Viele Wege führen aus Russland
Ljudmila Ulitzkaja zeigt sich in „Alissa kauft ihren Tod“auf der Höhe ihres Könnens
Auch auf Ljudmila Ulitzkaja wurde schon eine „SeljonkaAttacke“verübt. Ein Überfall, bei dem regierungskritische Oppositionelle in Russland überfallen und mit einem nur schwer zu entfernenden Desinfektionsmittel übergossen werden, das ihr Gesicht grün färbt. Immer noch lebt die Schriftstellerin (79) in Moskau. Dass ihre Bücher in Russland noch erscheinen dürfen, ist neben Ulitzkajas Popularität der Tatsache geschuldet, dass sie in einer gewissen Weise zeitlos sind.
In diesen Tagen, in denen man sich einmal mehr wünscht, die russische Seele besser zu verstehen, kommt Ljudmila Ulitzkajas Buch „Alissa kauft ihren Tod“gerade recht. Zwar liefert es keine Antworten. Von Politik ist darin kaum die Rede. Von Wladimir Putin sowieso nicht. Vielmehr geht es in den 21 Erzählungen um ganz normale Menschen die sich mit den Zuständen, wenn nicht abgefunden, so doch arrangiert haben. Und ist nicht gerade das das Problem? Die Verhältnisse zu verändern, kommt keinem in den Sinn in diesen Geschichten. Das Einzige, was den Protagonisten bleibt, ist die Flucht in den Westen, den Alkohol oder nach Innen.
Lidija in der Erzählung „Züü-rich“setzt sich in Moskau mit einem Deutschlehrbuch auf eine Bank und hofft so, einen Besucher der internationalen Messe kennenzulernen. Mit Erfolg. Ein dicker Schweizer schluckt ihren Köder. Er holt sie in die Schweiz, wo sie ein russisches Restaurant aufmachen. Am Abend der Eröffnung aber kriegt er einen Schlaganfall. „Das war’s. Lidija rechnete sofort nach: Ihr glückliches Leben hatte ein Jahr und einundzwanzig Tage gedauert.“In der Erzählung „Aqua Allegoria“ist es Sonja, eine hagere Frau mittleren Alters, die nach der Scheidung nur Äpfel isst, immer leichter wird und sich schließlich verpuppt, um als Schmetterling neu geboren zu werden.
Ljudmila Ulitzkaja ist eine gottbegnadete Erzählerin. Einmal mehr erzählt sie von starken Frauen, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen, weil die Männer sie verlassen oder sich ins Grab trinken. Aber der Band offenbart auch eine fantastische Seite der Schriftstellerin. Und im Zyklus „Sechs mal sieben Miniaturen“brennt sie dann ein wahres Feuerwerk ab. Aus jedem dieser kurzen Texte hätte sich ein Roman machen lassen. Stattdessen erzählt sie, als gäbe es kein Morgen. Und warum auch nicht? Wer weiß schon, was morgen sein wird.
Ljudmila Ulitzkaja: Alissa kauft ihren Tod, Erzählungen, Hanser Verlag, 304 Seiten, 25 Euro.