Lindauer Zeitung

In Lindau geht’s dem Mikroplast­ik an den Kragen

Stadt modernisie­rt Kläranlage für zwölf Millionen Euro – Wie Fischer und Experten die Lage einschätze­n

- Von Barbara Baur

- Die Stadt Lindau will ihre Kläranlage fit für die Zukunft machen. Bis 2025 wird sie für zwölf Millionen Euro saniert, umorganisi­ert und die Technik erweitert. Neue Reinigungs­stufen sollen künftig nicht nur alle Feststoffe wie kleinste Plastiktei­lchen herausfilt­ern, sondern auch gelöste Stoffe, die durch jeden noch so feinen Filter passen. So soll auch der Anteil des Mikroplast­iks im Bodensee verringert werden. Das befürworte­n auch Fischer und Experten.

Seit das Klärwerk vor 30 Jahren zum letzten Mal erweitert wurde, hat sich viel verändert. Im Abwasser befinden sich ganz andere Fremdstoff­e wie etwa Hormone, Arzneimitt­elrückstän­de und Mikroplast­ik. Die bisherigen Reinigungs­stufen können diese Verbindung­en nicht herausfilt­ern. Doch damit diese die Kläranlage in Zukunft nicht mehr einfach passieren können, wird unter anderem eine Membran eingebaut.

„Das ist ein ganz feiner Filter“, sagt Heike Burghard, die bei den Lindauer Garten- und Tiefbaubet­rieben (GTL) die Abteilung GTAbwasser leitet. Die Membran soll alle Partikel herausfilt­ern, auch Bakterien und Keime. „Das gereinigte Abwasser, das dem Bodensee künftig zugeführt wird, ist absolut keimfrei und hygienisie­rt.“Bisher sei das nicht möglich gewesen, weil Bakterien sich nicht absetzen.

Was an einer Membran allerdings nicht hängenblei­bt, sind gelöste Stoffe. Um den Unterschie­d zu verdeutlic­hen, zieht Heike Burghard den Vergleich mit einem Glas Tee, in das ein Löffel Zucker gegeben und der dann umgerührt wird. „Die Membran könnte zwar die kleinsten Teerückstä­nde herausfilt­ern, aber nicht den Zucker, der sich schon aufgelöst hat.“Um auch solche gelösten Stoffe herauszufi­ltern, soll eine vierte Reinigungs­stufe eingebaut werden.

Roland Stohr, Fischer aus Wasserburg und Vorstandsv­orsitzende­r der Genossensc­haft der Bayerische­n Bodenseebe­rufsfische­r, kennt das Thema Mikroplast­ik vor allem aus den Medien. „Gesehen habe ich das noch nie“, sagt er. „Wenn wir einen Fisch aufschneid­en, kommt da kein Plastik raus.“Was er und seine Berufskoll­egen aber durchaus feststelle­n, ist die Verschmutz­ung des Sees durch Plastik. Ob Folien, Flaschen, Becher oder Spielzeug: Sie sehen das Plastik seit

Jahrzehnte­n herumschwi­mmen. „Vor allem nach Starkregen, wenn der Rhein und die anderen Flüsse es mit dem Treibholz in den Bodensee spülen“, sagt Stohr. Berufsfisc­her seien sensibel, was die Sauberkeit des Sees angehe. Weil sie einen höheren Phosphatge­halt fordern, würde das häufig so verstanden, als wollten sie einen dreckigere­n See. Dabei forderten sie lediglich einen höheren Mineralsto­ffgehalt, damit die Fische mehr Nahrung bekommen. „Wir wollen einen gesunden See mit gesunden Fischen.“

Dass Mikroplast­ik nicht unbedingt sichtbar ist, liegt daran, dass die Teilchen sehr klein sein können. Laut Anna Noffke, die am Institut für Seenforsch­ung in Langenarge­n für das chemische Monitoring und die Zustandsbe­wertung der Seen in Baden-Württember­g zuständig ist, gibt es keine allgemeing­ültige Definition von Mikroplast­ik. Meist werden jedoch Teilchen, die kleiner als fünf Millimeter sind, so bezeichnet. Alles was kleiner als 100 Nanometer sei, werde als Nanoplasti­k bezeichnet, sei jedoch aufgrund der geringen Größe noch schwierige­r zu untersuche­n.

Die kleinen Teilchen sind zum Beispiel in Kosmetikar­tikeln enthalten, entstehen aber auch, wenn Kunststoff­e zerfallen oder verwittern.

Für eine Studie wurden 2015 auch Proben aus dem Bodensee untersucht. Das Ergebnis: Pro 1000 Liter wurden vor Friedrichs­hafen fünf Mikroplast­ikpartikel gefunden, vor Romanshorn 18. „Bezogen auf einen Quadratmet­er Wasserober­fläche sind das 0,8 beziehungs­weise 2,6 Partikel“, sagt Anna Noffke. Im Vergleich zu anderen Gewässern in

Heike Burghard

Deutschlan­d seien diese Werte als gering einzustufe­n. Nach dem heutigen Stand des Wissens sei bei der aktuellen Konzentrat­ion von Mikroplast­ik im Bodensee von keiner relevanten Beeinträch­tigung für aquatische Organismen auszugehen.

Die Fischereif­orschungss­telle, die auch beim Institut für Seenforsch­ung angesiedel­t ist, hat die Mikroplast­ikbelastun­g von Fischen untersucht. Dabei konnten die Kunststoff­e nur im Magen-Darm-Trakt der Fische nachgewies­en werden. „Eine gezielte Untersuchu­ng des Muskelflei­schs der Fische fand nicht statt“, sagt Samuel Roch von der Fischereif­orschungss­telle.

Hintergrun­d dafür sei, dass nach aktuellem Stand des Wissens nur Partikel ab einer bestimmten Größe die Darmwand durchwande­rn können. Erste Laborversu­che legten nahe, dass das nur für Teilchen relevant sei, die kleiner als fünf Mikrometer seien – und die seien im Gewebe äußerst schwer nachzuweis­en. Was bei der Studie noch herauskam: Im Durchschni­tt waren 20 Prozent der Fische belastet, pro Fisch konnten ein bis vier Partikel festgestel­lt werden. „Somit ist die Belastung als eher gering einzuschät­zen“, sagt Roch.

Ähnlich werden die gesundheit­lichen Risiken für den Menschen eingestuft. Derzeit gehe die Europäisch­e Behörde für Lebensmitt­elsicherhe­it und das Bundesinst­itut für Risikobewe­rtung davon aus, dass Mikroplast­ikpartikel in Lebensmitt­eln keine gesundheit­lichen Risiken für den Menschen darstellen, weil sie großteils wieder ausgeschie­den werden, sagt Anna Noffke.

Mikroplast­ik lasse sich nur reduzieren, wenn das Abwasser in den Kläranlage­n mit modernen Methoden behandelt werde. Doch es gelte vor allem, die Entstehung und den Eintrag von Mikroplast­ik in die Umwelt von Anfang an zu verhindern. „Wichtig ist dabei neben der generellen Müllvermei­dung insbesonde­re auch die korrekte Entsorgung des Plastikmül­ls“, sagt sie.

Nicht nur Lindau will Mikroplast­ik aus dem Abwasser filtern. Im Bodenseekr­eis ist nach Angaben des Landratsam­ts aktuell bei drei Kläranlage­n die vierte Reinigungs­stufe aktiv, bis Ende des Jahres kommt die Technologi­e noch in zwei weiteren Anlagen zum Einsatz. Auch in der Schweiz wird die Technik bereits eingesetzt. Das befürworte­t auch die Internatio­nale Gewässersc­hutzkommis­sion für den Bodensee (IGKB). Wie Geschäftsf­ührer Carsten Wunsch erläutert, hat die IGKB in Zusammenar­beit mit allen Mitgliedsl­ändern eine Spurenstof­fstrategie entwickelt. Laut dem Papier befürworte­t die Kommission alle Schritte, die dazu dienen, dass Stoffe wie Mikroplast­ik gar nicht erst in den Bodensee gelangen oder in den Kläranlage­n wieder herausgefi­ltert werden – gerade auch mit Blick auf den Bodensee als Trinkwasse­rspeicher. Wie genau die vierte Reinigungs­stufe im Lindauer Klärwerk aussehen wird, steht jetzt aber noch nicht fest, denn die Planung steht noch am Anfang. „Es gibt die Möglichkei­t, das Wasser mit Ozon zu behandeln und die Moleküle aufzubrech­en, damit sie keinen Schaden mehr anrichten können“, sagt sie. „Oder sie können über granuläre Aktivkohle absorbiert werden.“

Fest steht schon, dass für die neuen Klärstufen keine neuen Becken gebaut werden müssen. Stattdesse­n wird die Anlage auf der bestehende­n Fläche umorganisi­ert. Möglich macht das die Membran. Weil sie schon vor der vierten Reinigungs­stufe alle Feststoffe herausfilt­ert, kommt dort, wo Ozon oder Aktivkohle wirken, schon sehr sauberes Wasser an. Das heißt, dass die vierte Reinigungs­stufe direkt bei den gelösten Stoffen ansetzt und sie herauszieh­en kann. Aus diesem Grund braucht sie laut Burghard deutlich weniger Platz. „Deswegen können wir kleiner bauen und sparen viel Geld.“

Doch auch, wenn die Kläranlage in ihrem Umfang nicht größer wird, kann sie nach dem Umbau mehr Wasser aufnehmen. „Mit derselben Infrastruk­tur bekommen wir mehr Reinigungs­leistung“, sagt sie. Das sei auch notwendig, denn momentan sei sie auf 60 000 Haushalte ausgelegt, kläre aber das Wasser von 72000 Haushalten. Dabei handelt es sich um eine fiktive Zahl, denn in ihr sind nicht nur Privathaus­halte eingerechn­et, sondern auch Industrieb­etriebe, die aber entspreche­nd hochgerech­net sind, weil deren Abwasser stärker belastet ist.

Neben dem Abwasser der Stadt Lindau wird dort auch das Abwasser der Gemeinden Achberg, Bodolz, Nonnenhorn, Sigmarszel­l, Wasserburg, Weißensber­g und Wettis geklärt. „Das bewältigen wir, denn alle Kläranlage­n werden mit einem Puffer gebaut. Aber wir kommen in den Grenzberei­ch“, sagt Burghard.

Ein weiterer Vorteil: Eines der vorhandene­n Becken wird zu einem Regenbecke­n umgebaut. „Bei Starkregen können wir so möglichst viel Wasser abpuffern, bevor es in den Bodensee fließt“, sagt sie. Denn bei Starkregen sei gelegentli­ch stark verdünntes Mischwasse­r übergelauf­en und direkt in den Bodensee gelangt.

Laut einer Pressemitt­eilung der Stadtverwa­ltung Lindau wurde die Neukonzept­ion von den zuständige­n Behörden bereits genehmigt. Jetzt beginnt die Planungsph­ase, bei der die Stadt Unterstütz­ung durch das Ingenieurb­üro Aqua Consult aus Hannover erhält, das sich bei einer europaweit­en Ausschreib­ung durchgeset­zt hatte. Der Umbau soll in den kommenden Jahren schrittwei­se umgesetzt werden.

Anna Noffke

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FOTO: GTL Die Lindauer Kläranlage wird mit einer Membran und der vierten Reinigungs­stufe ausgestatt­et.
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FOTO: STADT LINDAU/TARJA PRÜSS Peter Hartwig von Aqua Consult (von links), OB Claudia Alfons, Kai Kattau (GTL), Heike Burghard, Leiterin der Abwasserwi­rtschaft bei den GTL und Harald Exler besprechen die Planungen.
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ARCHIVFOTO: JULIA BAUMANN Roland Stohr und sein Vater Peter fahren an manchen Tagen noch immer zusammen auf den See, um ihre Fischernet­ze einzuholen.

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