In Lindau geht’s dem Mikroplastik an den Kragen
Stadt modernisiert Kläranlage für zwölf Millionen Euro – Wie Fischer und Experten die Lage einschätzen
- Die Stadt Lindau will ihre Kläranlage fit für die Zukunft machen. Bis 2025 wird sie für zwölf Millionen Euro saniert, umorganisiert und die Technik erweitert. Neue Reinigungsstufen sollen künftig nicht nur alle Feststoffe wie kleinste Plastikteilchen herausfiltern, sondern auch gelöste Stoffe, die durch jeden noch so feinen Filter passen. So soll auch der Anteil des Mikroplastiks im Bodensee verringert werden. Das befürworten auch Fischer und Experten.
Seit das Klärwerk vor 30 Jahren zum letzten Mal erweitert wurde, hat sich viel verändert. Im Abwasser befinden sich ganz andere Fremdstoffe wie etwa Hormone, Arzneimittelrückstände und Mikroplastik. Die bisherigen Reinigungsstufen können diese Verbindungen nicht herausfiltern. Doch damit diese die Kläranlage in Zukunft nicht mehr einfach passieren können, wird unter anderem eine Membran eingebaut.
„Das ist ein ganz feiner Filter“, sagt Heike Burghard, die bei den Lindauer Garten- und Tiefbaubetrieben (GTL) die Abteilung GTAbwasser leitet. Die Membran soll alle Partikel herausfiltern, auch Bakterien und Keime. „Das gereinigte Abwasser, das dem Bodensee künftig zugeführt wird, ist absolut keimfrei und hygienisiert.“Bisher sei das nicht möglich gewesen, weil Bakterien sich nicht absetzen.
Was an einer Membran allerdings nicht hängenbleibt, sind gelöste Stoffe. Um den Unterschied zu verdeutlichen, zieht Heike Burghard den Vergleich mit einem Glas Tee, in das ein Löffel Zucker gegeben und der dann umgerührt wird. „Die Membran könnte zwar die kleinsten Teerückstände herausfiltern, aber nicht den Zucker, der sich schon aufgelöst hat.“Um auch solche gelösten Stoffe herauszufiltern, soll eine vierte Reinigungsstufe eingebaut werden.
Roland Stohr, Fischer aus Wasserburg und Vorstandsvorsitzender der Genossenschaft der Bayerischen Bodenseeberufsfischer, kennt das Thema Mikroplastik vor allem aus den Medien. „Gesehen habe ich das noch nie“, sagt er. „Wenn wir einen Fisch aufschneiden, kommt da kein Plastik raus.“Was er und seine Berufskollegen aber durchaus feststellen, ist die Verschmutzung des Sees durch Plastik. Ob Folien, Flaschen, Becher oder Spielzeug: Sie sehen das Plastik seit
Jahrzehnten herumschwimmen. „Vor allem nach Starkregen, wenn der Rhein und die anderen Flüsse es mit dem Treibholz in den Bodensee spülen“, sagt Stohr. Berufsfischer seien sensibel, was die Sauberkeit des Sees angehe. Weil sie einen höheren Phosphatgehalt fordern, würde das häufig so verstanden, als wollten sie einen dreckigeren See. Dabei forderten sie lediglich einen höheren Mineralstoffgehalt, damit die Fische mehr Nahrung bekommen. „Wir wollen einen gesunden See mit gesunden Fischen.“
Dass Mikroplastik nicht unbedingt sichtbar ist, liegt daran, dass die Teilchen sehr klein sein können. Laut Anna Noffke, die am Institut für Seenforschung in Langenargen für das chemische Monitoring und die Zustandsbewertung der Seen in Baden-Württemberg zuständig ist, gibt es keine allgemeingültige Definition von Mikroplastik. Meist werden jedoch Teilchen, die kleiner als fünf Millimeter sind, so bezeichnet. Alles was kleiner als 100 Nanometer sei, werde als Nanoplastik bezeichnet, sei jedoch aufgrund der geringen Größe noch schwieriger zu untersuchen.
Die kleinen Teilchen sind zum Beispiel in Kosmetikartikeln enthalten, entstehen aber auch, wenn Kunststoffe zerfallen oder verwittern.
Für eine Studie wurden 2015 auch Proben aus dem Bodensee untersucht. Das Ergebnis: Pro 1000 Liter wurden vor Friedrichshafen fünf Mikroplastikpartikel gefunden, vor Romanshorn 18. „Bezogen auf einen Quadratmeter Wasseroberfläche sind das 0,8 beziehungsweise 2,6 Partikel“, sagt Anna Noffke. Im Vergleich zu anderen Gewässern in
Heike Burghard
Deutschland seien diese Werte als gering einzustufen. Nach dem heutigen Stand des Wissens sei bei der aktuellen Konzentration von Mikroplastik im Bodensee von keiner relevanten Beeinträchtigung für aquatische Organismen auszugehen.
Die Fischereiforschungsstelle, die auch beim Institut für Seenforschung angesiedelt ist, hat die Mikroplastikbelastung von Fischen untersucht. Dabei konnten die Kunststoffe nur im Magen-Darm-Trakt der Fische nachgewiesen werden. „Eine gezielte Untersuchung des Muskelfleischs der Fische fand nicht statt“, sagt Samuel Roch von der Fischereiforschungsstelle.
Hintergrund dafür sei, dass nach aktuellem Stand des Wissens nur Partikel ab einer bestimmten Größe die Darmwand durchwandern können. Erste Laborversuche legten nahe, dass das nur für Teilchen relevant sei, die kleiner als fünf Mikrometer seien – und die seien im Gewebe äußerst schwer nachzuweisen. Was bei der Studie noch herauskam: Im Durchschnitt waren 20 Prozent der Fische belastet, pro Fisch konnten ein bis vier Partikel festgestellt werden. „Somit ist die Belastung als eher gering einzuschätzen“, sagt Roch.
Ähnlich werden die gesundheitlichen Risiken für den Menschen eingestuft. Derzeit gehe die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit und das Bundesinstitut für Risikobewertung davon aus, dass Mikroplastikpartikel in Lebensmitteln keine gesundheitlichen Risiken für den Menschen darstellen, weil sie großteils wieder ausgeschieden werden, sagt Anna Noffke.
Mikroplastik lasse sich nur reduzieren, wenn das Abwasser in den Kläranlagen mit modernen Methoden behandelt werde. Doch es gelte vor allem, die Entstehung und den Eintrag von Mikroplastik in die Umwelt von Anfang an zu verhindern. „Wichtig ist dabei neben der generellen Müllvermeidung insbesondere auch die korrekte Entsorgung des Plastikmülls“, sagt sie.
Nicht nur Lindau will Mikroplastik aus dem Abwasser filtern. Im Bodenseekreis ist nach Angaben des Landratsamts aktuell bei drei Kläranlagen die vierte Reinigungsstufe aktiv, bis Ende des Jahres kommt die Technologie noch in zwei weiteren Anlagen zum Einsatz. Auch in der Schweiz wird die Technik bereits eingesetzt. Das befürwortet auch die Internationale Gewässerschutzkommission für den Bodensee (IGKB). Wie Geschäftsführer Carsten Wunsch erläutert, hat die IGKB in Zusammenarbeit mit allen Mitgliedsländern eine Spurenstoffstrategie entwickelt. Laut dem Papier befürwortet die Kommission alle Schritte, die dazu dienen, dass Stoffe wie Mikroplastik gar nicht erst in den Bodensee gelangen oder in den Kläranlagen wieder herausgefiltert werden – gerade auch mit Blick auf den Bodensee als Trinkwasserspeicher. Wie genau die vierte Reinigungsstufe im Lindauer Klärwerk aussehen wird, steht jetzt aber noch nicht fest, denn die Planung steht noch am Anfang. „Es gibt die Möglichkeit, das Wasser mit Ozon zu behandeln und die Moleküle aufzubrechen, damit sie keinen Schaden mehr anrichten können“, sagt sie. „Oder sie können über granuläre Aktivkohle absorbiert werden.“
Fest steht schon, dass für die neuen Klärstufen keine neuen Becken gebaut werden müssen. Stattdessen wird die Anlage auf der bestehenden Fläche umorganisiert. Möglich macht das die Membran. Weil sie schon vor der vierten Reinigungsstufe alle Feststoffe herausfiltert, kommt dort, wo Ozon oder Aktivkohle wirken, schon sehr sauberes Wasser an. Das heißt, dass die vierte Reinigungsstufe direkt bei den gelösten Stoffen ansetzt und sie herausziehen kann. Aus diesem Grund braucht sie laut Burghard deutlich weniger Platz. „Deswegen können wir kleiner bauen und sparen viel Geld.“
Doch auch, wenn die Kläranlage in ihrem Umfang nicht größer wird, kann sie nach dem Umbau mehr Wasser aufnehmen. „Mit derselben Infrastruktur bekommen wir mehr Reinigungsleistung“, sagt sie. Das sei auch notwendig, denn momentan sei sie auf 60 000 Haushalte ausgelegt, kläre aber das Wasser von 72000 Haushalten. Dabei handelt es sich um eine fiktive Zahl, denn in ihr sind nicht nur Privathaushalte eingerechnet, sondern auch Industriebetriebe, die aber entsprechend hochgerechnet sind, weil deren Abwasser stärker belastet ist.
Neben dem Abwasser der Stadt Lindau wird dort auch das Abwasser der Gemeinden Achberg, Bodolz, Nonnenhorn, Sigmarszell, Wasserburg, Weißensberg und Wettis geklärt. „Das bewältigen wir, denn alle Kläranlagen werden mit einem Puffer gebaut. Aber wir kommen in den Grenzbereich“, sagt Burghard.
Ein weiterer Vorteil: Eines der vorhandenen Becken wird zu einem Regenbecken umgebaut. „Bei Starkregen können wir so möglichst viel Wasser abpuffern, bevor es in den Bodensee fließt“, sagt sie. Denn bei Starkregen sei gelegentlich stark verdünntes Mischwasser übergelaufen und direkt in den Bodensee gelangt.
Laut einer Pressemitteilung der Stadtverwaltung Lindau wurde die Neukonzeption von den zuständigen Behörden bereits genehmigt. Jetzt beginnt die Planungsphase, bei der die Stadt Unterstützung durch das Ingenieurbüro Aqua Consult aus Hannover erhält, das sich bei einer europaweiten Ausschreibung durchgesetzt hatte. Der Umbau soll in den kommenden Jahren schrittweise umgesetzt werden.
Anna Noffke