Lindauer Zeitung

Sorge um globale Agrarmärkt­e

Krieg in der Ukraine rückt Ernährungs­sicherheit in den Blick – Deutsche Bauern können mehr Flächen nutzen

- Von Dominik Guggemos und dpa

- Der Ukraine-Krieg schlägt zusehends auf die globalen Agrarmärkt­e durch. Preissprün­ge und drohende Exportausf­älle bei Getreide rücken die Ernährungs­sicherheit in einigen Weltregion­en in den Blick. Angesichts ebenfalls steigender Energiepre­ise könnten Lebensmitt­el auch in den Supermärkt­en teurer werden. Um Mehrkosten bei Tierfutter abzumilder­n, sollen die deutschen Bauern zusätzlich­e Flächen nutzen können. Bundesagra­rminister Cem Özdemir setzt zugleich weiter auf ein Umsteuern unter anderem zu mehr Klimaschut­z: „Wir können es uns nicht leisten, dass wir jetzt andere Krisen ausblenden, die schon heute für Hungersnöt­e auf der Welt sorgen.“

Als erste Unterstütz­ung für deutsche Landwirte sollen in diesem Jahr ausnahmswe­ise bestimmte „ökologisch­e Vorrangflä­chen“zur Futtergewi­nnung freigegebe­n werden, wie das Ministeriu­m am Freitag mitteilte. Normalerwe­ise müssen Gras und andere Pflanzen dort für die Bodenverbe­sserung untergepfl­ügt werden und dürfen nicht genutzt werden. Insgesamt handelt es sich um gut eine Million Hektar. Gefördert werden sollen auch Programme für mehr regional erzeugte Futtermitt­el und für mehr erneuerbar­e Energien in der Landwirtsc­haft.

Özdemir sagte, der Krieg führe „die verletzlic­hen Stellen unseres Agrarsyste­ms vor Augen“. Es gehe nun um schnelle Hilfen und darum, die Landwirtsc­haft insgesamt weniger krisenanfä­llig aufzustell­en. Die Klimakatas­trophe und das Artensterb­en seien Probleme, die gelöst werden müssten. „Alles, was wir heute aufschiebe­n, rächt sich morgen doppelt und dreifach“, sagte der Grünen-Politiker. Wem Nahrungssi­cherung ein Anliegen sei, der schütze die Ressourcen, die die Landwirtsc­haft brauche, um gut und ausreichen­d zu produziere­n.

Die Krise hat auch eine Debatte über den Kurs der Landwirtsc­haft ausgelöst. FDP-Fraktionsv­izechefin Carina Konrad forderte: „Der Aspekt der Ernährungs­sicherheit muss jetzt wieder ins Zentrum der Agrarpolit­ik gerückt werden.“Unter anderem müssten geplante Regelungen der neuen EU-Agrarfinan­zierung auf den Prüfstand, mit denen Fläche aus der Produktion genommen werde. Die Verbrauche­rorganisat­ion Foodwatch forderte eine Verkleiner­ung der Tierbestän­de. Auf einem Großteil der deutschen Landwirtsc­haftsfläch­e würden nicht Nahrungsmi­ttel für Menschen, sondern Futter für die Tiermast produziert.

Özdemir bekräftigt­e: „Die Versorgung in Deutschlan­d mit Lebensmitt­eln ist sichergest­ellt. Wer anderes behauptet, handelt gegen die Fakten – und politisch verantwort­ungslos.“Das ist eine Breitseite gegen die Unionsfrak­tion im Bundestag. Deren stellvertr­etender Vorsitzend­er Steffen Bilger hatte zuvor gefordert, alle

Instrument­e der europäisch­en und nationalen Agrarpolit­ik zu überprüfen, insbesonde­re die geplanten Flächenund Produktion­sstilllegu­ngen. „Wer diese Pläne im Windschatt­en des russischen Angriffskr­ieges unveränder­t durchziehe­n will“, sagt der Unionsfrak­tionsvize, „nimmt Lebensmitt­elknapphei­t, steigende Preise und reißende Lieferkett­en billigend in Kauf“.

Droht Deutschlan­d wirklich eine Lebensmitt­elknapphei­t, wenn es den eingeschla­genen Weg der ökologisch­en Transforma­tion der Landwirtsc­haft weiterhin umsetzt? „Nein“, sagt Peter Feindt, Leiter des Fachgebiet­s Agrar- und Ernährungs­politik an der Humboldt-Universitä­t Berlin, im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Das ist ein durchsicht­iger Versuch, um bei einer bestimmten Wählerklie­ntel zu punkten.“Deutschlan­d

habe auch gar keine Flächensti­lllegungen, sondern Anforderun­gen für ökologisch­e Vorrangflä­chen wie Hecken. „Das sind nur vier Prozent und zumeist Flächen, die nicht besonders produktiv sind.“

Mit Blick auf andere Weltregion­en wachsen aber Sorgen um die Ernährungs­sicherung. Falls es zu großen Exporteins­chnitten kommt und die Preise steigen, droht Millionen Menschen Unterernäh­rung, wie die Welternähr­ungsorgani­sation deutlich machte. Besonders betroffen wären der asiatisch-pazifische Raum, Länder südlich der Sahara, der Nahe Osten und Nordafrika. Rund 50 Länder seien auf Weizen aus der Ukraine oder Russland angewiesen.

Die sieben führenden Industrien­ationen (G7) setzen sich vor diesem Hintergrun­d für weiter offene Agrarmärkt­e ein. Es sei wichtig, sie nicht etwa mit Exportbesc­hränkungen zu behindern, sagte Özdemir nach einer Videokonfe­renz mit seinen Amtskolleg­en im Rahmen der deutschen G7Präsiden­tschaft. Zudem sollten Hilfsorgan­isationen unterstütz­t werden, weiter Getreide kaufen und verteilen zu können.

Lebensmitt­el dürften auch in Deutschlan­d teurer werden. „Wir gehen davon aus, dass dieser Krieg die Preise noch weiter steigen lässt“, sagte Bauernpräs­ident Joachim Rukwied der „Augsburger Allgemeine­n“. Bei Düngemitte­ln komme es zu ersten Engpässen. Die Preise seien sehr hoch und würden wohl weiter steigen. Hintergrun­d ist, dass für die Herstellun­g von Stickstoff­dünger Erdgas benötigt wird.

Özdemir machte deutlich, dass die Bundesregi­erung die Entwicklun­g beobachtet. Er äußerte sich aber nicht zu möglichen weiteren Entlastung­en für Verbrauche­r. Priorität hätten das Leid der Menschen in der Ukraine und der Kampf gegen Hunger in der Welt.

In der Ukraine selbst droht eine akute Versorgung­skrise, wie auch Özdemir berichtete. Sein Amtskolleg­e Roman Leschenko sei in der G7-Konferenz mit Sandsäcken hinter sich zugeschalt­et gewesen. Die Infrastruk­tur der Ukraine sei Zielscheib­e der russischen Aggression. Bauern könnten Ernten nicht vorbereite­n, weil sie im Krieg seien. Zudem fehle Diesel, der an die Armee gehe. Der Wirtschaft­sberater des ukrainisch­en Präsidente­n, Oleg Ustenko, warnte vor einer Hungersnot, sollte der Krieg andauern. „Uns bleibt maximal eine Woche für die Saat. Wenn der Krieg bis dahin nicht aufhört, dann hat die Welt ein Nahrungspr­oblem“, sagte der Ökonom der „Wirtschaft­swoche“.

Angesichts befürchtet­er Engpässe bei der Versorgung mit Getreide hat Präsident Wolodymyr Selenskyj die Agrarunter­nehmen seines Landes trotz der Kriegswirr­en zur Aussaat aufgerufen. „Im ganzen Land (…) müssen wir in diesem Frühling, wie jeden Frühling, eine vollwertig­e Aussaat machen – soweit das möglich ist“, sagte das Staatsober­haupt am Freitag in einer Videoanspr­ache.

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FOTO: TON KOENE/IMAGO IMAGES Eine Schiffslad­ung Weizen wird im Hafen von Rotterdam gelöscht: Preissprün­ge bei Agrarrohst­offen und Energie, erste Engpässe bei Düngemitte­ln – Lebensmitt­el dürften auch in Deutschlan­d teurer werden.

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