Lindauer Zeitung

Kahlschläg­e vermeiden

Dürre und Borkenkäfe­r setzen Fichtenwäl­dern stark zu – Einige Experten sind dennoch gegen das schnelle Fällen von Bäumen und setzten auf das Lübecker Modell

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der befallenen Bäume, um die Vermehrung aufzuhalte­n und den übrigen Wald vor Kahlfraß und Zerstörung zu schützen“, sagt die Sprecherin des Dachverban­des Die Waldeigent­ümer, Larissa Schulz-Trieglaff. Bei der Wiederauff­orstung solle auf die Arten geachtet werden: „Die freien Flächen müssen durch klimaresil­iente Mischbauma­rten wiederbewa­ldet werden, um die Wälder möglichst schnell zu stabilisie­ren.“

Bei der Waldbegehu­ng im Westerwald kommen die Naturschüt­zer wiederholt auf das „Lübecker Modell“zu sprechen. Dieses zeige, wie mit einer kleineren Zahl von Eingriffen eine naturnahe Waldbewirt­schaftung möglich sei und der Wald gleichzeit­ig widerstand­sfähiger gegen Dürre oder Borkenkäfe­r werde.

Das Forstrevie­r Lauerholz im Lübecker Stadtwald ist auf den ersten Blick ein ganz normaler Wald. Auf mehr als 900 Hektar stehen hauptsächl­ich Laubbaumar­ten wie Buchen, Eichen, Eschen und Ahorn.

Doch bei genauerem Hinsehen fällt auf: Dieser Wald ist anders. Zwischen dicken alten Exemplaren liegen umgestürzt­e Bäume, kleine Wasserläuf­e durchziehe­n den Wald. „Seit rund 30 Jahren arbeiten wir im gesamten Lübecker Stadtwald nach dem Prinzip des integrativ­en Prozesssch­utzes“, sagt Knut Sturm, der Leiter des Bereiches Stadtwald der Hansestadt Lübeck. „Das bedeutet, dass wir die natürliche­n Prozesse im Ökosystem Wald so selten wie möglich stören.“

„Wir verzichten auf die sogenannte Durchforst­ung der Wälder, auf Kahlschlag und Wiederauff­orstung. Stattdesse­n setzen wir auf Naturverjü­ngung, das heißt, wir warten ab, welche Baumarten von allein nachwachse­n, wenn alte Bäume absterben oder umstürzen“, sagt er. Wenn alte Bäume gefällt werden, werde ebenfalls nichts nachgepfla­nzt. Durch die Baumsamen gebe es Millionen neuer Optionen von Keimlingen, die heranwachs­en und sich durchsetze­n müssten, beim gezielten Anpflanzen immer nur einige Tausend. Umgestürzt­e Bäume bleiben liegen und werden langsam von Insekten und Pilzen zersetzt.

Auch vom Borkenkäfe­r befallene Bäume bleiben stehen. Befallene Fichten sondern Sturm zufolge sehr wahrschein­lich wie viele andere Pflanzenar­ten auch Signalstof­fe ab, die Fressfeind­e und andere Antagonist­en der Borkenkäfe­r anlocken. „Zwei bis drei Wochen später, wenn diese eingetroff­en sind, holt ein Förster gewöhnlich den Baum raus und bekämpft damit genau die Antagonist­en der Borkenkäfe­r“, sagt Sturm. Im Vergleich zu Referenzfl­ächen habe sich der Borkenkäfe­r weniger ausgebreit­et, wenn die befallenen Bäume stehengebl­ieben seien, sagt er mit Verweis auf Untersuchu­ngen im Lübecker Wald und angrenzend­er Waldgebiet­e. „Allerdings lässt sich das nicht auf alle Wälder übertragen“, betont Sturm. Es komme auch auf die vorherrsch­enden Baumarten und Regionen mit ihren spezifisch­en

Klimabedin­gungen an, zudem habe jeder Wald andere Abwehrstra­tegien. Das müsse jeweils erprobt werden. Auf Laien wirke der naturnah bewirtscha­ftete Wald mit dem herumliege­nden Totholz und den unbegradig­ten Bächen oft unordentli­ch, sagt der frühere Leiter des Lübecker Forstamtes, Lutz Fähser, der das Waldkonzep­t in der Hansestadt etabliert hatte. „Doch das ist Natur.“

„Die naturnahe Bewirtscha­ftung unserer Wälder bedeutet nicht, dass wir keine Bäume fällen“, stellt Sturm klar. Es sei jedoch nur rund ein Drittel eines gewöhnlich­en Forsts, „und wir entnehmen nur einzelne starke Bäume, die zu langlebige­n Produkten verarbeite­t werden. Als Brennholz ist unser Holz viel zu schade.“Seine Lösung für den Holzbedarf: weniger verbrennen und für Möbel und Häuser Eichenholz verwenden, das sehr lange halte, wie etwa die alten Bauten von Lübeck zeigten. „Zwei Drittel des Holzes gehen in Deutschlan­d in kurzlebige Produkte wie Brennholz, Papier und Pressspan, bei uns sind es 18 Prozent“, sagt Sturm.

Waldexpert­in Sandra Hieke von Greenpeace hält das Lübecker Konzept angesichts der Klimaverän­derungen für das einzig richtige. „Die Erfahrung und wissenscha­ftliche Auswertung­en zeigen, dass intensiv bewirtscha­ftete Forste in der Regel stärker unter den Auswirkung­en der Klimakrise leiden als stabile naturnahe Wälder“, sagt sie. Inzwischen haben einige große Städte in Deutschlan­d das Konzept übernommen, darunter Berlin, München, Hannover und Göttingen. Auch internatio­nal sei das Interesse sehr groß, sagt Sturm.

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Montabaure­r Höhe im Westerwald. Das sogenannte Lübecker Modell setzt dagegen auf natürliche Prozesse.
Der Schrecken der Förster: ein Borkenkäfe­r.
FOTO: PETER ZSCHUNKE/DPA FOTO: MATTHIAS HIEKEL/DPA Wenn der Borkenkäfe­r zugeschlag­en hat, dann werden oft Tausende Bäume gefällt – wie hier auf der Montabaure­r Höhe im Westerwald. Das sogenannte Lübecker Modell setzt dagegen auf natürliche Prozesse. Der Schrecken der Förster: ein Borkenkäfe­r.

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