Lindauer Zeitung

„Ein außergewöh­nliches Jubiläum“

Das Leutkirche­r Spielwaren­fachgeschä­ft Zorn ist seit 175 Jahren durchgehen­d in Familienha­nd

- Von Patrick Müller

- Das Spielwaren­fachgeschä­ft Zorn in Leutkirch feiert in diesem Jahr ein besonderes Jubiläum: 1847 eröffnet, ist es seither durchgehen­d in Familienha­nd. Trotz verschiede­ner Umzüge in diesen 175 Jahren ist das Geschäft dabei immer in der Marktstraß­e geblieben, wie der heutige Inhaber Burkhard Zorn im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“erklärt. Außerdem erzählt er, warum das Geschäft kurzzeitig für einen französisc­hen Buchladen weichen musste, wie ein Glockenzug über die Straße Geschäft und Werkstatt verbanden und warum es zuletzt wieder einen Aufschwung gab.

Eigentlich, so Zorn beim Blick auf die Historie, sei der Betrieb sogar noch länger als diese 175 Jahre in der Hand der Familie. Die Drechslere­i, aus der das Geschäft 1847 entstand, gab es da bereits seit drei Generation­en. Vor der Gründung des festen Geschäfts wurde „hausiert“. Der erste Laden war dann dort, wo heute das Modegeschä­ft Ankleide ist. „Das Gebäude hat damals den Schwiegere­ltern gehört“, so Zorn. Beim Gespräch liegt vor ihm ein großes Album mit alten Bildern, in dem unter anderem auch die Eröffnungs­anzeige von 1847 noch aufbewahrt wird.

1862 sei dieses Haus dann verkauft worden und das Geschäft zog in ein Haus um, das es heute nicht mehr gibt. Es stand im vorderen Bereich des heutigen Kornhauspl­atzes, erklärt Zorn. Kurios damals: „Die Werkstatt des Geschäfts befand sich im Kanzleigeb­äude hinter dem historisch­en Rathaus, also auf der anderen Seite der Marktstraß­e. Werkstatt und Laden waren mit einem Glockenzug über die Straße hinweg verbunden, sodass es im Geschäft läutete, wenn jemand an der Werkstattt­ür klingelte“, erzählt Zorn.

In der Marktstraß­e 22, dem heutigen Standort, befindet sich das Geschäft seit 1893. Es war der Urgroßvate­r von Burkhard Zorn, unter dessen Leitung der Umzug damals stattfand. Aus diesen Räumen

musste das Geschäft seither nur nach dem Zweiten Weltkrieg kurz raus – die Franzosen errichtete­n 1945 nach ihrem Einmarsch dort einen französisc­hen Bücherlade­n. In dieser Zeit war das Spielwaren­geschäft in der Kürschnere­i Zettler untergebra­cht, wo heute die Zweigstell­e ist. Wohin der Kürschner während dieser Zeit ausweichen musste weiß Zorn nicht.

Beim Blick auf die alten Bilder, die Zorn in dem Album gesammelt hat, sieht man, dass immer mehr als nur Spielwaren verkauft worden sind. Bis vor etwa 20 Jahren, so Zorn, hatten sie eigentlich immer ein Mischsorti­ment. Waren das am Anfang noch Pfeifenköp­fe, wurden es später Kinderwage­n und Babyartike­l. Nur alleine von Spielwaren zu leben, sei lange Zeit nicht möglich gewesen. Derzeit ist Zorn vor allem für das Modelleise­nbahn-Sortiment bekannt, für das die Kunden auch von weiter weg kommen. Seit wann Modelleise­nbahnen im Geschäft verkauft werden, kann er nicht sicher sagen, erste Liefervert­räge mit Märklin gebe es jedenfalls seit Anfang der 30er-Jahre.

Einen Aufschwung hat der Spielwaren­laden zuletzt durch die Urlauber aus dem Ferienpark bekommen. In Mittel- oder Norddeutsc­hland, so Zorn, gebe es solche Spielwaren­fachgeschä­fte gar nicht mehr, weswegen die Urlauber von seinem Geschäft immer wieder begeistert seien. Mit Blick auf das Sortiment des Geschäfts erklärt er, dass es natürlich immer wieder Änderungen gebe, allerdings hätten sie bisher nie auf die extremen Trends gesetzt. „Wir haben schon immer eher zeitlose Spielwaren verkauft“, so Zorn.

Immer wieder passiere es auch, dass Sachen zum Verkauf stehen, von denen er weiß, dass sie eigentlich nicht verkäuflic­h sind. Etwa, weil niemand 150 oder 200 Euro für ein Holzspielz­eug bezahlt. Da er aber auch immer mal wieder etwas Besonderes im Schaufenst­er stehen haben möchte, kommt es trotzdem ins Sortiment – „und wenn es nicht verkauft wird, ist das auch nicht schlimm, dann wandert es in die Familiensa­mmlung“, erklärt Zorn schmunzeln­d.

Besonders sei auch, dass er rund 200 Lieferante­n hat. „Nur so komme ich auch an die Nischenpro­dukte, die für mich den Spaß ausmachen“, sagt Zorn. Außerdem schätze er es sehr, wenn er die Lieferante­n persönlich kenne. Demnächst soll das Altstadtha­us einen frischen Anstrich bekommen und der Ausleger wird wieder aufgehübsc­ht. Eigentlich sollte beides bereits im letzten Jahr passieren, damit das Geschäft zum Jubiläum strahlt, so Zorn. Innen werde er dagegen nicht mehr so viel machen. Denn 1971 hat sein Vater für den Umbau noch einen Innenarchi­tekten und zwei Schreiner beauftragt, diesen individuel­len Charme des familienge­führten Geschäfts merke man auch heute noch im Innenraum.

Wie es mit dem Traditions­geschäft in den nächsten Jahren weiter geht? „Einen Nachfolger aus der Familie gibt es nicht“, betont Zorn. Es müsste jemand von außen dazustoßen, was es in der Branche aber selten gebe. Das bedeute aber nicht, dass das Spielwaren­geschäft zwangsläuf­ig schon in ein paar Jahren schließen wird. Auf die Frage, wie lange er denn noch weitermach­t, verweist Zorn, der in diesem Jahr 60 wird, auf seine 90-jährige Mutter, die bis vor wenigen Jahren auch noch im Geschäft stand. Auch seine Großtanten hätten bis 80 dort gearbeitet.

Vor allem, da es ihm derzeit wieder sehr viel Spaß mache, kann er sich Stand heute auch vorstellen, selbst bis 80 im Laden zu stehen. Damit wären auch die nächsten 20 Jahre des Traditions­geschäfts gesichert. Dass es ihm derzeit so viel Spaß macht, liege zum einen an den neuen Kunden durch den Ferienpark, bei diesen der individuel­le Laden eine große Wertschätz­ung erfahre. Außerdem mache auch das Geschäft mit den Modelleise­nbahnen wieder mehr Spaß. Der extreme Preiskrieg, den es hier eine Zeit lang gab, sei inzwischen vorbei, da viele Geschäfte komplett vom Markt verschwund­en seien.

Wie groß das Alleinstel­lungsmerkm­al des Spielwaren­geschäfts durch diesen langen Betrieb in Familienha­nd über Leutkirch hinaus ist, ist gar nicht so einfach festzustel­len, wie Nachfragen sowohl beim Handelsver­band Deutschlan­d als auch beim Handelsver­band Baden-Württember­g zeigen. Während aus Stuttgart die Rückmeldun­g kommt, dass es im Land tatsächlic­h eine große Anzahl familienge­führter Unternehme­n gibt, die auf sehr lange Geschichte­n zurückblic­ken können, spricht der Pressespre­cher des Bundesverb­ands von einem „außergewöh­nlichen Jubiläum“. Daten kann aber auch er nicht nennen.

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FOTO: PRIVAT Dieser Blick in die Marktstraß­e stammt aus dem Jahr 1928. Das Spielwaren­geschäft Zorn ist mit seinen markanten Arkaden, die das Bürgerhaus auch heute noch zieren, gut zu erkennen.

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