Flüchtlingsverteilung nach Quote
Geflohene Ukrainer sollen nun doch nach Regeln Bundesländern zugewiesen werden
BERLIN/FRANKFURT AN DER ODER - Am Berliner Hauptbahnhof lässt sich erahnen, wie viele Menschen aus der Ukraine in Deutschland Schutz suchen. Die Bahnsteige sind voll von Kriegsflüchtlingen, die in Koffern und großen Plastiktüten ihre Habseligkeiten verstaut haben. In der Hauptstadt kommen täglich Tausende Flüchtlinge an, der Senat geht davon aus, dass es in den nächsten Tagen jeweils 15 000 sein werden. Das könnte zum Problem werden – trotz aller Solidarität. Denn in Metropolen wie Berlin ist Wohnraum knapp, die Ausgaben für Sozialleistungen ohnehin schon hoch.
Die Bundesregierung hat deshalb am Freitag einen Schwenk vollzogen. Anstatt es den Flüchtlingen zu überlassen, wo sie Schutz suchen, sollen sie nun doch nach dem Königsteiner Schlüssel auf die Bundesländer verteilt werden, wie Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Freitag bei einem Besuch in Frankfurt/Oder ankündigte. Nach diesem Verfahren, das sich am Steueraufkommen und der Bevölkerungszahl der Bundesländer orientiert, werden auch andere Flüchtlinge verteilt. „Die freiwillige Verteilung funktioniert nicht“, räumte die Ministerin ein. In den vergangenen Tagen hatte sie noch auf das Prinzip Freiwilligkeit gesetzt.
Die Zahl der Menschen, die aus der Ukraine fliehen, ist riesig. Mehr als 2,5 Millionen Menschen haben nach Angaben der Vereinten Nationen ihr Heimatland seit dem 24. Februar verlassen. Der russische Angriff hat die größte Fluchtbewegung in so kurzer Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst. Die meisten Ukrainer halten sich zwar nach wie vor im Nachbarland Polen auf, doch nach und nach kommt die Fluchtbewegung auch im Westen an.
Vertreter der Deutschen Städte und Gemeinden fordern deshalb seit Tagen Unterstützung vom Bund. Sie sei mit Ländern und Kommunen im Gespräch, sagte Faeser dazu in Frankfurt/Oder. Erst am Morgen habe sie in einer digitalen Konferenz mit Vertretern von Bundesländern und Kommunen über die Situation gesprochen. Wie die Kosten für die ukrainischen Flüchtlinge verteilt werden, ist allerdings noch offen. Auch der brandenburgische Ministerpräsident
Dietmar Woidke (SPD) sprach sich beim Besuch von Faeser in seinem Bundesland für eine bessere Verteilung der geflohenen Menschen auf das gesamte Bundesgebiet aus. Die beste Unterbringung der Flüchtlinge sei eben nicht in Messehallen und Flughafen-Terminals. Gleichzeitig lobte er das ehrenamtliche Engagement bei der Versorgung der Kriegsflüchtlinge. Er habe weder als Ministerpräsident noch als Bürger bislang eine „so große Hilfsbereitschaft“erlebt, sagte Woidke. In Frankfurt/Oder besichtigte er mit der Bundesinnenministerin eine Einrichtung der Bundespolizei für Flüchtlinge, die keine Papiere bei sich haben.
Die Stadt Berlin begann in der Nacht zum Freitag damit, Flüchtlinge
in der Messe unterzubringen. Der alte Flughafen Tegel soll zu einem „Willkommens- und Verteilzentrum“gemacht werden, wie Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey ankündigte. Dort sollen Betten für 3000 Menschen aufgestellt werden. Zudem stellte die Stadt ein Amtshilfeersuchen ans Verteidigungsministerium und bat damit die Bundeswehr um Unterstützung bei der Flüchtlingsaufnahme.
Um die ukrainischen Kriegsflüchtlinge in der Europäischen Union möglichst unkompliziert aufnehmen zu können, hat sich die EU in der vergangenen Woche darauf verständigt, die sogenannte Massenzustrom-Richtlinie aus dem Jahr 2001 erstmals zu aktivieren. Für die geflohenen Menschen bedeutet das: Sie können sich in der EU aufhalten, ohne einen Asylantrag stellen zu müssen, sie bekommen Sozialleistungen, eine medizinische Grundversorgung, und sie dürfen arbeiten.
Faeser erklärte, sie sehe darin ein Zeichen der Solidarität, dass sich die EU-Mitgliedstaaten so rasch auf dieses Verfahren geeinigt haben. Sie äußerte sich auch zuversichtlich mit Blick auf eine mögliche Verteilung der Kriegsflüchtlinge auf andere EUStaaten. Es gebe eine hohe Übernahmebereitschaft.
Wie viele Geflüchtete sich bereits in Deutschland aufhalten, können die Regierungen auf Bundes- und Landesebene nur schätzen. Solange die Menschen keine staatlichen Hilfen in Anspruch nehmen, müssen sie sich erst einmal nicht registrieren.