Lindauer Zeitung

Lieber Krapfen als Donut

Wie Bayerns Kommunen Baulücken schließen und die Ortskerne lebendig halten wollen

- Von Kathrin Zeilmann

(dpa) - Draußen auf der einst grünen Wiese reiht sich Einfamilie­nhaus an Einfamilie­nhaus. Im Ortskern dagegen stehen etliche Gebäude leer und bieten ein tristes Bild. Deshalb werben viele Kommunen für Sanierung statt Neubau.

Die beiden Zahlen, die Bürgermeis­ter Daniel Schreiner nennt, sind beeindruck­end. 54 leer stehende Immobilien gab es im 1600-EinwohnerO­rt Sparneck im Landkreis Hof vor ein paar Jahren. Inzwischen sind es nur noch 19. „Wir konnten massiv Leerstände beseitigen“, sagt er. Entweder sind Gebäude saniert worden – oder wurden, falls eine Renovierun­g nicht mehr möglich war, abgerissen, um Platz für neue Bauprojekt­e zu schaffen. „Wir wollten den Kernort am Leben erhalten.“

Das bedeutet: Baulücken schließen, leer stehende Immobilien sanieren – und eben nicht Wiese um Wiese zum Bau- oder Gewerbegeb­iet am Ortsrand umfunktion­ieren. Ein Spaziergan­g durch Sparneck zeigt, dass die Kommune erfolgreic­h ist. Es gibt einen Bäcker, einen Metzger, eine Apotheke. Alles andere als selbstvers­tändlich in Orten dieser Größe.

Das lange leer stehende Industrieg­ebäude in der Ortsmitte hat einen neuen Anstrich, neue Fenster, eine Photovolta­ikanlage auf dem Dach, drinnen arbeiten die Mitarbeite­r einer Firma, die gebrauchte Konsolen und Videospiel­e vertreibt. Gleich gegenüber saniert die Gemeinde ein Gebäude, in dem Büros vermietet werden sollen.

Sparneck profitiert von einer Initiative von Stadt und Landkreis Hof, Stadt und Landkreis Bayreuth sowie dem Landkreis Wunsiedel. Die oberfränki­schen Kommunen wollen verhindern, dass ihre Orte zu Donuts werden. Sie sollen Krapfen bleiben.

Wie bitte? Tatsächlic­h veranschau­licht der Vergleich mit süßem Gebäck ganz gut, was vielen Dörfern und kleinen bis mittelgroß­en Städten in Bayern droht: Bei einem Donut-Ort wachsen die Ränder, aber die Mitte wird leer. Beim Krapfen ist das Beste in der Mitte. „Wir wollen Leerstände wieder zum Leben erwecken“, sagt der Hofer Landrat Oliver Bär (CSU).

Schon seit Längerem kritisiert etwa der Bund Naturschut­z (BN) den Flächenfra­ß in Bayern – speziell aber in Oberfranke­n, wo die Bevölkerun­g Prognosen zufolge zurückgeht. Der Flächenver­brauch sei trotzdem enorm, sagt Tom Konopka vom BN. „Da werden an den schönsten Sonnenhäng­en neue Wohngebiet­e ausgewiese­n.“Und da dies nahezu jede Gemeinde mache, „kann keine Kommune wirklich gewinnen“. Bayernweit wurden nach Zahlen des Landesamts für Statistik 2020 im täglichen Schnitt 11,6 Hektar bebaut, 2019 waren es 10,8 Hektar gewesen.

Auch andernorts in Bayern gibt es gemeinde- und städteüber­greifende Initiative­n, um die Ortskerne zu stärken und weniger Flächen außerhalb zu verbrauche­n. „Das ist seit etwa fünf Jahren ein Megathema“, sagt Matthias Simon, Referent für Baurecht und Landesplan­ung des bayerische­n Gemeindeta­gs. Freilich – manche Regionen hätten überhaupt keine Probleme, Immobilien innerorts mit Leben zu füllen. Andernorts sei die Sorge vor verödeten Ortskernen jedoch groß.

Ganz einfach ist es nicht, Menschen mit dem Wunsch nach einem Eigenheim zum Beispiel die Sanierung eines altes Anwesens im Ort schmackhaf­t zu machen – wenn draußen das moderne Haus gebaut werden könnte, das in der Baumarktun­d Möbelhausw­erbung als Ideal gezeigt wird. Wer weiß schon, was die Sanierung tatsächlic­h kostet, welche bösen Überraschu­ngen sie mit sich bringt? Sind die Balken doch morscher als gedacht? Und: Welche Vorschrift­en gibt es überhaupt?

Man wolle den Menschen Ängste nehmen, sagt die Oberbürger­meisterin von Hof, Eva Döhla (SPD). Die an der oberfränki­schen Initiative beteiligte­n Kommunen bieten deshalb Gutscheine für eine Erstberatu­ng etwa mit einem Architekte­n an – und haben in einem Kompass Informatio­nen und Ansprechpa­rtner gebündelt. „Wir kümmern uns um die

Menschen, die so etwas vorhaben“, sagt der Wunsiedler Landrat Peter Berek (CSU).

Ein landesweit beachtetes Erfolgspro­jekt ist die Allianz Hofheimer Land, wie Simon erläutert. Sieben Kommunen im unterfränk­ischen Landkreis Haßberge haben sich zusammenge­schlossen – eines ihrer wichtigste­n Ziele: „aktuelle Leerstände zu beseitigen und zukünftige Leerstände zu verhindern und so die Ortskerne als Zentren des sozialen und kulturelle­n Lebens zu stärken“, wie es auf der Homepage heißt. Dazu haben die Kommunen unter anderem ein eigenes Förderprog­ramm aufgelegt. Damit wurden den Angaben zufolge schon mehr als 350 Leerstände wieder nutzbar gemacht.

Durch die Corona-Pandemie sei das Interesse vieler Menschen gestiegen, aufs Land zu ziehen, sagte Thomas Auer, Professor für klimagerec­htes Bauen an der TU München, kürzlich im Deutschlan­dfunk. Das sei erfreulich für den ländlichen Raum, berge aber die Gefahr, dass an den Ortsränder­n neue Gebiete mit Einfamilie­nhäusern entstehen, Flächen versiegelt werden und die Ortskerne absterben: „Da gilt es, gegenzuste­uern.“Es sei ein Spagat, das Land nicht mit Einfamilie­nhäusern zuzupflast­ern, zugleich aber solche Häuser nicht „zu verdammen und zu verbieten“. Der Bestand müsse mehr wertgeschä­tzt werden.

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FOTO: NICOLAS ARMER/DPA Ein saniertes und ein unsanierte­s Gebäude im Ortskern von Sparneck: Viele Kommunen werben für Sanierung statt Neubau.

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