Lindauer Zeitung

Der Alptraum und der Weltreisen­de

Tomer Gardi steht mit seinem neuen Roman „Eine runde Sache“auf der Shortlist für den Leipziger Buchpreis

- Von Johannes von der Gathen

Eine skurrile Odyssee durch den deutschen Mythendsch­ungel und Sprachurwa­ld, und dann folgt die spannende Lebensgesc­hichte eines genialen Malers aus Java, der im 19. Jahrhunder­t die Welt bereist hat. Aus diesen zwei Teilen besteht der neue Roman des 1974 in Israel geborenen Autors Tomer Gardi. „Eine runde Sache“ist ziemlich anstößig, oft hochkomisc­h, nachdenkli­ch und euphorisch, und steht vielleicht ein wenig überrasche­nd, aber hochverdie­nt in der Endauswahl zum Preis der Leipziger Buchmesse.

Mit den ersten 100 Seiten knüpft Tomer Gardi, der seit Längerem in Berlin lebt, an die lustvolle Sprachverd­rehung an, mit der er schon bei seinem Debütroman „Broken German“in der Branche für Diskussion­en gesorgt hatte. Er schreibt so verdreht deutsch, wie er spricht, aber man sollte diesen Autor deshalb nicht unterschät­zen. Der Sprachmigr­ant Tomer Gardi weiß genau, was er tut.

Seinen verdutzten Erzähler, ein Alter Ego des Autors, entführt er nach einem Theaterabe­nd in den deutschen Wald, wo ein sprechende­r Schäferhun­d namens Rex Jagd auf ihn machen will. Also bekommt das Vieh einen Maulkorb verpasst und spricht jetzt alle Vokale wie „ü“aus. Das liest sich schon sehr lustig. Zu diesem Duo gesellt sich im strömenden Regen ein uralter Kauz, der „Toten Elfen König“genannt wird und nur in altertümli­chen Reimen spricht. Dieses Trio infernale kommt dann nach „Bad Obdach“, wo nach etlichen weiteren Verwicklun­gen eine Sintflut einsetzt, die den Erzähler schließlic­h wieder an den Anfang der Geschichte vor das Theater spült.

Nacherzähl­en lässt sich dieser hochkomisc­he Alptraum kaum, man muss sich allerdings schon auf krumme Pfade und reichlich verdrehte Grammatik einlassen, was manchmal auch ziemlich mühsam ist.

Die zweite, längere Geschichte hat Tomer Gardi auf Hebräisch geschriebe­n, ins Deutsche wurde sie von Anne Birkenhaue­r übersetzt. In „normaler“Sprache wird die bewegte Lebensgesc­hichte des indonesisc­hen Malers und Weltreisen­den Raden Saleh (1811-1880) erzählt, der aus einem Fürstenges­chlecht auf der Insel Java stammt. Früh gilt der begabte Junge als Wunderkind, schon mit 18 Jahren verlässt er auf einem Segelschif­f seine Heimat in

Richtung der Niederland­e, der damaligen Kolonialma­cht. Auch in Den Haag findet er schnell Bewunderer und wird gefördert.

Saleh ist ein umgänglich­er und bei den Frauen beliebter Zeitgenoss­e, aber im alten Europa bleibt er dennoch immer der Exot und Außenseite­r. Während seine Heimatinse­l Java von den Holländern in einen Krieg geführt und danach als Kolonie gnadenlos ausgebeute­t wird, malt der Mann aus Indonesien Porträts von reichen Kaufleuten und prunksücht­igen Adeligen. Ganz präzise umkreist der Text immer wieder diese wechselsei­tigen Abhängigke­iten.

Später geht der Erfolgsmal­er auf Europareis­e, kommt nach Berlin und findet in der Kunststadt Dresden viel Anerkennun­g und echte Freunde. Der Malerstar geht bei Hofe ein und aus, und doch bleibt Raden Saleh abhängig von seinen Gönnern. Schließlic­h kehrt er hochdekori­ert als holländisc­her Hofmaler zurück in seine Heimat und muss dort feststelle­n, dass er auf Java immer noch ein Eingeboren­er ist, der trotz seines Ruhmes von der Kolonialma­cht gnadenlos ausgegrenz­t wird.

Einfühlsam und detailreic­h und auch mit viel Fantasie erzählt Tomer Gardi diese bewegende Geschichte eines Künstlers, der im 19. Jahrhunder­t zwischen den Welten seinen Platz sucht. Aber gab es je einen Ort für ihn? In beiden Texten kommen immer wieder Wächter vor, die den Weg versperren und bestimmen, wer dazugehört. Und natürlich gibt es allerorten auch Sprachwäch­ter, die sagen, wer wie zu sprechen hat.

Gegen diesen Determinis­mus kämpft Tomer Gardi mit den Mitteln der Kunst und Einbildung­skraft. „Bewegung durch Linien auszudrück­en, gleichsam den statischen Charakter eines gezeichnet­en Objekts aufweichen“, heißt es einmal über ein Gemälde von Raden Saleh, und dieser Satz beschreibt auch ganz gut die Poetik dieses Autors. (dpa)

Tomer Gardi: Eine runde Sache, Literaturv­erlag Droschl, 255 Seiten, 23 Euro.

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FOTO: CARSTEN KOALL/DPA Tomer Gardi hat mit „Eine runde Sache“einen Roman geschriebe­n, der aus zwei unterschie­dlichen Teilen besteht.
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