„Das Publikum ist hungrig nach Musik“
Thomas Gropper spricht über seine Verantwortung als Chorleiter der Birnauer Kantorei
- Die Chorszene wurde durch die Pandemie schwer getroffen. Singen galt wegen des Ausstoßes von möglicherweise virusbelasteten Aerosolen als gefährlich, Proben wurden entweder eingestellt oder durften nur in kleinen Gruppen und mit großen Abständen zwischen den Sängerinnen und Sängern stattfinden. Das Jonglieren mit wechselnden Vorschriften ließen so manche Dirigentin und manchen Chorleiter verzweifeln. Wie viele Ensembles nach diesen zwei Jahren vielleicht verstummen, wird sich noch weisen. Einer, der dies alles unter verschiedensten Aspekten beobachtet hat, ist Thomas Gropper: Er ist ein erfahrener Stimmbildner und Sprecherzieher, unterrichtet als Professor an der Musikhochschule München, singt als Bass- und Baritonsolist selbst in Oratorien und leitet zudem drei Chöre in München, Chur und am Bodensee. Die Leitung der Birnauer Kantorei hat er im September 2014 übernommen.
Wie haben Sie die Chorarbeit in den vergangenen zwei Jahren Pandemie erlebt?
Wie für alle Menschen war es zunächst natürlich eine Zeit großer Unsicherheit und zahlreicher Verwerfungen. Es gab einen starken Einschnitt, man musste verschiedenste Statements, Regelungen und Untersuchungen sensibel beobachten und abwägen. Für die Sängerinnen und Sänger war und ist das Gefühl der Sicherheit sehr wichtig. Als Chorleiter sorgen wir aber dafür, dass die Kerze nicht erlischt und alle über die Durststrecke kommen.
Ist das Ihrer Kantorei gelungen? Die Birnauer Kantorei hatte auch schon in der Zeit von Klaus Reiners einen starken Zusammenhalt, ein Wir-Gefühl in der Gruppe, das auch über Krisenzeiten trägt. Wir hatten über die Monate regelmäßigen Kontakt. Sobald es die Regelungen irgendwie zuließen, haben wir angefangen, in kleinen Gruppen zu proben. Unser Probenraum im Augustinum in Meersburg erlaubt es zum Glück, dass wir mit großen Abständen zwischen den Sängerinnen und Sängern und mit Frischluftzufuhr singen können. Im vergangenen Herbst konnten wir sogar kleinere Konzerte vor ebenfalls reduziertem Publikum in der Basilika Birnau machen, für alle ein besonderes Erlebnis.
Sie planen nun die Aufführung von Bachs Johannes-Passion auf der Insel Reichenau. Was verbindet Sie mit diesem Werk?
Wir hätten eigentlich gerne die Matthäus-Passion aufgeführt, aber das schien uns aufgrund der größeren Besetzung und der immer noch schwierigen Übergangszeit doch zu gewagt. Nach zwei Jahren ohne Passions-Konzerte sind Ausführende wie Publikum hungrig nach dieser Musik. Die Passionen von Bach und alle anderen großen geistlichen Werke gehören zu unserer Kultur. „Jesu Passion lerne singen“hat Luther sinngemäß gesagt, und wir können das mit unseren eigenen Stimmen in diesem großartigen Werk unterstreichen.