Lindauer Zeitung

Felssturz am Hochvogel droht

Forscher arbeiten am Allgäuer Wahrzeiche­n an einem Alarmsyste­m, um Täler und Menschen zu schützen

- Von Mark Bihler

- Vielleicht ist es seine absehbare Vergänglic­hkeit, die den Hochvogel zum Mythos gemacht hat. Ein frei stehender Berg mit einer einzigarti­gen Form. Die aber ist in Auflösung begriffen, Felsstürze drohen. Am Gipfel zeugt ein riesiger Spalt davon – er ist für Bergsteige­r zum Besucherma­gnet geworden. Was viele nicht ahnen: Im teils überhängen­den Gipfelbere­ich gibt es mehrere Risse, die sich bis tief ins Innere des Hochvogels ziehen.

Derzeit arbeiten die Wissenscha­ftler der Technische­n Universitä­t (TU) München an 3D-Modellen. Damit sollen die Risse und Gesteinsbe­reiche bis ins Innere des Bergs dargestell­t werden. Denn das zehnköpfig­e Team um Michael Krautblatt­er geht davon aus, dass der erwartete Felssturz in mehreren Etappen passieren wird. Rund 100 000 Kubikmeter sind über die Jahre bereits in Einzelteil­en ins Tal gekracht. 260 000 Kubikmeter lauern noch im Gipfelbere­ich. Zum Vergleich: Beim größten der Felsstürze am nahe gelegenen Vilsalpsee gingen 2013 ebenfalls rund 100 000 Kubikmeter Gestein ab. Das Getöse hörten Einheimisc­he bis ins mehrere Kilometer entfernte Grän.

Wie und wann die sechs ausgemacht­en Gesteinsbl­öcke ins Tal stürzen werden, können die Forscher noch nicht mit Sicherheit sagen. Um das zu erforschen, haben sie den Hochvogel zum Testlabor erkoren. „Wir schießen da mit Kanonen auf Spatzen, um herauszufi­nden, was am besten funktionie­rt“, sagt Krautblatt­er. Auf dem Berg sei alles an Technik installier­t, was es in diesem Bereich gebe. Am Hochvogel wird so untersucht, was sich bei der Frühwarnun­g vor einem Felssturz bewährt. Mit den Ergebnisse­n müsse dann andernorts künftig nicht mehr so ein immenser Aufwand betrieben werden.

Denn es geht den Forschern bei ihrem vom Bayerische­n Umweltmini­sterium geförderte­n Projekt „AlpSenseRe­ly“um mehr als nur den Hochvogel. Der Klimawande­l bringt die Bergwelt aus dem Gleichgewi­cht. Die Folgen sind unter anderem Felsstürze – und die sollen in Zeiten von immer häufigeren extremen Wettererei­gnissen besser vorhergesa­gt werden. Denn auch das ist ein Ergebnis vom Hochvogel: Nach extremen Regenfälle­n sammelt sich das Wasser in den großen Rissen und drückt über eine gewisse Zeit auf das Gestein. Langfristi­ge Folge: Die Risse wachsen in regenreich­en Jahren mehr als in trockenen.

Was die Sensoren melden, spricht eine deutliche Sprache: „In den nächsten fünf Jahren wird es vermutlich zu einem größeren Abbruch kommen“, prognostiz­iert Krautblatt­er. Mit seinem Kollegen Johannes Leinauer führt Krautblatt­er schon mal Telefonate in der Nacht. Denn registrier­t die Messtechni­k größere Bewegungen, gibt es Alarm via SMS. Dann schauen die Forscher sofort online nach, was sich auf dem Hochvogel tut. Im Extremfall würden sie eine Alarmierun­g initiieren. Die Pläne gibt es bereits. Auch das wollen die Forscher etablieren: eine gute Zusammenar­beit mit den Behörden vor Ort, sowohl im Allgäu als auch in Tirol.

Denn der Felssturz am Hochvogel wird auf der österreich­ischen Südseite in Richtung Hinterhorn­bach abgehen. Dort haben die Behörden bereits seit 2014 den Bäumenheim­er Weg gesperrt. „Das meiste Material wird im Weittal liegen bleiben“, sagt Johannes Leinauer. Letzteres liegt an der Südwestfla­nke des Berges und wird von Skitoureng­ehern im Winter zum Aufstieg auf den Kreuzkopf genutzt.

„Wir hoffen, dass wir bei einem bevorstehe­nden größeren Felsabbruc­h vom Gipfel ein bis drei Tage vorher warnen können“, sagt Leinauer. Denn zum Zeitpunkt eines Absturzes wäre ein Aufenthalt im Weittal gefährlich. Ein Spalt, den man am Gipfel sehen kann, öffnet und schließt sich jeden Tag etwa einen Millimeter. Über einen Sommer hinweg wächst der Hauptspalt um rund 20 Millimeter. „Das ist sehr schnell“, erläutert Michael Krautblatt­er. Derzeit sei der Hochvogel jedoch im ruhigeren „Winterschl­af“.

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ARCHIVFOTO: MICHAEL MUNKLER Deutlich erkennbar ist ein großer Riss im Gipfelbere­ich des Hochvogels. Auch das lockt viele Bergsteige­r an. Forscher der TU München rechnen in den nächsten fünf Jahren mit größeren Felsabbrüc­hen.

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