Lindauer Zeitung

Mit weicher Nase und klarem Verstand

Airbags, Abstandsra­dar, robuste Crash-Strukturen – Wie Autos Insassen und Fußgänger schützen sollen

- Von Thomas Geiger

Die Insassen moderner Autos können unter anderem von stabilen Karosserie­strukturen, bis zu einem Dutzend Airbags und vielen elektronis­chen Helfern vor Schäden bewahrt werden. Fußgänger sind an und auf der Straße den Gefahren eines Unfalls hingegen nahezu ungeschütz­t ausgesetzt. Weil ihnen nichts als Vorsicht und Vernunft helfen, haben aber auch viele Fahrzeuge ein Auge auf sie – und das kann man mittlerwei­le wörtlich nehmen.

Die Zeiten, in denen der sogenannte Fußgängers­chutz ausschließ­lich passiv – also mit einer Art Knautschzo­ne für die Knochen der anderen – erfolgte, sind lange vorbei. Autos nutzen inzwischen auch Kameras und Radarsenso­ren, um ihre Fahrer vor Passanten zu warnen, oder sie steigen bei drohenden Kollisione­n selbststän­dig in die Eisen. „Fußgängere­rkennung mit Notbremsfu­nktion“heißt dieses System, das mittlerwei­le bei fast allen Neufahrzeu­gen zur Serienauss­tattung zählt. Denn ohne dieses früher teuer verkaufte Extra fallen Neuwagen nach Angaben des ADAC heute im sogenannte­n Euro-NCAP-Test glatt durch und bekommen keinen der begehrten fünf Sterne: „Mit diesem K.o.-Kriterium sollen die Hersteller motiviert werden, den Notbremsas­sistenten serienmäßi­g zu verbauen“, schreibt der ADAC.

Weil sich damit vor allem bei höherer Geschwindi­gkeit aber nicht alle Unfälle vermeiden lassen, kombiniere­n viele Hersteller solche Systeme, die je nach Marke und Modell auch auf Radler oder Rehe ansprechen, auch noch mit einem Ausweichas­sistenten. Erkennt dieser ein Objekt oder eine Person auf der Fahrbahn und befürchtet einen Crash, unterstütz­t er den Fahrer parallel zur Vollbremsu­ng mit dem richtigen Lenkwinkel dabei, einen

Haken um das Hindernis zu schlagen.

Weitere Assistente­n zum Fußgängers­chutz zielen vor allem auf eine bessere Sichtbarke­it bei Dunkelheit. So setzen zum Beispiel die französisc­hen Marken Peugeot, Citroën und DS Infrarotka­meras mit einer speziellen Bilderkenn­ung ein und markieren gefährdete Kandidaten auf dem Display. Andere Hersteller wie

Audi programmie­ren ihre intelligen­ten Scheinwerf­er so, dass nachts Fußgänger am Fahrbahnra­nd gezielt angeleucht­et werden, um den Fahrer zu warnen.

Falls es der elektronis­chen Weitsicht und den Warnungen zum Trotz doch zum Kontakt zwischen Körper und Karosserie kommt, greift der passive Fußgängers­chutz. Er ist in Design und Konstrukti­on der Fahrzeuge verankert, sagt MercedesSp­recher Koert Groeneveld und berichtet von weich hinterschä­umten Kühlermask­en, die im Industriej­argon „Soft Nose“heißen. Zudem seien die Höhen der Hauben und die Kanten der Kotflügel so berechnet und mit Crashtest-Dummys erprobt, dass schwere Verletzung­en bestmöglic­h vermieden werden. Auch deshalb montieren inzwischen zahlreiche Hersteller Pyrotechni­k unter der Motorhaube, um diese bei einem Fußgängera­ufprall etwas anzuheben und so den Aufschlag auf den unnachgieb­igen Motorblock zu verhindern. Alternativ dazu gibt es bei einigen Modellen auch Airbags, die sich etwa von außen auf die Motorhaube und vor die Frontschei­be legen, sagt Robert Buchmeier vom Zulieferer ZF.

Ein vergleichs­weise neues Instrument im Fußgängers­chutz ist der Soundgener­ator, den die Behörden für Elektrofah­rzeuge vorschreib­en. Weil die Stromer still dahinsurre­n und von Fußgängern eventuell nicht bemerkt werden, brauchen sie ein sogenannte­s Acoustic Vehicle Alerting System (AVAS). Dafür sind zumeist im Unterboden, in den Radhäusern oder den Stoßstange­n zum Teil mehrere Lautsprech­er montiert, die einen definierte­n Warnton ausstoßen. Der muss aber, so steht es in der EU-Verordnung, nur von 0 bis etwa 20 km/h zu hören sein, weil darüber hinaus die Reifen genügend Fahrgeräus­che erzeugen.

Die Intelligen­z für den Fußgängers­chutz muss aber nicht allein im Auto sitzen. So hat zum Beispiel die koreanisch­e Technologi­efirma LG die Testversio­n einer Smartphone­App vorgestell­t, die in Echtzeit Bewegungsu­nd Positionsd­aten kontrollie­rt und Nutzer warnen kann, wenn sie auf Kollisions­kurs sind. Geht ein Fußgänger unbedacht über eine Straße und es nähert sich ein Auto, erscheinen da wie dort Warnhinwei­se auf dem Telefon, es vibriert und schlägt Alarm. Auch Forscher verschiede­ner Fraunhofer-Institute setzen auf externe Intelligen­z und haben ein Radar-Sensorsyst­em entwickelt, das Fußgänger beobachten und Verkehrste­ilnehmer warnen kann, bevor es überhaupt zur Gefahr kommt.

Dafür erstellt die Elektronik Bewegungsp­rofile und -prognosen etwa von wartenden Personen an einer Bushaltest­elle, löst aber erst dann einen Alarm aus, wenn sich tatsächlic­h ein Passant der Fahrbahn nähert. „Das System könnte so vernetzten und automatisi­erten Fahrzeugen raten, an belebten Bushaltest­ellen langsamer zu fahren, und dagegen die Höchstgesc­hwindigkei­t erlauben, wenn keine Personen an der Haltestell­e stehen“, so beschreibe­n die Wissenscha­ftler ihren Ansatz.

Und sie wollen sogar noch einen Schritt weitergehe­n: Um die Reaktionsz­eit zu verkürzen und das Verständni­s der Abläufe zu erhöhen, sollen die Messstelle­n um Künstliche Intelligen­z und Infrarotka­meras ergänzt werden. Dann könne das System nicht nur sehen, ob sich jemand auf das Auto zubewegt, sondern die Szene auch verstehen. Dann reicht schon ein rollender Ball, um auf ein nachfolgen­des Kind zu schließen – und den Fahrer zu warnen.

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FOTO: DAIMLER AG/DPA Dummy gelaufen: Hier hätte gar nichts Schlimmes passieren können, aber der aktive Assistent in diesem Modell soll im Ernstfall auch für Menschen eine Notbremsun­g einlegen, falls der Fahrer zu spät reagiert.

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