Umbesetzung führt zu größter Einheit des Programms
Das Sitkovetsky-Trio und Pablo Barragán gestalten ein außergewöhnliches Konzert
- Das Weltgeschehen fordert weiter die Flexibilität von Künstlern und Veranstaltern heraus – aber Flexibilität haben wir ja in den vergangenen Jahren gelernt und die Umbesetzung führte beim vergangenen Kammerkonzert im Lindauer Stadttheater zu einem ungemein dichten und homogenen Programm. Das koreanische Novus Quartett konnte wegen des Krieges in der Ukraine nicht anreisen, in enger Zusammenarbeit von Kulturamt und Agentur konnte das Sitkovetsky-Trio einspringen und tat sich mit dem schon ursprünglich vorgesehenen spanischen Klarinettisten Pablo Barragán zusammen.
Der Geiger Alexander Sitkovetsky und seine Gattin, die chinesische Pianistin Wu Quian, leben in London, der deutsch-koreanische Cellist Isang Enders lebt in Berlin, zusammen sind sie seit einigen Jahren als erfolgreiches Klaviertrio unterwegs und haben unter anderem das Trio von Ravel, das sie an diesem Abend musizierten, auf CD eingespielt. Kulturamtsleiter Alexander Warmbrunn betonte in seiner Begrüßung die universelle Kraft der Musik und die Verbundenheit der Musikerinnen und Musiker. Denn dass Alexander
Sitkovetsky in Moskau geboren ist und ukrainische Wurzeln hat, ist in diesen Tagen natürlich von noch größerer Bedeutung. Olivier Messiaens „Quatuor pour la fin temps“, das Hauptwerk des Abends, ist dazu eines der eindringlichsten Werke der Musikgeschichte. Binnen kürzester Probenzeit hatten sich das Trio und der Klarinettist aufeinander eingespielt und begeisterten das Publikum.
Mit Claude Debussys Rhapsodie für Klarinette und Klavier eröffneten Pablo Barragán und Wu Quian das Programm, das Werk war sogar im ursprünglichen Programm vorgesehen gewesen und erklang nun in Originalbesetzung. Über einer zunächst sanft wogenden, dann wild bewegten Klavierbegleitung entfaltete Barragán die Farb- und Klangmöglichkeiten seines Instruments, spielte mit Dynamik, Ansatz, Akzenten und Linien, wurde gemeinsam mit der Pianistin zum Erzähler und Gaukler.
Am Vorabend des ersten Weltkriegs komponierte Maurice Ravel sein Klaviertrio, das baskische Rhythmen, einen gespenstischen Scherzo-Satz, eine ungemein dichte Passacaglia als langsamen Satz und einen aufrauschenden Hymnus im Finale in sich vereint. Hier bewährte sich die Vertrautheit des Ensembles untereinander und mit diesem Werk. Im Zusammenspiel von Wu Quian, Alexander Sitkovetsky und Isang Enders gab die Pianistin den Puls vor, auf den sich die beiden Streicher einschwingen konnten. Träumerisch, ätherisch, unwirklich, dann wieder in einem heftigen Crescendo explodierend gestaltete das Ensemble den ersten Satz. Nach dem gespenstischen und höchst virtuos schillernden „Pantoum“an zweiter Stelle schien der aus der Tiefe aufsteigende langsame Satz Zerbrechlichkeit und Fahlheit zu spiegeln. In größter Verdichtung schraubten sich Geige und Cello über dem strengen Schreiten des Klaviers empor, endeten in einem filigranen Zwiegesang in höchster Lage. Um so intensiver war die Steigerung zu orchestraler Wucht im Finalsatz.
Was für ein Werk, was für eine Aussagekraft: Olivier Messiaen komponierte sein achtsätziges „Quatuor pour la fin du temps“(Quartett auf das Ende der Zeit) für Klavier, Klarinette, Violine und Violoncello im Kriegsgefangenenlager Görlitz für mitinhaftierte Musiker, am 15. Januar 1941 wurde es in einer Baracke zum ersten Mal zur Aufführung gebracht. Der tiefgläubige Komponist spiegelt in wilder Kraft und vorwärtsdrängender Energie das Brausen der Posaunen, die am Tag des Jüngsten Gerichts erklingen werden. Andererseits hat der Franzose, der auch Synästhesist war, wunderbare Klänge voller Farben und zerbrechlicher Leuchtkraft. Manchmal vereinen sich die vier Instrumente im kraftvollen Unisono, dann wieder treten das Cello oder zuletzt die Geige hervor, schrauben sich in unendlich langen Bögen hinauf, getragen von harmonisch reichen Klavierklängen.
Die Klarinette hat einen höchst ausdrucksstarken Solosatz mit einem weiten Ambitus zwischen greller Höhe und fast verlöschender Tiefe. Sie erinnert daran, dass Messiaen immer wieder die Vogelstimmen in Töne gefasst hat und die Vögel als Mittler zwischen Himmel und Erde, Göttlichem und Irdischem sah. Pablo Barragán und das Sitkovetsky-Trio nahmen das Publikum in atemberaubenden Klängen, großer Intensität und meditativer Versenkung mit auf diese besondere Klangreise und lösten die entstandene Spannung mit einer Bearbeitung von Ludwig van Beethoven auf: „Schöne Minka, ich muss scheiden“ist ein ukrainisches Volkslied – schlüssiger hätte dieser berührende Abend nicht enden können!