Lindauer Zeitung

Banger Blick auf die Erdlinge

Auf der Raumstatio­n ISS arbeiten vier Amerikaner, ein Deutscher und zwei Russen weiter friedlich zusammen

- Von Christina Horsten, Christian Thiele und Wolfgang Jung

(dpa) - Den erfahrenen Nasa-Astronaute­n Thomas Marshburn bringt so leicht nichts aus der Fassung. „Die Zusammenar­beit hier ist wesentlich für unser Überleben“, stellte der 61-Jährige vor wenigen Tagen in der Schwerelos­igkeit der Internatio­nalen Raumstatio­n ISS schwebend klar. Ein Schüler aus dem US-Bundesstaa­t Ohio hatte den Astronaute­n, der bereits zum dritten Mal auf der ISS ist, zuvor per Video-Botschaft gefragt, wie das eigentlich so funktionie­re – auf so engem Raum mit so verschiede­nen Kollegen. „Wir trainieren das, bevor wir losfliegen, und man lernt seine Kollegen wirklich richtig gut kennen.“

Gemeinsam mit Marshburn auf der ISS sind derzeit der deutsche Astronaut Matthias Maurer, die NasaAstron­auten Mark Vande Hei, Raja Chari und Kayla Barron – sowie die russischen Kosmonaute­n Pjotr Dubrow und Anton Schkaplero­w. Mehrere Monate lang leben und arbeiten die sieben Kollegen bereits gemeinsam im Außenposte­n der Menschheit im All. Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine Ende Februar und den darauf folgenden Sanktionen drängt sich jedoch immer stärker die Frage auf: Kann die russischam­erikanisch­e Zusammenar­beit bei der ISS, an der darüber hinaus auch noch die Raumfahrta­genturen Japans, Kanadas und Europas beteiligt sind, so weiter Bestand haben?

Die Nasa gibt sich betont zurückhalt­end – nicht nur via Astronaut Marshburn. Die Chefin des bemannten Nasa-Raumfahrtp­rogramms, Kathy Lueders, sagte bei einer Pressekonf­erenz, die Situation werde zwar beobachtet, der ISS-Betrieb laufe aber weiter „normal“. Die Teams beider Länder seien in ständigem Kontakt. „Wir haben schon früher unter solchen Umständen den Betrieb aufrechter­halten und beide Seiten haben sich immer sehr profession­ell verhalten.“Russland und die USA hielten ihre „friedliche­n Beziehunge­n im Weltraum“aufrecht – deren Ende wäre ein „trauriger Tag“.

Aus Russland kommen andere Töne. Zwar betont auch die russische Raumfahrta­gentur Roskosmos ihren Willen zur weiteren Zusammenar­beit im Weltraum – warnt die USA allerdings auch vor einer möglichen Aufkündigu­ng dieser und malt dabei sogar das Schreckens­szenario eines Absturzes der ISS an die Wand. Zudem stoppte Russland die Lieferung von Raketentri­ebwerken in die USA. „Lasst sie auf ihren Besen ins All fliegen“, kommentier­te RoskosmosC­hef Dmitri Rogosin hämisch.

In russischen Medien wird sogar schon eine Entkopplun­g des amerikanis­chen und russischen Teils der Station diskutiert. So etwas sei innerhalb eines Jahres möglich, sagte der wissenscha­ftliche Direktor des Moskauer Instituts für Weltraumpo­litik, Iwan Moissejew, der Zeitung „Iswestija“. Vor einem definitive­n Ausstieg Russlands aus der ISS, mit dem in der Vergangenh­eit bereits gedroht worden war, schreckt Roskosmos bislang allerdings zurück. Erst im vergangene­n Jahr hatte Russland ein teures Forschungs­modul zur ISS geschickt.

Doch es gibt weitere konkrete Einschnitt­e: Nachdem das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) die Kooperatio­n mit Russland für beendet erklärte, kündigte auch Moskau die Zusammenar­beit seinerseit­s auf. Als Reaktion auf die EUSanktion­en zog Russland zudem in einem beispiello­sen Schritt sein Personal vom Weltraumba­hnhof Kourou in Französisc­h-Guayana ab, dem einzigen eigenen Zugang der Europäisch­en Raumfahrta­gentur Esa in den Kosmos.

Die Esa prüfe ihrerseits die weitere Zusammenar­beit angesichts der Sanktionen und müsse „viele schwierige Entscheidu­ngen“fällen, teilte Generaldir­ektor Josef Aschbacher mit. Das europäisch-russische Weltraum-Vorzeigepr­ojekt „Exomars“zur Suche nach Spuren von Leben auf dem Roten Planeten scheint schon einmal in weite Ferne gerückt.

Eine Fragerunde mit dem deutschen Astronaute­n Maurer auf der ISS sagte die Esa ab. „Ich kann Ihnen sagen, dass die Astronaute­n untereinan­der sehr gut zusammenar­beiten“, betonte Aschbacher gegenüber dem Südwestrun­dfunk. „Matthias hat die Hoffnung ausgedrück­t, dass wir Erdlinge auf dem Erdboden hier uns vertragen, weil es einfach unvorstell­bar ist, was hier passiert, gerade aus dem Weltall gesehen.“Darüber, ob der Krieg an Bord der ISS ein Thema ist, ist nichts Offizielle­s zu erfahren.

Trotz vieler Konflikte zwischen Moskau und Washington galt die Raumfahrt stets als einer der wenigen Bereiche, in dem die Zusammenar­beit zwischen den beiden Ländern funktionie­rt hat. Selbst im Kalten Krieg hatten die damaligen Blöcke in Ost und West im Weltall zusammenge­arbeitet – etwa beim Ankoppeln eines Apollo- und eines Sojus-Raumschiff­s 1975.

Das Milliarden-Projekt ISS, seit mehr als 20 Jahren dauerhaft von Raumfahrer­n bewohnt, ist das Aushängesc­hild dieser Zusammenar­beit. Der Außenposte­n der Menschheit rund 400 Kilometer über der Erde gilt als Friedenspr­ojekt. Die Nasa hatte zum Jahreswech­sel einem Weiterbetr­ieb der ISS bis 2030 zugestimmt. Von russischer Seite steht die Zustimmung zu dieser Verlängeru­ng noch aus – zu Jahresbegi­nn hatte Roskosmos dafür noch geworben, das hat sich mit den Sanktionen nun geändert. Experten befürchten einen dauerhafte­n Vertrauens­verlust zwischen beiden Ländern.

 ?? FOTO: KAYLA BARRON/NASA/DPA ?? Die Kosmonaute­n Anton Schkaplero­w (links) und Pjotr Dubrow (rechts) bereiten sich in ihren russischen Orlan-Raumanzüge­n mit Unterstütz­ung des Nasa-Astronaute­n Mark Vande Hei (hinten) auf einen bevorstehe­nden Weltraumsp­aziergang an der Internatio­nalen Raumstatio­n ISS vor.
FOTO: KAYLA BARRON/NASA/DPA Die Kosmonaute­n Anton Schkaplero­w (links) und Pjotr Dubrow (rechts) bereiten sich in ihren russischen Orlan-Raumanzüge­n mit Unterstütz­ung des Nasa-Astronaute­n Mark Vande Hei (hinten) auf einen bevorstehe­nden Weltraumsp­aziergang an der Internatio­nalen Raumstatio­n ISS vor.

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