Auch die Filmindustrie leidet unter Fachkräftemangel
Nachwuchspflege wurde lange vernachlässigt – Jetzt will die Branche dagegensteuern
Die Lage sei ernst, versichert Juliane Müller von der Allianz der deutschen Film- und Fernsehproduzenten: „Wir hören von unseren Mitgliedern, dass immer wieder Produktionen verschoben werden müssen, weil nicht genügend Personal zur Verfügung steht.“Müller ist Geschäftsführerin einer Initiative für Qualifikation (PAIQ), die dazu beitragen soll, den Fachkräftemangel zu beheben. Personal werde zum Teil bereits ein Jahr im Voraus für Produktionen gebucht, für die eine Firma offiziell noch gar keinen Auftrag habe: „Das ist ein enormes unternehmerisches Risiko, denn wenn der Auftrag nicht erfolgt, bleibt man auf den Kosten sitzen.“
Oliver Zengleins Mitgefühl hält sich in Grenzen, denn das Problem, sagt er, sei hausgemacht. Der Geschäftsführer der Münchner Internetplattform Crew United, einem Netzwerk von Filmschaffenden, wirft der Branche vor, den Ausbildungsbereich viel zu lange vernachlässigt zu haben. Das räche sich jetzt: „Für die wenigsten Filmberufe gibt es ein Ausoder Weiterbildungskonzept, von Berufsbildern oder verbindlichen Standards
ganz zu schweigen.“Aber auch die Auftraggeber, allen voran die Fernsehsender, hätten ihren Anteil an der Misere: „Die Budgets sind in den letzten Jahren immer knapper geworden. Deshalb herrscht bei der Arbeit an einem Film ein derartiger Druck, dass für die Weitergabe von Wissen keine Zeit mehr bleibt.“
Laut Zenglein gibt es in den Bereichen Drehbuch, Regie, Kamera und Produktion, den akademischen Berufen also, keinen Fachkräftemangel. Aber beim „Mittel- und Unterbau“, also etwa bei Filmgeschäftsführung, Requisite, Garderobe, Maskenbild oder Aufnahmeleitung, fehle umso mehr Personal. „Die Branche hat sich darum nie gekümmert, weil sie sich immer darauf verlassen konnte, dass sich genug Leute finden, die zum Film wollen und bereit sind, sich für einen Hungerlohn ausbeuten zu lassen.“
Die aktuelle junge Generation wolle sich jedoch nicht auf massive Überstunden, Arbeit am Wochenende und an Feiertagen, miserable Bezahlung und eine schlechte soziale Absicherung einlassen: „Früher hat der Glamourfaktor als Ausgleich genügt, aber die Zeiten sind vorbei.“
Juliane Müller verweist auf den demografischen Wandel, räumt aber auch ein: „Die Filmbranche war traditionell so attraktiv, dass es nie nötig war, Nachwuchs anzuwerben. Deshalb sind wir auch keine klassische Ausbildungsbranche. Berufe wurden im „,learning by doing’ erlernt, Nachwuchs kam über Praktika, es gab immer schon Quereinsteiger. Diesen Weg wollen junge Menschen heute oft nicht mehr gehen, sie erwarten eine konkrete Ausbildung mit Abschluss.“
Hinzu komme, ergänzt Zenglein, „dass ein großer Teil des Personals die Branche spätestens mit 50 Jahren verlässt, weil sie sich diese Bedingungen nicht mehr antun wollen“. Er geht davon aus, dass der Fachkräftemangel schon jetzt Folgen für die Qualität hat: „Die Produktionsfirmen müssen Personal engagieren, das wenig oder womöglich gar keine Erfahrung hat.“
Wegen des Erfolgs von Streamingdiensten wie Netflix und Amazon, die vermehrt auch deutsche Serien in Auftrag geben, werde sich der Mangel an Fachkräften bei Fernsehproduktionen noch verschärfen, befürchtet Zenglein: „Wenn Netflix Personal für eine Serie sucht, kann man sich darauf verlassen, dass das Budget steht und man für die nächsten sechs Monate beschäftigt ist. Weil die Serien
Kinoqualität haben, sind diese Jobs doppelt begehrt, zumal die Bezahlung deutlich besser ist als bei einem Fernsehfilm für ARD oder ZDF.“Darunter litten auch künstlerisch anspruchsvolle, aber mit wenig Geld produzierte Kinofilme.
Immerhin hat die Branche angefangen, gegenzusteuern. Die zum Bertelsmann-Konzern gehörende UFA, eines der größten und renommiertesten deutschen Medienunternehmen, will dem personellen Notstand mit der UFA Academy begegnen, die im Mai startet. Sie bietet zweijährige Ausbildungen an, unter anderem in den Bereichen Aufnahmeleitung, Regieassistenz und Filmgeschäftsführung. Das Besondere: Das Angebot richtet sich ausdrücklich an Ältere und Quereinsteiger, bewerben können sich Menschen zwischen 25 und 60.
Erfahrungen in der Medienbranche, versichert UFA-Personalmanagerin Janna Bardewyck, seien nicht nötig: „Wer zum Beispiel eine Ausbildung bei einer Bank oder einer Versicherung absolviert hat, weiß vermutlich gar nicht, dass dies eine sehr gute Grundlage ist, um im administrativen Bereich in einer Produktion arbeiten zu können.“
Die Produzentenallianz hat Anfang März eigens einen „Career Guide“herausgegeben. Herzstück der Broschüre ist eine bundesweite Übersicht über Aus- und Weiterbildung sowie Studienmöglichkeiten. Aus der entsprechenden Website solle sich eine Plattform entwickeln, auf der sich Bildungseinrichtungen und auszubildende Unternehmen präsentieren könnten. „Wir müssen viel aktiver werden und die Kooperation mit Schulen und Hochschulen suchen sowie auf Karrieremessen präsent sein.“(epd)