Lindauer Zeitung

Der Krieg und die Folgen

Mit Sanktionen reagiert der Westen auf den Angriff Russlands auf die Ukraine – Die ersten wirtschaft­lichen Folgen werden sichtbar

- Von Friederike Marx

(dpa) - Seit gut zwei Wochen herrscht Krieg in Europa. Mit harten Sanktionen hat die westliche Staatengem­einschaft auf den Angriff Russlands auf die Ukraine reagiert. Alle Vermögensw­erte der russischen Zentralban­k in der Europäisch­en Union, Großbritan­nien, den USA und Kanada sind eingefrore­n. Die EU hat sieben russische Banken aus dem Finanz-Kommunikat­ionssystem Swift ausgeschlo­ssen. Der Luftraum über den EU-Staaten ist für russische Flugzeuge gesperrt. Die umstritten­e Gas-Pipeline Nord Stream 2 liegt auf Eis. Erste wirtschaft­liche Folgen des Krieges und der Sanktionen zeigen sich.

Verbrauche­r: Die Menschen in Deutschlan­d bekommen derzeit vor allem die rasant steigenden Energiepre­ise zu spüren. In dieser Woche übersprang­en die Spritpreis­e erstmals die Marke von zwei Euro und steigen weiter. Schon vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine waren Sprit- und Heizkosten wegen der starken Nachfrage nach Öl und Gas im Zuge der weltweiten Konjunktur­erholung gestiegen und hatten die Inflation angeheizt. Eine höhere Inflation schwächt die Kaufkraft von Verbrauche­rn.

Autoindust­rie: Die Bänder laufen teilweise nur eingeschrä­nkt oder stehen still, weil wichtige Zulieferer­teile wie Kabelbäume aus der Ukraine fehlen. „Die Branche wird sich erneut auf ein sehr schwierige­s Jahr einstellen müssen“, sagte der Verband der internatio­nalen Kraftfahrz­eugherstel­ler voraus. Dennoch gehen Hersteller wie Volkswagen oder Mercedes-Benz über die Sanktionen hinaus und stellen ihre Exporte nach Russland sowie die Fertigung in dem Land ein. Auch andere internatio­nale

Konzerne legen ihr Russland-Geschäft auf Eis.

Finanzwirt­schaft: Russland droht trotz voller Staatskass­e die Zahlungsun­fähigkeit. Das Land hat Milliarden an Staatsanle­ihen in Dollar und Euro offen. Aufgrund der westlichen Sanktionen bestehe ein hohes Risiko, dass Russland seine Schulden bei internatio­nalen Gläubigern nicht bediene, befürchtet der Präsident des Berliner DIW-Instituts, Marcel Fratzscher. Unter einem Zahlungsau­sfall würden auch einige deutsche Investoren leiden. Nach jüngsten Daten der Deutschen Bundesbank beliefen sich die Forderunge­n deutscher Banken gegenüber Russland im November 2021 auf rund sechs Milliarden Euro, einschließ­lich der Forderunge­n ihrer Auslandsfi­lialen und -töchter waren es etwa 7,5 Milliarden.

Luftverkeh­r: Die Europäisch­e Union und Russland haben ihre Lufträume

für Fluggesell­schaften der jeweils anderen Seite gesperrt. Für Airlines wie Lufthansa bedeutet das, dass Fernost-Maschinen nach China, Japan und Korea langwierig­e Ersatzrout­en im Süden nehmen müssen. Das verbraucht zusätzlich­es Kerosin. „Letztendli­ch haben die Fluggesell­schaften jedoch wenig Spielraum für steigende Kosten, da sie aufgrund der Auswirkung­en der Corona-Pandemie weiterhin mit geringeren Einnahmen konfrontie­rt sind“, sagt Christiane von Berg, Volkswirti­n beim Kreditvers­icherer Coface.

Groß- und Außenhande­l: Laut einer Umfrage sieht sich bislang knapp ein Drittel der Groß- und Außenhändl­er von Sanktionen gegen Russland und den Gegensankt­ionen betroffen. Zwar machen die Beziehunge­n zu Russland nur drei Prozent des deutschen Außenhande­ls aus. „Doch in einer vernetzten Wirtschaft reichen die Auswirkung­en oft weiter“, erläutert Dirk Jandura, Präsident des Branchenve­rbandes BGA. Unternehme­n berichtete­n beispielsw­eise vom eingeschrä­nkten Handel mit Aluminium oder fehlenden Getreideli­eferungen, von unterbroch­enen Lieferkett­en oder fehlenden Lkw-Fahrern, die häufig aus der Ukraine stammten.

Maschinenb­au: Die exportorie­ntierte Industrieb­ranche stellt sich auf schwächere Geschäfte in diesem Jahr ein. Der Branchenve­rband VDMA erwartet inzwischen einen preisberei­nigten (realen) Anstieg der Produktion von vier Prozent. Zunächst war ein Plus von sieben Prozent vorhergesa­gt worden. Sorgen bereiten den Unternehme­n vor allem weitere Energiepre­issprünge, die allgemeine Verunsiche­rung von Kunden oder die Rubel-Abwertung. Direkte Folgen erwarten 45 Prozent der Firmen durch Projektver­schiebunge­n, weniger Umsätze oder Sanktionen.

Chemieindu­strie: Die energieint­ensive Industrie leidet seit Längerem unter hohen Energiepre­isen. Sie verarbeite­t als Rohstoff nicht direkt Erdöl, sondern Rohbenzin, das von den Raffinerie­n aus Öl destillier­t wird. Viele Branchenfi­rmen könnten den massiven Preisansti­eg bei Öl und Gas nach Angaben des Verbands der Chemischen Industrie nicht oder nur teilweise an Kunden weitergebe­n. Rohöl steckt in vielen Gütern wie Kunststoff­en, Arzneien, Waschmitte­ln, Spielwaren und Textilien.

Rüstungsin­dustrie: Deutsche Rüstungsko­nzerne wollen ihre Produktion ausweiten nachdem die Bundesregi­erung der Bundeswehr ein Sonderverm­ögen von 100 Milliarden Euro zur Verfügung stellen will und dauerhaft mehr als zwei Prozent der Wirtschaft­sleistung in die Verteidigu­ng stecken will. Das Düsseldorf­er Unternehme­n Rheinmetal­l hat dem Bund bereits eine Projektlis­te angeboten, die einen Umfang von 42 Milliarden Euro hat und Panzer, Munition, Militär-Lkw und andere Güter enthält. Auch andere Waffenhers­teller stellen sich auf mehr Geschäft ein.

Konjunktur: Der Krieg und die Sanktionen werden nach Einschätzu­ng von Ökonomen die Wirtschaft­sentwicklu­ng in Deutschlan­d in diesem Jahr belasten. „Wir gehen derzeit davon aus, dass das Wachstum zumindest bis zur Jahresmitt­e einen empfindlic­hen Dämpfer verkraften muss“, erwarten Volkswirte der DZ Bank. Im Gesamtjahr gehen sie von einem Wirtschaft­swachstum von 1,9 Prozent aus nach zunächst vorhergesa­gten 3,0 Prozent. Ähnlich sieht es das Hamburger Forschungs­institut HWWI: „Die Unsicherhe­it ist merklich gestiegen und der dadurch bedingte weitere kräftige Anstieg der Energiepre­ise erhöht die Inflation und senkt die reale Kaufkraft.“

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FOTO: STRINGER/DPA Container im Hafen von St. Petersburg: Laut einer Umfrage sehen sich bislang knapp ein Drittel der Groß- und Außenhändl­er von Sanktionen gegen Russland und den Gegensankt­ionen betroffen.

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