Sorge um globale Agrarmärkte
Krieg in der Ukraine rückt Ernährungssicherheit in den Blick – Deutsche Bauern können mehr Flächen nutzen
- Der Ukraine-Krieg schlägt zusehends auf die globalen Agrarmärkte durch. Preissprünge und drohende Exportausfälle bei Getreide rücken die Ernährungssicherheit in einigen Weltregionen in den Blick. Angesichts ebenfalls steigender Energiepreise könnten Lebensmittel auch in den Supermärkten teurer werden. Um Mehrkosten bei Tierfutter abzumildern, sollen die deutschen Bauern zusätzliche Flächen nutzen können. Bundesagrarminister Cem Özdemir setzt zugleich weiter auf ein Umsteuern unter anderem zu mehr Klimaschutz: „Wir können es uns nicht leisten, dass wir jetzt andere Krisen ausblenden, die schon heute für Hungersnöte auf der Welt sorgen.“
Als erste Unterstützung für deutsche Landwirte sollen in diesem Jahr ausnahmsweise bestimmte „ökologische Vorrangflächen“zur Futtergewinnung freigegeben werden, wie das Ministerium am Freitag mitteilte. Normalerweise müssen Gras und andere Pflanzen dort für die Bodenverbesserung untergepflügt werden und dürfen nicht genutzt werden. Insgesamt handelt es sich um gut eine Million Hektar. Gefördert werden sollen auch Programme für mehr regional erzeugte Futtermittel und für mehr erneuerbare Energien in der Landwirtschaft.
Özdemir sagte, der Krieg führe „die verletzlichen Stellen unseres Agrarsystems vor Augen“. Es gehe nun um schnelle Hilfen und darum, die Landwirtschaft insgesamt weniger krisenanfällig aufzustellen. Die Klimakatastrophe und das Artensterben seien Probleme, die gelöst werden müssten. „Alles, was wir heute aufschieben, rächt sich morgen doppelt und dreifach“, sagte der Grünen-Politiker. Wem Nahrungssicherung ein Anliegen sei, der schütze die Ressourcen, die die Landwirtschaft brauche, um gut und ausreichend zu produzieren.
Die Krise hat auch eine Debatte über den Kurs der Landwirtschaft ausgelöst. FDP-Fraktionsvizechefin Carina Konrad forderte: „Der Aspekt der Ernährungssicherheit muss jetzt wieder ins Zentrum der Agrarpolitik gerückt werden.“Unter anderem müssten geplante Regelungen der neuen EU-Agrarfinanzierung auf den Prüfstand, mit denen Fläche aus der Produktion genommen werde. Die Verbraucherorganisation Foodwatch forderte eine Verkleinerung der Tierbestände. Auf einem Großteil der deutschen Landwirtschaftsfläche würden nicht Nahrungsmittel für Menschen, sondern Futter für die Tiermast produziert.
Özdemir bekräftigte: „Die Versorgung in Deutschland mit Lebensmitteln ist sichergestellt. Wer anderes behauptet, handelt gegen die Fakten – und politisch verantwortungslos.“Das ist eine Breitseite gegen die Unionsfraktion im Bundestag. Deren stellvertretender Vorsitzender Steffen Bilger hatte zuvor gefordert, alle
Instrumente der europäischen und nationalen Agrarpolitik zu überprüfen, insbesondere die geplanten Flächenund Produktionsstilllegungen. „Wer diese Pläne im Windschatten des russischen Angriffskrieges unverändert durchziehen will“, sagt der Unionsfraktionsvize, „nimmt Lebensmittelknappheit, steigende Preise und reißende Lieferketten billigend in Kauf“.
Droht Deutschland wirklich eine Lebensmittelknappheit, wenn es den eingeschlagenen Weg der ökologischen Transformation der Landwirtschaft weiterhin umsetzt? „Nein“, sagt Peter Feindt, Leiter des Fachgebiets Agrar- und Ernährungspolitik an der Humboldt-Universität Berlin, im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. „Das ist ein durchsichtiger Versuch, um bei einer bestimmten Wählerklientel zu punkten.“Deutschland
habe auch gar keine Flächenstilllegungen, sondern Anforderungen für ökologische Vorrangflächen wie Hecken. „Das sind nur vier Prozent und zumeist Flächen, die nicht besonders produktiv sind.“
Mit Blick auf andere Weltregionen wachsen aber Sorgen um die Ernährungssicherung. Falls es zu großen Exporteinschnitten kommt und die Preise steigen, droht Millionen Menschen Unterernährung, wie die Welternährungsorganisation deutlich machte. Besonders betroffen wären der asiatisch-pazifische Raum, Länder südlich der Sahara, der Nahe Osten und Nordafrika. Rund 50 Länder seien auf Weizen aus der Ukraine oder Russland angewiesen.
Die sieben führenden Industrienationen (G7) setzen sich vor diesem Hintergrund für weiter offene Agrarmärkte ein. Es sei wichtig, sie nicht etwa mit Exportbeschränkungen zu behindern, sagte Özdemir nach einer Videokonferenz mit seinen Amtskollegen im Rahmen der deutschen G7Präsidentschaft. Zudem sollten Hilfsorganisationen unterstützt werden, weiter Getreide kaufen und verteilen zu können.
Lebensmittel dürften auch in Deutschland teurer werden. „Wir gehen davon aus, dass dieser Krieg die Preise noch weiter steigen lässt“, sagte Bauernpräsident Joachim Rukwied der „Augsburger Allgemeinen“. Bei Düngemitteln komme es zu ersten Engpässen. Die Preise seien sehr hoch und würden wohl weiter steigen. Hintergrund ist, dass für die Herstellung von Stickstoffdünger Erdgas benötigt wird.
Özdemir machte deutlich, dass die Bundesregierung die Entwicklung beobachtet. Er äußerte sich aber nicht zu möglichen weiteren Entlastungen für Verbraucher. Priorität hätten das Leid der Menschen in der Ukraine und der Kampf gegen Hunger in der Welt.
In der Ukraine selbst droht eine akute Versorgungskrise, wie auch Özdemir berichtete. Sein Amtskollege Roman Leschenko sei in der G7-Konferenz mit Sandsäcken hinter sich zugeschaltet gewesen. Die Infrastruktur der Ukraine sei Zielscheibe der russischen Aggression. Bauern könnten Ernten nicht vorbereiten, weil sie im Krieg seien. Zudem fehle Diesel, der an die Armee gehe. Der Wirtschaftsberater des ukrainischen Präsidenten, Oleg Ustenko, warnte vor einer Hungersnot, sollte der Krieg andauern. „Uns bleibt maximal eine Woche für die Saat. Wenn der Krieg bis dahin nicht aufhört, dann hat die Welt ein Nahrungsproblem“, sagte der Ökonom der „Wirtschaftswoche“.
Angesichts befürchteter Engpässe bei der Versorgung mit Getreide hat Präsident Wolodymyr Selenskyj die Agrarunternehmen seines Landes trotz der Kriegswirren zur Aussaat aufgerufen. „Im ganzen Land (…) müssen wir in diesem Frühling, wie jeden Frühling, eine vollwertige Aussaat machen – soweit das möglich ist“, sagte das Staatsoberhaupt am Freitag in einer Videoansprache.