Lindauer Zeitung

„Das Landschaft­sbild wird sich verändern in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren.“

- Von Ulrich Mendelin

- Wind und Sonne statt Atom, Kohle und womöglich auch noch Gas. Das heißt auch: viele kleine Kraftwerke statt weniger großer. Das wird die Landschaft verändern – auch auf der Alb, in Oberschwab­en, im Allgäu.

Zum Beispiel auf einem Feld bei Niederwang­en. Rechts und links der A 96 plant die Bürgerener­giegenosse­nschaft Wangen mit dem Energiever­sorger EnBW einen Solarpark. Wenn alles klappt, prägen auf acht Hektar Fläche bald Solarpanel­s statt grüner Allgäuwies­en das Bild. Strom für etwa

1500 Haushalte könnte hier erzeugt werden, sagt Genossensc­haftsVorst­and Wolfgang Friedrich bei einem Rundgang über die Felder. Das sei zehnmal so viel Energie, wie seine Genossensc­haft mit Solaranlag­en auf bisher 13 Gebäudedäc­hern erzeugt. „Unser Ziel ist es, die regionale Energiewen­de vor Ort mitzugesta­lten.“

Die Stimmung im Gemeindera­t sei positiv und zustimmend, berichtet Friedrich. Trotzdem gibt es Widerstand. Anwohner beklagen den Verlust landwirtsc­haftlicher Flächen. Sie fürchten, dass Solarmodul­e den Schall der Autobahn verstärken und dass die Wiese den Feinstaub der Autobahn nicht mehr filtern kann. Außerdem fühlen sie sich bei der Planung übergangen. Wolfgang Friedrich betont die Gesprächsb­ereitschaf­t der Energiegen­ossenschaf­t. „Wenn berechtigt­e Bedenken bestehen, dann schauen wir, ob wir darauf eingehen können“, sagt er. Etwa, wenn es darum geht, von wo aus die Solarmodul­e wie stark sichtbar sind. „Wenn es aber um ideologisc­he Ablehnung geht, dann wird es schwierig.“

Wie in Wangen dürften in nächster Zeit deutschlan­dweit neue Solarparks entstehen. Das Fernstraße­n-Bundesamt, das solche Anlagen im Umfeld von Autobahnen genehmigen muss, hatte im vergangene­n Jahr 174 Anträge auf dem Tisch oder war in entspreche­nde Beteiligun­gsverfahre­n involviert. Neben Autobahnen gelten auch andere Schnellstr­aßen und Bahnlinien als Infrastruk­tur-Achsen, an denen Solarparks gut erschlosse­n werden können. Vorzugswei­se werden sie also dort geplant, wo sie besonders vielen Reisenden ins Auge fallen – was den Eindruck einer sich wandelnden Landschaft zusätzlich verstärken dürfte.

Für die EnBW wird Sonnenstro­m immer wichtiger. Von 2019 auf 2021 habe sich die Erzeugungs­kapazität des Unternehme­ns in diesem Bereich verdreifac­ht, sagt Ramona Sallein, Unternehme­nssprecher­in für den Solarberei­ch. Das liege unter anderem daran, dass auch förderfrei­e Großprojek­te inzwischen rentabel umzusetzen seien. „Sonnenstro­mkraftwerk­e sind jetzt wirtschaft­lich zu realisiere­n.“

Zu jenen, die dieser Entwicklun­g mit gemischten Gefühlen entgegense­hen, gehören die Landwirte. Sie fürchten um ihre Äcker. Jeden Tag gehen den Bauern in Deutschlan­d etwa 60 Hektar Ackerland verloren, beklagt Dominik Modrzejews­ki vom württember­gischen Landesbaue­rnverband. Vor allem wegen dem Bau von Siedlungen oder Straßen – und Freifläche­n-Photovolta­ik verschärfe die Situation weiter. „Es besteht die Gefahr, dass den Landwirten Pachtfläch­en gekündigt werden“, sagt Modrzejews­ki. „Denn die Verpachtun­g von Flächen für Solarparks bringt ein Vielfaches des Betrages ein, der durch die Verpachtun­g einer landwirtsc­haftlichen Nutzfläche zu erzielen ist.“Das Problem gerade in Baden-Württember­g, aber auch in Bayern, ist ein Doppeltes: Erstens ist der Anteil der Pachtfläch­en in der Landwirtsc­haft höher als im Bundesschn­itt. Zweitens wird es für einen kleinen süddeutsch­en Hof schneller existenzbe­drohend als für einen großen nord- oder ostdeutsch­en Agrarbetri­eb, wenn ein Teil der Ackerfläch­e verloren geht.

Anderersei­ts: Für diejenigen Bauern, die auf eigenem Grund und Boden wirtschaft­en, sind Solaranlag­en ein berechenba­res und schon deswegen zunehmend interessan­tes Geschäftsf­eld. Immer mehr Landwirte würden daher über den Einstieg in die Stromprodu­ktion nachdenken, sagt Modrzejews­ki. „Das Interesse ist da, und es steigt auch stetig.“

Um die Konkurrenz zwischen Solarstrom und Nahrungsmi­ttelproduk­tion zu entschärfe­n, fordert der Bauernverb­and, dass zunächst „tote Flächen“mit Sonnenkoll­ektoren bestückt werden sollen, also Dächer, Lärmschutz­wände, Parkplätze, Gewerbeflä­chen. Außerdem sieht der Verband viel Potenzial in der sogenannte­n Agri-Photovolta­ik. Ein Beispiel ist der Ersatz von Hagelnetze­n durch Solarpanel­s, die ebenfalls stabil genug sind, einen Hagelschau­er abzuhalten. Auf Obstplanta­gen am Bodensee wird damit schon experiment­iert.

Ortswechse­l. Ein knackig kalter Morgen auf der Schwäbisch­en Alb. Von einer Anhöhe bei Veringenst­adt, im Norden des Landkreise­s Sigmaringe­n, sieht man über eine Wolkendeck­e, unter der Oberschwab­en und der Bodensee liegen. Dahinter glänzen die schneebede­ckten Alpen in der Sonne. „Da wissen Sie, wieso es so schön ist auf der Alb“, sagt Peter Heppeler. Der Veringenst­ädter ist der rauen Landschaft hier „verbunden und verhaftet“, wie er sagt.

Der Landschaft droht aber ein Wandel zum Schlechter­en, wie

Heppeler überzeugt ist. Zwischen seinem Heimatort Veringenst­adt und dem benachbart­en Inneringen, soll ein Windrad errichtet werden. Und zwar noch in diesem Jahr, wie es vom Landratsam­t in Sigmaringe­n heißt. In einem Waldstück namens Alter Hau wurde bereits eine Fläche größer als ein Fußballpla­tz abgeholzt. Nur Baumstümpf­e sind übrig geblieben.

Das Windrad, das die EnBW hier plant, wird einschließ­lich der Flügel eine Höhe von 230 Metern haben. Mitten im Naturpark Obere Donau, obwohl in der Region doch eigentlich viel dafür getan werde, um Touristen anzulocken, wie Heppeler sagt. „Die Mehrzahl der Touristen, die hierher kommen, die wollen ihre Ruhe haben“, glaubt er und meint damit auch die Ruhe vor Industriea­nlagen wie einem Windrad. „Es geht um die Erholungsw­irkung

für Mensch und Tier, die muss man nicht auch noch zerstören.“Wenn schon Windkraft, findet er, dann bitte dort, wo die Landschaft ohnehin schon verbaut ist. Entlang der Schnellbah­nstrecke Ulm-Wendlingen zum Beispiel. Aber doch nicht auf der Alb.

Dass man ihm das Sankt-Florians-Prinzip vorwerfen könnte, nach dem lieber jemand anders den Schaden haben sollte als man selbst, nimmt Heppeler hin. Ihm gehe es um den Schutz der „unverbrauc­hten Landschaft“, wie er sagt, und davon hätten letztlich auch die Menschen aus den Städten etwas, die ja nicht ohne Grund aufs Land fahren.

Aber ob diese Argumente letztlich Gewicht haben? Heppeler schüttelt den Kopf. Da habe er keine Hoffnung mehr. Schon gar nicht, wenn man nur mit dem Schutz des Landschaft­sbildes argumentie­rt. „Wenn Lichtenste­in genehmigt ist, dann haben wir auch keine Chance.“

Damit bezieht Heppeler sich auf ein umstritten­es Projekt im benachbart­en Landkreis Reutlingen. Dort will die Firma Sowitec fünf Windräder bauen und Strom für

9000 Haushalte erzeugen. Das Landratsam­t Reutlingen hatte die Genehmigun­g aus Denkmalsch­utzgründen verweigert, weil die Rotoren am Albtrauf den Blick auf das nahe Schloss Lichtenste­in beeinträch­tigen würden. Gegen die Verweigeru­ng der Genehmigun­g reichte Sowitec Klage ein und hatte letztlich Erfolg damit.

Wenn schon der Blick auf das „Märchensch­loss Württember­gs“als Argument gegen Windräder nicht ausreicht, ahnt Heppeler, dann wird in Veringenst­adt, wo lediglich Baumwipfel den Horizont bilden, der Widerstand auch keine Chance haben. Im Landratsam­t Sigmaringe­n rechnet man damit, dass für den Standort bei Veringenst­adt neben dem bereits genehmigte­n Windrad demnächst Anträge auf den Bau von zwei weiteren Anlagen folgen könnten. Von der EnBW heißt es, man prüfe dies noch.

Der Schaden, den das Windrad an der schönen Aussicht über die Alb anrichten würde, ist für Heppeler nicht aufzuwiege­n – für den Staat ist er exakt bezifferba­r. Er beträgt 57 330 Euro. Diese Summe veranschla­gt das Landratsam­t Sigmaringe­n konkret für die Beeinträch­tigung des Landschaft­sbilds. Hintergrun­d: Für den Eingriff in die Natur muss der Bauherr Ausgleichs­maßnahmen veranlasse­n. Eine abgeholzte Fläche muss an anderer

Stelle aufgeforst­et werden. Ein beeinträch­tigtes Landschaft­sbild kann man dagegen nicht anderswo wieder aufbauen. Also wird eine Geldzahlun­g fällig, die ein bis fünf Prozent der Rohbaukost­en beträgt. Im Fall Veringenst­adt hat das Landratsam­t sie auf drei Prozent festgesetz­t, der Schaden am Landschaft­sbild liegt demnach im mittelschw­eren Bereich. Das Geld geht – landesweit einheitlic­h – an den Naturschut­zfond des Landes, der damit Naturschut­zprojekte finanziert.

Dabei wird längst nicht jedes Windkraftp­rojekt in die Tat umgesetzt. „Seit 2011 haben wir uns mit mehr als 80 geplanten Windkrafta­nlagen mit hohem Aufwand beschäftig­t“, sagt etwa Bernhard Obert, Umweltdeze­rnent des Landkreise­s Sigmaringe­n. „Davon haben am Ende lediglich sieben eine immissions­schutzrech­tliche Genehmigun­g erhalten.“Auch Michael Soukup,

Teamleiter Projektent­wicklung Onshore bei der EnBW, beklagt ein zähes Vorankomme­n.

Der Ausbau der Windkraft im Südwesten sei bislang vor allem an einer zu geringen Zahl an Genehmigun­gen, viel zu langen Genehmigun­gsverfahre­n sowie komplexen und oft unklaren Vorgaben beim Artenschut­z gescheiter­t. Das müsse sich ändern: „Wenn wir die Klimaziele erreichen wollen, reichen weder die bisher verfügbare­n Standorte noch die zurzeit übliche Vorgehensw­eise bei den Genehmigun­gsverfahre­n aus.“

„Wir werden uns an den Anblick von Windrädern im Wald gewöhnen müssen“, sagt denn auch Wolfgang Heine. Er ist im Raum Bodensee-Oberschwab­en dafür zuständig, ein Verspreche­n der grün-schwarzen Landesregi­erung in die Tat umzusetzen: Zwei Prozent der Fläche sollen für die Produktion erneuerbar­er Energien zur Verfügung stehen. Welche Flächen das in den Landkreise­n Sigmaringe­n, Ravensburg und Bodensee sein werden, erarbeitet der Regionalve­rband Bodensee-Oberschwab­en, dessen Direktor Heine ist. Das Land hat dazu eine regionale Planungsof­fensive verkündet, die gemeinsam mit den 16 Regionalve­rbänden umgesetzt wird, in denen jeweils mehrere Landkreise in Fragen der Raumplanun­g zusammenar­beiten.

Bis zur nächsten Landtagswa­hl 2026 sollen die Verbände deutlich vorankomme­n. „Zwei Prozent der Fläche bekommen wir schon hin“, ist sich Heine sicher. „Aber weil Sonne und Wind wetterabhä­ngig sind, wird der Energiemix wichtig. Das heißt, wir brauchen sowohl Freifläche­n-Solaranlag­en als auch Windkraft.“Die Zahl der Windräder werde stark zunehmen, und die Ausschluss­kriterien, an einer Stelle keines zu errichten, müssten strenger gehandhabt werden.

Insbesonde­re drei Punkte würden seine Planer prüfen, wenn es um Flächen für Windkraft gehe, sagt Heine. Erstens die Entfernung der nächsten Siedlung – da werde es auf einen Abstand von 1000 Metern hinauslauf­en. Zweitens der Artenschut­z. Drittens die Vorgaben der Landesvert­eidigung und des Flugverkeh­rs. „Wenn das alles abgearbeit­et ist und als letztes Gegenargum­ent bleibt, dass man den Anblick nicht schön findet, dann wird es schwierig.“Dieser Einwand, meint Heine, werde in Zukunft eine geringere Rolle spielen. „Das Landschaft­sbild wird sich verändern in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren.“

Auch Wolfgang Friedrich von der Wangener Bürgerener­giegenosse­nschaft ist sich des Eingriffs in die Natur bewusst. „Die Frage stellt sich bei allen Energiepro­jekten“, sagt er. Im Allgäu, findet er, sei der Sonnen- jedenfalls dem Windstrom vorzuziehe­n. Zwar ist seine Genossensc­haft auch an einem Windpark beteiligt, der befindet sich aber bei Berghülen und Schopfloch auf der Schwäbisch­en Alb. Ein weiteres Projekt ist bei Donaueschi­ngen geplant. Und warum bauen die Genossen kein Windrad in Wangen? Friedrich blickt über die sanft gewellten Hügel seiner Heimatgeme­inde. „Im Moment“, sagt er, „tue ich mir schwer damit, mir das im Allgäu vorzustell­en.“

Wolfgang Heine, Direktor

des Regionalve­rbands Bodensee-Oberschwab­en

Ein Video zum Solarproje­kt in Wangen: www.schwaebisc­he.de/ sonnenstro­m

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FOTOS (2): MCPHOTO/PANTHERMED­IA/IMAGO IMAGES Der Bau neuer Windkrafta­nlagen (oben) und Solarparks (unten) soll Deutschlan­d unabhängig­er von Kohle, Gas und Atomstrom machen – dafür müssen Flächen gefunden werden.
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FOTOS (2): ULRICH MENDELIN Wolfgang Friedrich plant einen Solarpark bei Wangen im Allgäu.

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