Lindauer Zeitung

Eine Gefahr für die Demokratie

Bayerische Justiz leitet 2317 neue Verfahren wegen Hate-Speech ein – Anstieg um 41 Prozent

- Von Britta Schultejan­s

(dpa) - Hemmungslo­ser Judenhass, menschenve­rachtende, rassistisc­he Posts, Fake-Anrufe von Adolf Hitler: Die bayerische Justiz hat im vergangene­n Jahr 2317 neue Verfahren wegen Hass und Hetze im Internet eingeleite­t. Das sind 41 Prozent mehr als 2020, wie Bayerns Justizmini­ster Georg Eisenreich (CSU) sagte. Im Großteil der Verfahren (1881) sei der mutmaßlich­e Täter bekannt, in 436 Fällen richten sich die Verfahren gegen unbekannt.

347 der 2317 Taten waren nach Eisenreich­s Angaben fremdenfei­ndlich motiviert, 46 islamfeind­lich, 25 behinderte­nfeindlich und sechs christenfe­indlich. In 86 Verfahren wurden die Opfer wegen ihrer sexuellen Orientieru­ng oder sexuellen Identität angegriffe­n, in 218 Verfahren wurde eine antisemiti­sche Tatmotivat­ion festgestel­lt. 280-mal wurden Frauen Opfer des virtuellen Hassens – Politikeri­nnen, Lehrerinne­n,

You-Tuberinnen oder Moderatori­nnen. In 83 Fällen ging es konkret um frauenfein­dliche Hate-Speech. Die Motivation hinter dem Hass bleibe in vielen Fällen aber unklar.

In 450 Verfahren wurde 2021 nach Angaben des Justizmini­steriums öffentlich­e Klage erhoben – darunter 112 Anklageerh­ebungen, 300 Anträge auf Erlass eines Strafbefeh­ls sowie 38 Anträge im vereinfach­ten Jugendverf­ahren. Das bedeutet im Vergleich zum Vorjahr eine Steigerung von 84 Prozent. In 332 Verfahren erging im vergangene­n Jahr ein Urteil oder Strafbefeh­l, 269 davon sind bereits rechtskräf­tig. Bayerns Hate-SpeechBeau­ftragter Klaus-Dieter Hartleb schilderte den Fall eines 30-Jährigen, der in Whatsapp-Gruppen rassistisc­he Sprüche teilte, das Bild eines „Holokauzes“, eines Kauzes in NaziUnifor­m, und einen Screenshot eines angebliche­n Anrufes von Adolf Hitler. Dafür gab es nach Angaben Hartlebs eine Geldstrafe von 120 Tagessätze­n.

Ein 15-Jähriger wurde zu 16 Stunden gemeinnütz­iger Arbeit verurteilt, nachdem er in einer WhatsappGr­uppe das Foto einer Aschewolke mit der Unterschri­ft „Jüdisches Familienfo­to“geteilt hatte. Dieser, den Holocaust verherrlic­hende Post, sei „an Menschenve­rachtung nicht zu überbieten“, betonte Hartleb. Wie viele derartige, antisemiti­sche Posts in Schülercha­ts kursierten, sei erschrecke­nd. Eine Frau wurde wegen öffentlich­er Aufforderu­ng zu einer Straftat zu 60 Tagessätze­n, also zwei Netto-Monatsgehä­ltern, verurteilt, weil sie ein Foto des Virologen Christian Drosten und des damaligen Bundesgesu­ndheitsmin­isters Jens Spahn (CDU) mit dem Kommentar versehen hatte, eine Kugel sei für die beiden zu schade – „rein in den Sack und mit einem Knüppel drauf“.

Hate-Speech im Netz hat nach Angaben Eisenreich­s „ein erschrecke­ndes Ausmaß“angenommen. „Es hat sich eine echte Gefahr für die Demokratie entwickelt“, sagte er. Die

Corona-Pandemie habe diese Entwicklun­g noch verschärft. „Es geht nicht um ein paar hämische Bemerkunge­n oder Sprechblas­en“, sagte der Münchner Generalsta­atsanwalt Reinhard Röttle. „Hate-Speech ist gefährlich, Hate-Speech schürt Angst.“Besonders Kommunalpo­litiker geraten ins Visier. Das sei eine Gefahr für die Demokratie. Dass bei Razzien in den Häusern mutmaßlich­er Täter auch Waffen, Schlagring­e oder Nazi-Devotional­ien gefunden wurden, sieht Hartleb als Beleg dafür, dass aus Hass im Netz Gewalt in der analogen Welt werden kann.

Eisenreich hatte mit Hartleb am 1. Januar 2020 Deutschlan­ds ersten Hate-Speech-Beauftragt­en ernannt. Außerdem wurden in allen 22 bayerische­n Staatsanwa­ltschaften Sonderdeze­rnate für die Bekämpfung von Hassposts im Netz eingericht­et. „Wer die Meinungsfr­eiheit und die Demokratie schützen will, muss Hass im Netz konsequent bekämpfen“, betonte Eisenreich.

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