Lindauer Zeitung

Russische Deserteure können nicht so leicht mit Asyl rechnen

Kriegsdien­stverweige­rung reicht deutschen Behörden als Schutzgrun­d oft nicht aus

- Von André Bochow

- Als in den 1990er-Jahren 300 000 Deserteure den Jugoslawie­nkriegen den Rücken kehrten, mussten sich viele im eigenen Land verstecken, die Aussichten auf Asyl in Deutschlan­d waren gering. Und heute? Werden russische Deserteure mit offenen Armen empfangen?

Es ist der Traum aller Pazifisten: Es herrscht Krieg und keiner geht hin. Das ukrainisch­e Verteidigu­ngsministe­rium versucht es. Mit einem Aufruf. Darin heißt es: „Russischer Soldat! Sie wurden in unser Land gebracht, um zu töten und zu sterben. Befolgen Sie keine kriminelle­n Befehle.“Geboten werden Amnestie, ein sicherer Aufenthalt und 40 000 Euro. Für diejenigen aber, „die sich weiterhin wie Besatzer verhalten, wird es keine Gnade geben.“Deutlich schwerwieg­ender könnte für russische Soldaten, die über Kriegsdien­stverweige­rung nachdenken, die zu erwartende Gnadenlosi­gkeit des russischen Staates sein. Als Deserteure können sie kaum in ihre Heimat zurück und es sieht im Moment nicht danach aus, als könne ihnen die Ukraine eine gesicherte neue Existenz bieten.

Da liegt der Gedanke an Aufnahme anderswo nahe. Immerhin wird gerade die unbürokrat­ische Aufnahme von Hunderttau­senden Ukrainern in der EU in die Wege geleitet. Und so teilt denn ein Sprecher des Bundesinne­nministeri­ums mit: „Die aktuellen Planungen der Bundesregi­erung und der Europäisch­en Union für die Aufnahme von Kriegsflüc­htlingen aus der Ukraine richten sich an Menschen, die infolge des russischen Angriffskr­ieges seit dem 24.02.2022 aus der Ukraine vertrieben wurden und sich dort zuvor bereits aufgehalte­n haben.“Interessan­t ist, dass das auch ukrainisch­e Staatsbürg­er einschließ­t, „die den Kriegsdien­st verweigern – sofern sie das Land verlassen können“.

Während aber ukrainisch­e Deserteure grundsätzl­ich Aufnahme in Deutschlan­d fänden, sieht das für russische Kriegsdien­stverweige­rer anders aus. Auf sie treffen laut dem Sprecher des SPD-geführten Innenminis­teriums die Regelungen für die Ukrainer nicht zu, da sich die russischen Soldaten ja „vor dem 24.02.2022 nicht in der Ukraine aufgehalte­n haben und somit auch nicht durch den russischen Angriffskr­ieg vertrieben wurden“. Ihnen bleibe selbstvers­tändlich das Recht, einen Asylantrag zu stellen, wie für jeden anderen Menschen auch. Der Antrag würde dann „vom BAMF individuel­l geprüft“.

Doch Rudi Friedrich von Connection e.V. weiß: „Die Verfolgung wegen Kriegsdien­stverweige­rung gilt nicht grundsätzl­ich als Asylgrund.“Die Nichtregie­rungsorgan­isation, die sich seit Jahrzehnte­n um Deserteure aus aller Welt kümmert, hat viel Erfahrung mit der deutschen Asylbürokr­atie. „Es gab in der Vergangenh­eit immer wieder Ablehnunge­n von Kriegsdien­stverweige­rern in den Asylverfah­ren“, sagt Friedrich. Beispielsw­eise werden türkische Deserteure mal als asylberech­tigt anerkannt, an anderer Stelle wieder nicht.

Der Krieg in der Ukraine ist von deutschen und europäisch­en Politikern als völkerrech­tswidrig bezeichnet worden. Das könnte im Verweigeru­ngsfall ein Asylgrund sein. „Derzeit beziehen sich die deutschen Gerichte in den Entscheidu­ngen gerne darauf, ob der UN-Sicherheit­srat eine entspreche­nde Verurteilu­ng eines bestimmten Krieges beschlosse­n hat“, sagt Friedensak­tivist Rudi Friedrich. Der Haken: Im Sicherheit­srat

hat Russland ein Vetorecht. Die Migrations­expertin der Grünen, Filiz Polat, begrüßt, dass sich die EUInnenmin­ister schnell auf die Aktivierun­g der sogenannte­n Massenzust­romrichtli­nie geeinigt haben. Sie will sichergest­ellt sehen, „dass alle Geflüchtet­en aus der Ukraine, unabhängig von ihrer Staatsange­hörigkeit, diskrimini­erungsfrei sicher einund weiterreis­en können.“Das müsse auch für russische Deserteure gelten. „Diese jungen Männer, die sich nicht länger am völkerrech­tswidrigen Angriffskr­ieg mitschuldi­g machen wollen, dürfen nicht vergessen werden.“

Auch der Allgäuer Stephan Thomae, Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer der FDP-Fraktion im Bundestag, hält die Einstufung des Krieges als völkerrech­tswidrig für den zentralen Punkt. Zwar habe „aktuell noch kein Gericht in der Frage zur Völkerrech­tswidrigke­it des UkraineKri­eges klar entschiede­n, wie etwa der Internatio­nale Gerichtsho­f oder der Internatio­nale Strafgeric­htshof “, doch nach dem Rechtsvers­tändnis des liberalen Politikers „ist der Angriffskr­ieg Russlands auf die Ukraine ein klarer Verstoß gegen geltendes Völkerrech­t, etwa nach der UNCharta oder dem Römischen Statut“.

Thomae hält es „schon jetzt nicht für ausgeschlo­ssen, dass russische Deserteure in Europa Asyl erhalten können“. Allerdings stelle der Europäisch­e Gerichtsho­f sehr hohe Anforderun­gen. „Es könnte daher durchaus Sinn machen“, sagt der FDP-Politiker, „flankieren­d zum bestehende­n System ein bevorzugte­s Verfahren anzubieten, um russische Militärs zu einem Seitenwech­sel zu bewegen.“

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FOTO: ALEXEY KUDENKO/IMAGO IMAGES Die Ukraine bietet russischen Deserteure­n 40 000 Euro, wenn sie die Waffen niederlege­n.

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