Russische Deserteure können nicht so leicht mit Asyl rechnen
Kriegsdienstverweigerung reicht deutschen Behörden als Schutzgrund oft nicht aus
- Als in den 1990er-Jahren 300 000 Deserteure den Jugoslawienkriegen den Rücken kehrten, mussten sich viele im eigenen Land verstecken, die Aussichten auf Asyl in Deutschland waren gering. Und heute? Werden russische Deserteure mit offenen Armen empfangen?
Es ist der Traum aller Pazifisten: Es herrscht Krieg und keiner geht hin. Das ukrainische Verteidigungsministerium versucht es. Mit einem Aufruf. Darin heißt es: „Russischer Soldat! Sie wurden in unser Land gebracht, um zu töten und zu sterben. Befolgen Sie keine kriminellen Befehle.“Geboten werden Amnestie, ein sicherer Aufenthalt und 40 000 Euro. Für diejenigen aber, „die sich weiterhin wie Besatzer verhalten, wird es keine Gnade geben.“Deutlich schwerwiegender könnte für russische Soldaten, die über Kriegsdienstverweigerung nachdenken, die zu erwartende Gnadenlosigkeit des russischen Staates sein. Als Deserteure können sie kaum in ihre Heimat zurück und es sieht im Moment nicht danach aus, als könne ihnen die Ukraine eine gesicherte neue Existenz bieten.
Da liegt der Gedanke an Aufnahme anderswo nahe. Immerhin wird gerade die unbürokratische Aufnahme von Hunderttausenden Ukrainern in der EU in die Wege geleitet. Und so teilt denn ein Sprecher des Bundesinnenministeriums mit: „Die aktuellen Planungen der Bundesregierung und der Europäischen Union für die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine richten sich an Menschen, die infolge des russischen Angriffskrieges seit dem 24.02.2022 aus der Ukraine vertrieben wurden und sich dort zuvor bereits aufgehalten haben.“Interessant ist, dass das auch ukrainische Staatsbürger einschließt, „die den Kriegsdienst verweigern – sofern sie das Land verlassen können“.
Während aber ukrainische Deserteure grundsätzlich Aufnahme in Deutschland fänden, sieht das für russische Kriegsdienstverweigerer anders aus. Auf sie treffen laut dem Sprecher des SPD-geführten Innenministeriums die Regelungen für die Ukrainer nicht zu, da sich die russischen Soldaten ja „vor dem 24.02.2022 nicht in der Ukraine aufgehalten haben und somit auch nicht durch den russischen Angriffskrieg vertrieben wurden“. Ihnen bleibe selbstverständlich das Recht, einen Asylantrag zu stellen, wie für jeden anderen Menschen auch. Der Antrag würde dann „vom BAMF individuell geprüft“.
Doch Rudi Friedrich von Connection e.V. weiß: „Die Verfolgung wegen Kriegsdienstverweigerung gilt nicht grundsätzlich als Asylgrund.“Die Nichtregierungsorganisation, die sich seit Jahrzehnten um Deserteure aus aller Welt kümmert, hat viel Erfahrung mit der deutschen Asylbürokratie. „Es gab in der Vergangenheit immer wieder Ablehnungen von Kriegsdienstverweigerern in den Asylverfahren“, sagt Friedrich. Beispielsweise werden türkische Deserteure mal als asylberechtigt anerkannt, an anderer Stelle wieder nicht.
Der Krieg in der Ukraine ist von deutschen und europäischen Politikern als völkerrechtswidrig bezeichnet worden. Das könnte im Verweigerungsfall ein Asylgrund sein. „Derzeit beziehen sich die deutschen Gerichte in den Entscheidungen gerne darauf, ob der UN-Sicherheitsrat eine entsprechende Verurteilung eines bestimmten Krieges beschlossen hat“, sagt Friedensaktivist Rudi Friedrich. Der Haken: Im Sicherheitsrat
hat Russland ein Vetorecht. Die Migrationsexpertin der Grünen, Filiz Polat, begrüßt, dass sich die EUInnenminister schnell auf die Aktivierung der sogenannten Massenzustromrichtlinie geeinigt haben. Sie will sichergestellt sehen, „dass alle Geflüchteten aus der Ukraine, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit, diskriminierungsfrei sicher einund weiterreisen können.“Das müsse auch für russische Deserteure gelten. „Diese jungen Männer, die sich nicht länger am völkerrechtswidrigen Angriffskrieg mitschuldig machen wollen, dürfen nicht vergessen werden.“
Auch der Allgäuer Stephan Thomae, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion im Bundestag, hält die Einstufung des Krieges als völkerrechtswidrig für den zentralen Punkt. Zwar habe „aktuell noch kein Gericht in der Frage zur Völkerrechtswidrigkeit des UkraineKrieges klar entschieden, wie etwa der Internationale Gerichtshof oder der Internationale Strafgerichtshof “, doch nach dem Rechtsverständnis des liberalen Politikers „ist der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ein klarer Verstoß gegen geltendes Völkerrecht, etwa nach der UNCharta oder dem Römischen Statut“.
Thomae hält es „schon jetzt nicht für ausgeschlossen, dass russische Deserteure in Europa Asyl erhalten können“. Allerdings stelle der Europäische Gerichtshof sehr hohe Anforderungen. „Es könnte daher durchaus Sinn machen“, sagt der FDP-Politiker, „flankierend zum bestehenden System ein bevorzugtes Verfahren anzubieten, um russische Militärs zu einem Seitenwechsel zu bewegen.“