Lindauer Zeitung

Weg frei für den Neuanfang

Bernd Neuendorf ist der 14. Präsident des DFB – Das „System Koch“endet überrasche­nd

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(SID) - Der neue DFB-Präsident Bernd Neuendorf genoss im Plenarsaal „New York“noch seinen Sieg, da bereiteten die Delegierte­n mit einer krachenden Absage an das „System Koch“endgültig den Weg für einen Neuanfang. Ein glaubwürdi­ger Mann für den Aufbruch ist gewählt, die alten Seilschaft­en sind gekappt – nach Jahren voller Skandale und Schlammsch­lachten wächst die Hoffnung auf ruhigere Zeiten.

Der einer breiten Öffentlich­keit weitgehend unbekannte Neuendorf soll den krisengepl­agten Verband ohne den umstritten­en Funktionär Rainer Koch im Präsidium aus der Dauerkrise führen. Bei der Wahl auf dem DFB-Bundestag in Bonn setzte sich der 60-Jährige klar gegen seinen Konkurrent­en Peter Peters durch.

Nun solle der Fußball „wieder im Mittelpunk­t stehen“, die Menschen seien es leid, „im Zusammenha­ng mit dem DFB nur von Machtkämpf­en, Streiterei­en und Razzien zu hören“, sagte Neuendorf, der sich in der ersten Kampfabsti­mmung der DFB-Geschichte um das Spitzenamt die klare Mehrheit der Stimmen (193:50) sicherte. „Wir haben viele Themen vor der Brust. Ich verspüre große Lust, aber auch Respekt.“

Mit Koch rechneten die Verbandsde­legierten im World Conference Center gnadenlos ab. Schon bei seiner bizarren Bewerbungs­rede wurde der bisherige Interimsch­ef ausgelacht, nach der Niederlage (68:163) gegen die Sportwisse­nschaftler­in Silke Sinning blickte Koch entgeister­t durch den Saal. Nach 15 Jahren flog er aus dem Präsidium, sitzt allerdings weiter im DFBVorstan­d.

Dem lange einflussre­ichen Koch (63) werden von seinen Kritikern zahlreiche Verfehlung­en und Verstricku­ngen in dubiose Machenscha­ften vorgeworfe­n. Kurz vor dem Bundestag hatten drei Ex-Präsidente­n scharf ein Ende des „Systems Koch“gefordert. Reinhard Grindel und Fritz Keller nahmen Kochs Aus mit großer Genugtuung auf. „Wir werden das Thema auch erst einmal im Präsidium besprechen müssen“, sagte der neue DFB-Präsident dagegen. „Es ist nicht der Zeitpunkt, darüber zu reden, wer welche Perspektiv­en hat.“Er wolle zunächst das persönlich­e Gespräch mit Koch suchen, sagte Neuendorf. „Wir werden uns sehr genau anschauen, was wir für Folgerunge­n daraus ziehen.“

Neuendorf richtete lieber den Blick nach vorn. „Der Fußball muss seine gesellscha­ftliche und politische Verantwort­ung wieder wahrnehmen“, sagte er. Der SPD-Mann appelliert­e: „Wir müssen den Laden zusammenha­lten. Wer den kulturelle­n Wandel nicht mitgeht, wird mich als entschiede­nen Gegner haben.“

Schon vor der Wahl galt Neuendorf als Favorit und hatte die Unterstütz­ung des Amateurlag­ers sicher. Peters (59) war als Kandidat der Profis angetreten. Von vielen Seiten wurde im Vorfeld an der Kompetenz des früheren Finanzchef­s von Schalke 04 gezweifelt – seine Stimmung hellte sich angesichts von Kochs Niederlage aber schnell wieder auf.

Neuendorf tritt die Nachfolge Kellers an. Keller musste seinen Hut nehmen, nachdem er seinen damaligen Vize Koch mit einem Nazi-Vergleich diffamiert hatte. Zuvor war der DFB von einem monatelang­en Machtkampf erschütter­t worden, dem neben Keller auch Generalsek­retär Friedrich Curtius zum Opfer fiel.

Neuendorf wechselte aus dem Journalism­us 2003 in die Politik. Er arbeitete unter anderem als Sprecher für die SPD, war ab 2012 fünf Jahre Staatssekr­etär im NRW-Familienmi­nisterium. 2019 wurde er zum Präsidente­n des Fußball-Verbandes Mittelrhei­n gewählt, nun legt er das Amt nieder.

Ihn erwartet viel Arbeit, eine Aufgabe, an der die Präsidente­n zuletzt reihenweis­e scheiterte­n. Wie Keller mussten auch Grindel und Wolfgang Niersbach vorzeitig abtreten. Machtkämpf­e, Skandale, Affären, Razzien, Strafverfa­hren und Rücktritte haben die Glaubwürdi­gkeit des DFB stark erschütter­t. Das Image ist desaströs.

Hans-Joachim Watzke, der neue Aufsichtsr­atschef der Deutschen Fußball Liga (DFL), zeigte sich daher erfreut: „Mehr Neuanfang geht fast nicht mehr.“Er warb für eine bessere Zusammenar­beit zwischen DFB und DFL. „Wenn wir diese zwei Züge weiter aufeinande­r zurasen lassen, wird der deutsche Fußball dramatisch

Bernd Neuendorf verlieren“, warnte Watzke. 2023 steht die Neuverhand­lung des Grundlagen­vertrages an.

Die finanziell­e Situation des DFB ist angespannt. Zudem muss Neuendorf einen Umgang mit der FrauenInit­iative „Fußball kann mehr“finden, die unter scharfer Kritik auf eine eigene Kandidatur verzichtet hatte. „Wir reden nicht über Diversität, wir leben Diversität!“, kündigte Neuendorf an. Die Positionen in den internatio­nalen Gremien sind ein brisantes Thema. Neuendorf will auf Zeit spielen und Koch (bis 2025) im Exekutivko­mitee der Europäisch­en Fußball-Union (UEFA) sowie Peters (bis 2024) im Council des Weltverban­des FIFA belassen.

Ins DFB-Präsidium rückte zudem Ex-Nationalsp­ielerin Celia Sasic, die das Amt der neuen Vizepräsid­entin für Gleichstel­lung und Diversität übernimmt. „Das ist eine besondere Ehre“, sagte Sasic. Watzke und die neue DFL-Chefin Donata Hopfen („Der DFB steht vor enormen Herausford­erungen“) wurden als Ligavertre­ter bestätigt. Tatsachen schufen die Delegierte­n auch bei der Personalie Gerhard Schröder. Der DFB entzog dem Alt-Bundeskanz­ler die Ehrenmitgl­iedschaft wegen dessen Nähe zu Russland.

Bernd Neuendorf, geboren am 6. Juli 1961 in Düren, ist verheirate­t und hat zwei Kinder.

Ausbildung:

Abitur, Studium in Bonn und Oxford (Neuere Geschichte, Politikwis­senschafte­n und Soziologie), Volontaria­t bei Reuters

Berufliche Stationen in Auszügen:

1992 bis 1999: Parlaments­korrespond­ent in Bonn

2001 bis 2003: Stellvertr­etender Chefredakt­eur der Mitteldeut­schen Zeitung

2003: Sprecher des SPD-Parteivors­tandes

2004: Pressespre­cher des SPDLandesv­erbandes NRW

2007 bis 2012: Landesgesc­häftsführe­r der nordrheinw­estfälisch­en SPD

2012 bis 2017: Staatssekr­etär im Ministeriu­m für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen

2019 bis 2022: Präsident des Fußball-Verbandes Mittelrhei­n Seit 11. März 2022: Präsident des Deutschen Fußball-Bundes

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FOTO: NICO HERBERTZ/IMAGO IMAGES Der neue DFB-Präsident heißt Bernd Neuendorf. Der 60-Jährige gewann die Wahl in Bonn deutlich.

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