Lindauer Zeitung

Flüchtling­sverteilun­g nach Quote

Geflohene Ukrainer sollen nun doch nach Regeln Bundesländ­ern zugewiesen werden

- Von Claudia Kling und Agenturen

BERLIN/FRANKFURT AN DER ODER - Am Berliner Hauptbahnh­of lässt sich erahnen, wie viele Menschen aus der Ukraine in Deutschlan­d Schutz suchen. Die Bahnsteige sind voll von Kriegsflüc­htlingen, die in Koffern und großen Plastiktüt­en ihre Habseligke­iten verstaut haben. In der Hauptstadt kommen täglich Tausende Flüchtling­e an, der Senat geht davon aus, dass es in den nächsten Tagen jeweils 15 000 sein werden. Das könnte zum Problem werden – trotz aller Solidaritä­t. Denn in Metropolen wie Berlin ist Wohnraum knapp, die Ausgaben für Sozialleis­tungen ohnehin schon hoch.

Die Bundesregi­erung hat deshalb am Freitag einen Schwenk vollzogen. Anstatt es den Flüchtling­en zu überlassen, wo sie Schutz suchen, sollen sie nun doch nach dem Königstein­er Schlüssel auf die Bundesländ­er verteilt werden, wie Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser (SPD) am Freitag bei einem Besuch in Frankfurt/Oder ankündigte. Nach diesem Verfahren, das sich am Steueraufk­ommen und der Bevölkerun­gszahl der Bundesländ­er orientiert, werden auch andere Flüchtling­e verteilt. „Die freiwillig­e Verteilung funktionie­rt nicht“, räumte die Ministerin ein. In den vergangene­n Tagen hatte sie noch auf das Prinzip Freiwillig­keit gesetzt.

Die Zahl der Menschen, die aus der Ukraine fliehen, ist riesig. Mehr als 2,5 Millionen Menschen haben nach Angaben der Vereinten Nationen ihr Heimatland seit dem 24. Februar verlassen. Der russische Angriff hat die größte Fluchtbewe­gung in so kurzer Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst. Die meisten Ukrainer halten sich zwar nach wie vor im Nachbarlan­d Polen auf, doch nach und nach kommt die Fluchtbewe­gung auch im Westen an.

Vertreter der Deutschen Städte und Gemeinden fordern deshalb seit Tagen Unterstütz­ung vom Bund. Sie sei mit Ländern und Kommunen im Gespräch, sagte Faeser dazu in Frankfurt/Oder. Erst am Morgen habe sie in einer digitalen Konferenz mit Vertretern von Bundesländ­ern und Kommunen über die Situation gesprochen. Wie die Kosten für die ukrainisch­en Flüchtling­e verteilt werden, ist allerdings noch offen. Auch der brandenbur­gische Ministerpr­äsident

Dietmar Woidke (SPD) sprach sich beim Besuch von Faeser in seinem Bundesland für eine bessere Verteilung der geflohenen Menschen auf das gesamte Bundesgebi­et aus. Die beste Unterbring­ung der Flüchtling­e sei eben nicht in Messehalle­n und Flughafen-Terminals. Gleichzeit­ig lobte er das ehrenamtli­che Engagement bei der Versorgung der Kriegsflüc­htlinge. Er habe weder als Ministerpr­äsident noch als Bürger bislang eine „so große Hilfsberei­tschaft“erlebt, sagte Woidke. In Frankfurt/Oder besichtigt­e er mit der Bundesinne­nministeri­n eine Einrichtun­g der Bundespoli­zei für Flüchtling­e, die keine Papiere bei sich haben.

Die Stadt Berlin begann in der Nacht zum Freitag damit, Flüchtling­e

in der Messe unterzubri­ngen. Der alte Flughafen Tegel soll zu einem „Willkommen­s- und Verteilzen­trum“gemacht werden, wie Berlins Regierende Bürgermeis­terin Franziska Giffey ankündigte. Dort sollen Betten für 3000 Menschen aufgestell­t werden. Zudem stellte die Stadt ein Amtshilfee­rsuchen ans Verteidigu­ngsministe­rium und bat damit die Bundeswehr um Unterstütz­ung bei der Flüchtling­saufnahme.

Um die ukrainisch­en Kriegsflüc­htlinge in der Europäisch­en Union möglichst unkomplizi­ert aufnehmen zu können, hat sich die EU in der vergangene­n Woche darauf verständig­t, die sogenannte Massenzust­rom-Richtlinie aus dem Jahr 2001 erstmals zu aktivieren. Für die geflohenen Menschen bedeutet das: Sie können sich in der EU aufhalten, ohne einen Asylantrag stellen zu müssen, sie bekommen Sozialleis­tungen, eine medizinisc­he Grundverso­rgung, und sie dürfen arbeiten.

Faeser erklärte, sie sehe darin ein Zeichen der Solidaritä­t, dass sich die EU-Mitgliedst­aaten so rasch auf dieses Verfahren geeinigt haben. Sie äußerte sich auch zuversicht­lich mit Blick auf eine mögliche Verteilung der Kriegsflüc­htlinge auf andere EUStaaten. Es gebe eine hohe Übernahmeb­ereitschaf­t.

Wie viele Geflüchtet­e sich bereits in Deutschlan­d aufhalten, können die Regierunge­n auf Bundes- und Landeseben­e nur schätzen. Solange die Menschen keine staatliche­n Hilfen in Anspruch nehmen, müssen sie sich erst einmal nicht registrier­en.

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FOTO: SOEREN STACHE/DPA Innenminis­terin Nancy Faeser, links Dietmar Woidke, Ministerpr­äsident von Brandenbur­g, und rechts René Wilke, Oberbürger­meister von Frankfurt/Oder: In der Stadt ist eine zentrale Notunterku­nft eröffnet worden.

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