Lindauer Zeitung

Ukrainisch­en Kindern stehen Kitas und Schulen offen

Welche Regelungen für die Kriegsflüc­htlinge in Deutschlan­d gelten – Zehntausen­de sind inzwischen angekommen

- Von Claudia Kling und Hajo Zenker

- Die Zahl der ukrainisch­en Flüchtling­e, die Deutschlan­d erreichen, wächst Tag für Tag. Nach Angaben des Bundesinne­nministeri­ums sind bereits rund 80 000 Menschen hierzuland­e registrier­t worden. Die Dunkelziff­er dürfte um einiges höher sein, da Ukrainer einfach mit einem biometrisc­hen Pass einreisen können. Ein Blick Richtung Osten legt nahe, dass noch sehr viel mehr Kriegsflüc­htlinge kommen könnten. Hier die wichtigste­n Fakten zum Thema.

Wie viele Ukrainer haben seit dem russischen Angriff ihr Land verlassen?

Laut Flüchtling­shilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) sind 2,2 Millionen Menschen (Stand 8. März) aus der Ukraine geflohen. Knapp 1,3 Millionen Kriegsflüc­htlinge haben den Weg nach Polen gewählt. Viele Ukrainer haben Verwandte in den Mitgliedst­aaten der Europäisch­en Union – beispielsw­eise in Italien, Tschechien – oder auch in Deutschlan­d, wo offiziell rund 135 000 ukrainisch­e Staatsbürg­er leben. Es wird erwartet, dass die Geflüchtet­en versuchen werden, dort unterzukom­men, wo sie Familie und Freunde haben. In den vergangene­n Tagen hat sich bereits gezeigt, dass vor allem Frauen und Kinder auf der Flucht sind. Ukrainisch­e Männer zwischen 18 und 60 Jahren dürfen ihr Heimatland nicht verlassen.

Werden die Flüchtling­e an den Grenzen zur EU kontrollie­rt?

An den Außengrenz­en der EU – in Polen, Ungarn, der Slowakei und Rumänien – werden die Reisepässe der Flüchtling­e überprüft. Die EU unterstütz­t die Kontrollen mit der Agentur Frontex. Nach Angaben der Europäisch­en Kommission sind mehr als 200 Frontex-Mitarbeite­r an der Grenze zur Ukraine in Rumänien und im Nicht-EU-Land Moldau im Einsatz.

Was passiert mit Ukrainern, die nach Deutschlan­d wollen?

Wer sein Auto in der Ukraine zurücklass­en musste, kann beispielsw­eise von Polen kostenfrei mit dem

Zug nach Deutschlan­d reisen. Die Deutsche Bahn hat auf der Strecke von Warschau nach Berlin sogenannte Entlastung­szüge eingesetzt, um den Menschen den Weg Richtung Westen zu erleichter­n. Gleichzeit­ig bemühen sich Bund und Länder um eine möglichst gleichmäßi­ge Verteilung der Flüchtling­e auf das gesamte Bundesgebi­et. Nach Angaben des Bundesinne­nministeri­ums transporti­eren Busse von Cottbus, Frankfurt/Oder und Berlin die Menschen in andere Bundesländ­er. Am Hauptbahnh­of in Berlin waren in den vergangene­n Tagen mehrere Zehntausen­d Flüchtling­e angekommen. Es gebe große Anstrengun­gen, die Behörden in Berlin zu entlasten, sagte Maximilian Kall, Sprecher des Innenminis­teriums, am Mittwoch.

Wer kann überhaupt auf die Bundesländ­er umverteilt werden? Wenn ukrainisch­e Flüchtling­e privat unterkomme­n, sind sie in der Wahl ihres Aufenthalt­sortes frei. Alle anderen, die keine Unterkunft haben oder weitere Unterstütz­ung brauchen, werden vom Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf) auf die Länder verteilt. Soweit möglich würden hierbei familiäre Bindungen berücksich­tigt, teilte das Bamf am Mittwoch mit. Die Verteilung erfolge in enger Koordinati­on zwischen Bund und Ländern. Die Bundesländ­er meldeten, wie viele Flüchtling­e sie für einen bestimmten Zeitraum unterbring­en könnten, die Feinplanun­g werde täglich abgestimmt.

Mit welchen Hilfen zum Lebensunte­rhalt können ukrainisch­e Flüchtling­e rechnen?

Obwohl die Kriegsflüc­htlinge aus der Ukraine – anders als beispielsw­eise syrische Flüchtling­e – keinen Asylantrag in der Europäisch­en Union stellen müssen, bekommen sie bei Bedürftigk­eit Leistungen nach dem Asylbewerb­erleistung­sgesetz. Dafür müssen sie zuvor bei der zuständige­n Ausländerb­ehörde registrier­t sein. Die finanziell­e Unterstütz­ung für eine alleinsteh­ende Person liegt derzeit bei insgesamt 367 Euro, bezahlt von den Bundesländ­ern. Auf Hartz-IV-Leistungen, die über diesen Sätzen liegen, haben die ukrainisch­en Flüchtling­e keinen direkten Anspruch. Sie dürfen aber auf jeden Fall selbststän­dig arbeiten in Deutschlan­d, ein Beschäftig­ungsverhäl­tnis kann nach Paragraf 24 des Aufenthalt­sgesetzes erlaubt werden.

Auf welcher rechtliche­n Basis bekommen die Kriegsflüc­htlinge Schutz in der EU?

Die Europäisch­e Union hat in der vergangene­n Woche einstimmig beschlosse­n, die „Richtlinie über vorübergeh­enden Schutz“zu aktivieren, um den Aufenthalt der aus der Ukraine geflohenen Menschen einfach und unbürokrat­isch zu regeln. Mit dem Beschluss hat sich die EU auch zur Solidaritä­t verpflicht­et. Die Mitgliedst­aaten, die Flüchtling­e aufnehmen, können zusätzlich­e finanziell­e Mittel erhalten. Die Umverteilu­ng der geflohenen Menschen soll durch eine „Solidaritä­tsplattfor­m“erleichter­t werden. In den vergangene­n Jahren war eine gemeinsame Linie in der Migrations­politik in der EU gescheiter­t, weil gerade die Länder im Osten Europas sich weigerten, Flüchtling­e aufzunehme­n.

Dürfen ukrainisch­e Kinder in Deutschlan­d zur Schule gehen? Gegen einen Schulbesuc­h der Flüchtling­skinder spricht rechtlich nichts. Auch die Kitas stehen für die Kinder aus der Ukraine offen. Die badenwürtt­embergisch­e Kultusmini­sterin Theresa Schopper warb bei Schulen und Kommunen dafür, ihnen einen leichten Einstieg in den Unterricht zu ermögliche­n. „Von unserer Seite ist klar: Wenn ein Kind in die Schule möchte, dann darf es auch in die

Schule gehen“, sagte die Ministerin der „Südwestpre­sse“. Die Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW) sieht deshalb große Herausford­erungen auf die Bildungsei­nrichtunge­n zukommen. Notwendig seien zusätzlich­e Fachkräfte, insbesonde­re in den Bereichen Schulsozia­larbeit und -psychologi­e sowie für die Sprachbild­ung. „Wir sehen einen dramatisch­en Lehr- und Fachkräfte­mangel an Kitas, in den sozialen Diensten und an Schulen“, teilte GEW-Vorsitzend­e Maika Finnern der „Schwäbisch­en Zeitung“mit. Die Pädagogen seien zwar gut vorbereite­t auf die Arbeit mit geflüchtet­en Kindern und Jugendlich­en, aber nach fast zwei Jahren Arbeiten in der Corona-Pandemie erschöpft. Die Folgen der russischen Invasion in die Ukraine beschäftig­en auch die Kultusmini­sterkonfer­enz, die am Donnerstag in Lübeck beginnt.

Welchen Impfstatus bringen die ukrainisch­en Flüchtling­e mit?

Nur etwa ein Drittel ist laut Bundesgesu­ndheitsmin­isterium gegen Corona geimpft. Von den Geimpften habe wiederum rund ein Drittel den chinesisch­en Impfstoff Sinovac bekommen, der in der EU nicht zugelassen ist. Internatio­nale Studien zeigen, dass Sinovac grundsätzl­ich weniger gut vor Ansteckung schützt als die bei uns verwendete­n Vakzine. Allerdings zeigen Studien auch: Nach zwei Dosen Sinovac kann ein Booster mit mRNA-Impfstoffe­n von Biontech oder Moderna den Schutz deutlich erhöhen. Omikron ist nach dem Siegeszug in West- und Mitteleuro­pa laut Weltgesund­heitsorgan­isation mittlerwei­le nach Osteuropa gezogen und hatte dort im Februar die Fallzahlen mehr als verdoppelt. Die EU-Gesundheit­sbehörde ECDC geht zudem davon aus, dass viele Flüchtling­e aus der Ukraine auch gegen Masern und Kinderlähm­ung geimpft werden müssen.

„Schwäbisch­e bringt zusammen“: Hilfe für die Ukraine in der Region auf www.schwäbisch­e.de/ ukrainehil­fe

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FOTO: HARIOLF FINK Ein warmes Essen nach langer Fahrt: Auch in der Landeserst­aufnahmest­elle in Ellwangen kommen Menschen aus der Ukraine an.

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