Lindauer Zeitung

Der beliebtest­e Stuhl der Welt

Er ist billig, leicht und nicht besonders schön – Ein Buch spürt nun dem gigantisch­en Siegeszug des Plastiksta­pelstuhls Monobloc nach

- Von Adrienne Braun

Es sind nicht immer die schönen Dinge, die Weltkarrie­re machen. Um ehrlich zu sein: Der Monobloc macht aus ästhetisch­er Sicht wenig her. Er ist nicht allzu bequem und wird im Alter auch nicht schöner. Trotzdem ist der Monobloc, wie sich der stapelbare Kunststoff­stuhl aus dem Baumarkt offiziell nennt, ein gigantisch­es Erfolgsmod­ell. Eine Milliarde Exemplare sollen weltweit im Einsatz sein. Damit ist er das am häufigsten produziert­e Möbelstück aller Zeiten.

Hauke Wendler wollte es genauer wissen. Der Hamburger Fernsehjou­rnalist hat gerade beim Hatje Cantz Verlag ein Buch zum „Monobloc“veröffentl­icht, für das er die gesamte Welt bereiste, um festzustel­len, dass in Sachen Plastikstu­hl in allen Nationen und sogar politische­n Systemen größte Einigkeit herrscht. So findet man ihn in Afrika beim Friseur und in Venezuela in den Gärten der Wohlhabend­en, in der irakischen Wüste und auf libanesisc­hen Ausflugssc­hiffen. Sogar an der Klagemauer in Jerusalem sitzt man auf den weißen Stapelstüh­len.

Denn der Monobloc ist vor allem eines: billig. Schon ab fünf, sechs Euro

ist er zu haben. Möglich wurde das durch die Erfindung von Polypropyl­en Anfang der 1950er-Jahre, einem Kunststoff, der stabil genug für den Einsatz bei Möbeln war. 1955 entwickelt­e der dänische Designer Verner Panton einen der ersten Stühle aus einem Guss – einen eleganten Freischwin­ger in S-Form. Mit ihm zogen erstmals peppige Farben in die Wohnungen ein.

Während der Panton-Chair heute ein Klassiker der Pop-Art ist, kennt kaum noch jemand Henry Massonnet (1922–2005), den Erfinder des weißen Vierbeiner­s. Dabei hat sein

Monobloc viele Vorzüge: Er ist stapelbar, leicht und in nur einer Minute hergestell­t. Hierzu wird das Polypropyl­en auf 220 Grad erhitzt, die flüssige Masse in eine Gussform gespritzt und danach mit Wasser gekühlt. Das Verfahren ist so präzise, dass am fertigen Stuhl nichts nachgebess­ert werden muss. Im italienisc­hen Rogeno werden so pro Tag an die 1500 Stück gefertigt.

Trotz aller Vorzüge wird der Plastikstu­hl hierzuland­e aber gern als „visuelle Umweltvers­chmutzung“bezeichnet, weshalb Städte wie Bern oder Basel sogar ein Verbot

aussprache­n, damit er nicht länger die Innenstadt verschande­lt. Hauke Wendler dagegen hat während seiner Recherchen seine Meinung über den Monobloc revidiert. Ihm ist es inzwischen sogar „peinlich, mit welcher Arroganz wir im Westen oft auf den Rest der Menschheit schauen“, schreibt er. Denn was für den reichen Westen ein billiger Wegwerfart­ikel ist, ist in anderen Ländern häufig der einzige Stuhl, den man sich leisten könne.

Das war nicht immer so. Anfangs war der Monobloc als Designobje­kt für gehobene Käuferschi­chten gedacht. Wegen der Ölkrise in den 1970er-Jahren war Polypropyl­en teuer, sodass Massonnets erstes Modell umgerechne­t 165 Euro kostete. Erst im Lauf der Jahre entwickelt­e er sich zu einer Art demokratis­chem Produkt, das nun in allen denkbaren Formen, Farben und Größen in sämtlichen Ländern und sozialen Kontexten auftaucht.

So ist der Monobloc eines der Möbelstück­e, das die Menschen aus aller Welt verbindet. Er steht in deutschen Gärten und vor Imbissstub­en und kommt bei Sommerfest­spielen ebenso zum Einsatz wie bei Staatsempf­ängen.

Auf dem orientalis­chen Basar sitzen Händler auf ihm und im Beach-Ressort auf der Dominikani­schen Insel die Touristen. Mancherort­s erfüllt der Monobloc sogar einen besonders guten Zweck. Die Free Wheelchair Mission baut ihn zu günstigen Rollstühle­n um, von denen bereits 1,2 Millionen Stück in 94 Ländern kostenlos verteilt wurden.

Sofern die Plastikstü­hle nicht irgendwo abgestellt werden und verrotten, lassen sie sich übrigens sogar recyceln. Aus dem Polypropyl­en kann wiederum ein Stuhl hergestell­t werden, der allerdings von minderer Qualität ist. Deshalb ist immer Vorsicht geboten, bevor man sich allzu energisch auf einen Monobloc fallen lässt. In Haulke Wendlers Buch finden sich auch Anekdoten von Menschen, unter denen der Plastikstu­hl kurzerhand zusammenge­brochen ist.

Hauke Wendler: Monobloc, Hatje Cantz Verlag, 192 Seiten, 120 Abbildunge­n, 22 Euro.

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FOTO: HATJE CANTZ VERLAG
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