Der beliebteste Stuhl der Welt
Er ist billig, leicht und nicht besonders schön – Ein Buch spürt nun dem gigantischen Siegeszug des Plastikstapelstuhls Monobloc nach
Es sind nicht immer die schönen Dinge, die Weltkarriere machen. Um ehrlich zu sein: Der Monobloc macht aus ästhetischer Sicht wenig her. Er ist nicht allzu bequem und wird im Alter auch nicht schöner. Trotzdem ist der Monobloc, wie sich der stapelbare Kunststoffstuhl aus dem Baumarkt offiziell nennt, ein gigantisches Erfolgsmodell. Eine Milliarde Exemplare sollen weltweit im Einsatz sein. Damit ist er das am häufigsten produzierte Möbelstück aller Zeiten.
Hauke Wendler wollte es genauer wissen. Der Hamburger Fernsehjournalist hat gerade beim Hatje Cantz Verlag ein Buch zum „Monobloc“veröffentlicht, für das er die gesamte Welt bereiste, um festzustellen, dass in Sachen Plastikstuhl in allen Nationen und sogar politischen Systemen größte Einigkeit herrscht. So findet man ihn in Afrika beim Friseur und in Venezuela in den Gärten der Wohlhabenden, in der irakischen Wüste und auf libanesischen Ausflugsschiffen. Sogar an der Klagemauer in Jerusalem sitzt man auf den weißen Stapelstühlen.
Denn der Monobloc ist vor allem eines: billig. Schon ab fünf, sechs Euro
ist er zu haben. Möglich wurde das durch die Erfindung von Polypropylen Anfang der 1950er-Jahre, einem Kunststoff, der stabil genug für den Einsatz bei Möbeln war. 1955 entwickelte der dänische Designer Verner Panton einen der ersten Stühle aus einem Guss – einen eleganten Freischwinger in S-Form. Mit ihm zogen erstmals peppige Farben in die Wohnungen ein.
Während der Panton-Chair heute ein Klassiker der Pop-Art ist, kennt kaum noch jemand Henry Massonnet (1922–2005), den Erfinder des weißen Vierbeiners. Dabei hat sein
Monobloc viele Vorzüge: Er ist stapelbar, leicht und in nur einer Minute hergestellt. Hierzu wird das Polypropylen auf 220 Grad erhitzt, die flüssige Masse in eine Gussform gespritzt und danach mit Wasser gekühlt. Das Verfahren ist so präzise, dass am fertigen Stuhl nichts nachgebessert werden muss. Im italienischen Rogeno werden so pro Tag an die 1500 Stück gefertigt.
Trotz aller Vorzüge wird der Plastikstuhl hierzulande aber gern als „visuelle Umweltverschmutzung“bezeichnet, weshalb Städte wie Bern oder Basel sogar ein Verbot
aussprachen, damit er nicht länger die Innenstadt verschandelt. Hauke Wendler dagegen hat während seiner Recherchen seine Meinung über den Monobloc revidiert. Ihm ist es inzwischen sogar „peinlich, mit welcher Arroganz wir im Westen oft auf den Rest der Menschheit schauen“, schreibt er. Denn was für den reichen Westen ein billiger Wegwerfartikel ist, ist in anderen Ländern häufig der einzige Stuhl, den man sich leisten könne.
Das war nicht immer so. Anfangs war der Monobloc als Designobjekt für gehobene Käuferschichten gedacht. Wegen der Ölkrise in den 1970er-Jahren war Polypropylen teuer, sodass Massonnets erstes Modell umgerechnet 165 Euro kostete. Erst im Lauf der Jahre entwickelte er sich zu einer Art demokratischem Produkt, das nun in allen denkbaren Formen, Farben und Größen in sämtlichen Ländern und sozialen Kontexten auftaucht.
So ist der Monobloc eines der Möbelstücke, das die Menschen aus aller Welt verbindet. Er steht in deutschen Gärten und vor Imbissstuben und kommt bei Sommerfestspielen ebenso zum Einsatz wie bei Staatsempfängen.
Auf dem orientalischen Basar sitzen Händler auf ihm und im Beach-Ressort auf der Dominikanischen Insel die Touristen. Mancherorts erfüllt der Monobloc sogar einen besonders guten Zweck. Die Free Wheelchair Mission baut ihn zu günstigen Rollstühlen um, von denen bereits 1,2 Millionen Stück in 94 Ländern kostenlos verteilt wurden.
Sofern die Plastikstühle nicht irgendwo abgestellt werden und verrotten, lassen sie sich übrigens sogar recyceln. Aus dem Polypropylen kann wiederum ein Stuhl hergestellt werden, der allerdings von minderer Qualität ist. Deshalb ist immer Vorsicht geboten, bevor man sich allzu energisch auf einen Monobloc fallen lässt. In Haulke Wendlers Buch finden sich auch Anekdoten von Menschen, unter denen der Plastikstuhl kurzerhand zusammengebrochen ist.
Hauke Wendler: Monobloc, Hatje Cantz Verlag, 192 Seiten, 120 Abbildungen, 22 Euro.