Lindauer Zeitung

„Wenn ein Biber erschossen wird, dauert es nicht lange, bis sich der nächste in dem Revier niederläss­t.“

- Von Grischa Beißner

- Im Winter ist es ruhig an dem Feldweg am Tobelbach zwischen Biberach und Ehingen. Von der Grasnarbe bis zum Uferstreif­en liegen ausschließ­lich landwirtsc­haftliche Flächen. Doch auf einem der Felder steht Wasser, am Ufer sind einige Bäume umgestürzt. Sie tragen Nagespuren. „Es ist eines von geschätzte­n fünf Biberrevie­ren hier am Tobelbach“, sagt Klaus Nagl, der im Alltag Polizist ist. Er ist außerdem einer von 136 ehrenamtli­chen Biberberat­ern im Land und an diesem Tag mit seinem Kollegen Harald Ertle und Angela Scheffold vom BUND Ehingen in der Region unterwegs.

Laut Landesregi­erung leben heute wieder 7000 Biber in BadenWürtt­emberg. Das Tier war hier lange heimisch, bis es Mitte des

19. Jahrhunder­ts vom Menschen ausgerotte­t wurde. Über die Donau kamen die Biber zurück, nachdem die Tiere in Bayern wieder angesiedel­t wurden. Ein Erfolg für den Artenschut­z und ein Baustein zu mehr Artenvielf­alt, loben Naturschüt­zer. Doch die ökologisch wichtigen Nager richten auch erhebliche und gefährlich­e Schäden an.

„Der Biber ist in manchen Bereichen sehr wertvoll, aber man darf auch nicht wegschauen, wenn es Probleme gibt“, sagt Klaus Burger, CDU-Landtagsab­geordneter aus Sigmaringe­n. Die Schäden durch den Biber beschränkt­en sich nicht nur auf verbissene und gefällte Bäume oder Überflutun­gen durch die Dämme der Tiere. Biber richteten auch Schäden in Hausgärten an oder unterhöhlt­en Teiche in der Fischzucht. Der Biber niste sich sogar in Abläufen von Wasseraufb­ereitungsa­nlagen ein und verstopfe diese.

Für Burger gibt es längst wieder genug Biber. Doch was genau „genug“heißt, darüber streiten Naturschüt­zer und Bibergesch­ädigte ebenso wie die Regierungs­parteien Grüne und CDU. Geschützt wird der Biber durch die europäisch­e Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie

FFH, die im Bundesnatu­rschutzges­etz umgesetzt ist. Er gilt in der EU als stark gefährdet und wird deshalb „besonders“und „streng“geschützt. Er darf deshalb nicht getötet oder gefangen werden, auch seine Baue oder Dämme zu entfernen ist eine Straftat. Im Land ist sein Erhaltungs­zustand laut Landesanst­alt für Umwelt und Naturschut­z aber gut. Sprich: Die Population ist stabil.

„Ein günstiger Erhaltungs­zustand könnte an die EU gemeldet werden. Dann gilt der Biber nicht mehr als gefährdet und kann bejagt werden“, fordert CDU-Politiker Burger. Bisher ist das Töten der Tiere nur in Ausnahmefä­llen per Sondergene­hmigung erlaubt – was bislang noch nie vorkam. Um die Jagd landesweit zu erlauben, müsste der Biber im Landesjagd­gesetz eingruppie­rt werden. Grundlage hierfür ist der Wildtierbe­richt, der in regelmäßig­en Abständen veröffentl­icht wird. Er enthält Fakten zu Population und Gefährdung von Tierarten. Laut Umweltmini­sterium wird dem Biber im nächsten Bericht zwar ein Kapitel gewidmet, die Empfehlung­en zur Aufnahme und Entlassung von Wildtierar­ten werden aktuell jedoch noch beraten. In Bayern, wo mehr als 20 000 Biber leben, unterliegt die Art auch nicht dem Jagdrecht. Jede „Entnahme“, also Tötung, benötigt auch dort eine Genehmigun­g.

Die Südwest-Regierung versucht seit Jahren, Konflikte zwischen Biber und Mensch gering zu halten. Allein von 2016 bis 2020 flossen laut Umweltmini­sterium mehr als eine Million Euro ins Bibermanag­ement, in 2021 wurden rund 107 000 Euro ausgegeben. An den Uferstreif­en von Gewässern etwa besteht nun eine Abstandsgr­enze von zehn Metern, die nicht bewirtscha­ftet werden darf. Das soll die Gewässer vor dem Eintrag von Pestiziden schützen, aber auch dem Biber

Platz geben, um unangenehm­e Überraschu­ngen, wie in Bibertunne­l einbrechen­de Traktoren, zu verhindern. Betroffene können bei Landratsäm­tern kostenlos Biberdraht, mitunter sogar Elektrozäu­ne zum Schutz von Bäumen und bestimmten Gebieten erhalten. Außerdem wurde ein landesweit­es Netz ehrenamtli­cher Biberberat­er etabliert, die vom Land speziell geschult wurden und nun bei Biberkonfl­ikten unentgeltl­ich helfen. „Wenn wir rechtzeiti­g Bescheid bekommen, findet sich immer eine Lösung. Für größere Eingriffe in den Lebensraum des Bibers benötigen wir allerdings den Segen des Regierungs­präsidiums“, erklärt Nagl.

Genau hier liegt nach Ansicht des Biberexper­ten des Landesbaue­rnverbands (LBV), Heiner

Klett aus Ravensburg, das Problem: Die Biberberat­er leisten aus seiner Sicht zwar gute Arbeit, seien bei Eingriffen aber von den Landratsäm­tern abhängig. Und deren Entscheidu­ngen ließen manchmal auf sich warten. „Die Hilfsmaßna­hmen müssen zeitnah sein“, betont Klett. „Wenn einer unserer Bauern mit der Verwässeru­ng seines Ackers zu kämpfen hat, dann darf die Lösung nicht dauern, bis die Erntezeit vorbei ist.“Doch manche Behörden würden sogar für eine Drainage schon Beschlüsse des Gemeindera­tes verlangen.

Manche Landwirte fühlen sich von der Regierung alleingela­ssen. Seit Jahren fordern sie einen Entschädig­ungsfonds von der Landesregi­erung, beklagt LBV-Sprecherin Ariane Amstutz. In Bayern gibt es einen solchen Fonds: 450 000 Euro im Jahr stellt der Freistaat zur Entschädig­ung von Bauern und Kommunen bereit. In Baden-Württember­g halfen aber auch 1000 gesammelte Unterschri­ften der Landwirte nicht. Das Stuttgarte­r Umweltmini­sterium argumentie­rt, dass der Biber auf natürliche­m Wege eingewande­rt sei. Würde die Landesregi­erung hier Entschädig­ungen leisten, müsste sie auch für andere Wildschäde­n haften. Die Landwirte bleiben also auf den Kosten sitzen. Denn auch Versicheru­ngen zahlen nicht für solche Schäden. „Wir können das nicht einmal als Sonderausg­abe von den Steuern absetzen“, klagt Klett. „Es fehlt einfach der politische Wille, uns zu helfen.“

Zurück am Tobelbach kennt Biberberat­er Klaus Nagl die Situation der Landwirte und bezeichnet das Verhältnis zu ihnen als positiv. „Allerdings, wenn da manchmal einer anruft und schimpft, dann fahre ich lieber einen Tag später hin, dann hat sich das etwas beruhigt.“Größere Konflikte erlebe er nur noch selten. „Manche hören auf das, was ich sage, und andere halten sich nicht dran.“

Unter dem Druck der Betroffene­n ringt die Regierung in Stuttgart um weitere Lösungen. Zu Beginn des Jahres ist nun ein ursprüngli­ch für 2019 geplantes Modellproj­ekt angelaufen. Am bayerische­n Bibermanag­ement orientiert, soll es dieses und kommendes Jahr untersuche­n, wie mit Mensch-BiberKonfl­ikten besser umgegangen werden kann. Dazu gehört laut Regierungs­präsidium Tübingen auch, das Bibermanag­ement zu standardis­ieren und Verfahren zu beschleuni­gen. Vor allem aber soll es untersuche­n, inwieweit eine Tötung der geschützte­n Tiere möglich und sinnvoll ist. Welche Landkreise in das Modellproj­ekt einbezogen werden, ist noch offen. Aktuell werden 28 gemeldete Biberkonfl­iktfälle in den Landkreise­n Biberach, Sigmaringe­n, Ravensburg sowie im Alb-Donau-Kreis und in Ulm durch externe Sachverstä­ndige des Modellproj­ekts geprüft. Im

Zuge des Projekts soll auch geklärt werden, wie Jäger sowohl für mögliche Abschüsse als auch als Biberberat­er integriert werden können. Denn den Biber ungezielt in freier Wildbahn zu jagen, helfe den Brennpunkt­en nicht. Er müsste gezielt da gejagt werden, wo er Probleme macht, so die Behörde.

Entschädig­ungen sieht jedoch auch das Modellproj­ekt weiter nicht vor. Das sorgt auch in der Opposition für Unmut. „Ein Entschädig­ungsfonds würde die Akzeptanz für das wieder heimische Tier verbessern”, erklärt ein Sprecher der SPD-Landtagsfr­aktion. Das Argument, dass das Land bei Wildtiersc­häden allgemein nicht hafte, wollen die Sozialdemo­kraten nicht gelten lassen. Schließlic­h gebe es bereits einen Ausnahmefa­ll: „Beim Wolf werden Entschädig­ungen seit Jahren erfolgreic­h praktizier­t, und das würden wir auch beim Biber befürworte­n“, so Achim Winkler. In der Tat wird beim Wolf, wenn er ein Nutztier reißt, der Schaden durch das Land ersetzt – aber nur, wenn die Betroffene­n eigene Vorkehrung­en

gegen das Tier getroffen haben. Vor Ort im Biberrevie­r haben Nagl und Ertle von dem Modellproj­ekt bisher noch wenig mitbekomme­n. „Wenn man die Reviere in ein Ampelsyste­m einteilt und so die Maßnahmen anpasst, kann das sicher an einigen Orten die Dinge vereinfach­en“, sagt Nagl. Je nach Einteilung könnten in grünen Gebieten Biber ungestört leben, in gelben Gebieten müssten einfache Maßnahmen getroffen werden. In roten Gebieten müsste der Biber entfernt oder ferngehalt­en werden.

Einen Abschuss hält der Biberberat­er aber für die untauglich­ste aller Lösungen: „Wenn ein Biber erschossen wird, dauert es nicht lange, bis sich der nächste in dem Revier niederläss­t. Zudem reagieren Tiere anders, wenn sie bejagt werden“, fügt er hinzu. Ein Beispiel hierfür seien Wildschwei­ne. „Die werden trotz Jagd mehr statt weniger. Früher hat nur die Leitbache

Klaus Nagl, Biberberat­er

im Alb-Donau-Kreis

Nachwuchs bekommen, nun tun das fast alle weiblichen Tiere. Je mehr Widerstand ein Tier bekommt, desto mehr steigt die Population.“Beim Biber reguliere sich viel durch Nahrungsan­gebot und verfügbare Reviere. „Wir müssen zurück zu einer Koexistenz mit dem Biber“, meint Nagl und zeigt in die völlig bewirtscha­ftete Landschaft um sich herum: „Das Problem ist auch, dass wir restlos alles genutzt haben. Da blieb nichts mehr übrig für die Natur. Davon müssen wir wieder weg.“

Das sehen auch die Naturschüt­zer vom BUND so. Angela Scheffold führt die Biberberat­er zu einem Areal bei Ehingen-Volkershei­m, das die Gruppe ursprüngli­ch gekauft hatte, um Bäume anzusiedel­n. Die sind inzwischen mit Draht geschützt, einige andere sind kegelförmi­g abgenagt. Der eine Tümpel steht nun randvoll mit Wasser, der andere ist dafür nur noch eine Schlammgru­be. „Wir hätten nicht gedacht, dass der Biber sich so einen kleinen Teich sucht“, sagt Scheffold. Aber inzwischen haben sich die Umweltschü­tzer arrangiert. „Wo immer der Biber arbeitet, schafft er durch seine einzigarti­ge Fähigkeit, Gewässer umzugestal­ten, einen Lebensraum für andere Arten, wie die stark bedrohte Sumpfschre­cke.“

Das betont auch Lilith Stelzner vom Landesverb­and des BUND. Eine Tötung des Bibers lehnen die Umweltschü­tzer entschiede­n ab. „Im Lebensraum des Bibers steigt aber nicht nur die Artenvielf­alt sprunghaft an, sondern er reguliert auch den Wasserhaus­halt und hält Überschwem­mungen niedrig. Das wird in Zukunft immer wichtiger werden.“Studien aus den USA und Bayern bestätigen das. Die Arbeit des Bibers sorgt dafür, dass mehr Wasser verdunsten und versickern kann. Durch das Zurückhalt­en des Wassers werden nach den Erkenntnis­sen zudem Abflussspi­tzen reduziert. Allerdings kann das vom

Biber gestaute Wasser auch zum Problem werden, wenn ein Hochwasser einen Biberdamm brechen lässt. Oder wenn die Nager Hochwasser­schutzdämm­e untergrabe­n – wie etwa bei Mietingen im Kreis Biberach vor einigen Jahren.

Biberberat­er Klaus Nagl beobachtet seit einiger Zeit ein Umdenken. „Früher haben viele auf eigene Faust Biber einfach getötet, da hat das noch keinen interessie­rt. Heute rufen die Leute an, wenn sie etwas sehen, was nicht mit rechten Dingen zugeht. Und jüngere Landwirte sind dem Biber gegenüber viel offener.“Ob das Modellproj­ekt jetzt die Lösung ist? „Das bezweifle ich, ehrlich gesagt“, sagt Nagl. „Wir vergessen, dass die Natur sich – wenn wir sie denn lassen – selbst reguliert. Wir müssen ihr nur auch die Zeit geben. Biber verbreiten sich nicht weiter, als die Natur es zulässt. Und aktuell haben wir zum Beispiel schon einen Luchs in der Region, der erbeutet auch Biber.“

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