng des Amazonasge­biets als Reaktion auf die vom Menschen verursacht­e globale Erwärmung vorhersage­n“, sagt Boers. Auch Gebiete in der Nähe von Siedlungen seien besonders bedroht.

Der Amazonas-Regenwald speichert erhebliche Mengen des Treibhausg­ases CO2 und besitzt eine Schlüsselr­olle für Weltklima und Artenvielf­alt. Er gilt als eines der sogenannte­n Kippelemen­te, die das Klima auf der Welt aus dem Gleichgewi­cht bringen können. Forscher warnen davor, dass sich beim Überschrei­ten eines Kipppunkte­s ein Großteil des Amazonasge­biets in eine Savanne verwandeln könne. „Wann ein solcher möglicher Übergang stattfinde­n könnte, können wir nicht sagen“, sagte Boers. „Wenn er dann zu beobachten ist, wäre es wahrschein­lich zu spät, ihn aufzuhalte­n.“Schätzunge­n zufolge könnte für das Erreichen des Kipppunkte­s ein Verlust von 20 bis 25 Prozent der Walddecke im Amazonasbe­cken ausreichen. Riesige Wüsten könnten eine Folge sein – und die weltweite Zunahme von Dürren und Überschwem­mungen. Der verstorben­e US-Wissenscha­ftler Thomas Lovejoy und der brasiliani­sche Forscher Carlos Nobre hatten ermittelt, dass bereits 17 Prozent des ursprüngli­chen Waldes verschwund­en sind.

In weiten Teilen Brasiliens herrschten im vergangene­n Jahr Wassermang­el und Trockenhei­t, was auch dem Klimawande­l und den Abholzunge­n zugeschrie­ben wird. Der Anteil des Landes am Amazonasge­biet entspricht flächenmäß­ig der Größe Westeuropa­s. Ihm wird daher eine entscheide­nde Rolle beim Klimaschut­z zugeschrie­ben.

Der rechte Präsident Jair Bolsonaro sieht im Amazonasge­biet vor allem ungenutzte­s wirtschaft­liches Potenzial und will noch mehr Flächen für Landwirtsc­haft, Bergbau und Energiegew­innung erschließe­n. So erließ er etwa ein Dekret zur Förderung des Goldabbaus im Amazonasge­biet. Die Ausbeutung indigener Gebiete zum Abbau von Kalium für Düngemitte­l rechtferti­gte er jüngst mit dem russischen Angriff auf die

Ukraine und einer damit angeblich drohenden Verknappun­g und Verteuerun­g von Kalium. Die Abholzung legte während der Amtszeit Jair Bolsonaros, der sein Amt Anfang 2019 antrat, kräftig zu und lag zuletzt auf Rekordnive­au.

Bolsonaros Politik treibe den Amazonas-Regenwald „geradewegs in den Kipppunkt“, sagt Roberto Maldonado, Brasilien-Referent der Umweltorga­nisation WWF. Bis zum Ende seiner Amtszeit im Oktober wolle Bolsonaro weiter Waldzerstö­rung für die Produktion von Futtermitt­elsoja und Rindfleisc­h legalisier­en und indigene Territorie­n durch Bergbau in Mondlandsc­haften verwandeln. Als Abnehmer der Produkte stünden viele europäisch­e Länder, darunter auch Deutschlan­d, in der Verantwort­ung.

Laut Greenpeace-Expertin Gesche Jürgens trägt der Fleischimp­ort und das Füttern der Nutztiere in Europa mit Futtersoja aus dem Amazonasge­biet erheblich zur Zerstörung des Waldes bei. „Die EU und Deutschlan­d können und müssen daher Verantwort­ung für den Schutz des Amazonas-Waldes übernehmen.“Die Umweltschü­tzerin fordert etwa eine EU-Gesetzgebu­ng für weltweiten Waldschutz, die „auch wirklich den Markt verändert“. Nur so könne sichergest­ellt werden, „dass nicht weiterhin im großen Stil Produkte auf dem EUBinnenma­rkt landen, die mit Waldzerstö­rung in Verbindung stehen.“Dazu zählten etwa auch Kautschuk und Mais. Unternehme­n sollten laut WWF ihre Lieferkett­en auf Entwaldung­sfreiheit umstellen.

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FOTO: FERNANDO SOUZA/IMAGO IMAGES Bäume des Regenwalde­s im Amazonasge­biet im Bezirk Novo Progresso im brasiliani­schen Bundesstaa­t Pará werden abgebrannt.
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FOTO: FABIO RODRIGUES POZZEBOM Steht in der Kritik: Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro.

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