Die schwierige Suche nach dem richtigen Tierwohllabel
Vorbilder gibt es bereits – Wie gut sie funktionieren und was Deutschland davon lernen kann
- Es ist das Prestigeobjekt der Ampel-Regierung in der Landwirtschaftspolitik: das verbindliche Tierhaltungskennzeichen. Noch in diesem Jahr wollen SPD, Grüne und FDP ein solches Label einführen. Das Ziel: Verbraucher sollen bei tierischen Produkten auf einen Blick erkennen können, wo und unter welchen Bedingungen das Tier gelebt hat. Neben der Transparenz für Konsumenten soll damit auch das Tierwohl gestärkt werden. Deutschland wäre das erste Land in der EU, das ein solches Tierhaltungskennzeichen verpflichtend einführt. Und doch gibt es Vorbilder: In den Niederlanden und Dänemark existieren staatliche Label auf freiwilliger Basis.
Die Niederlande waren mit „Beter Leven“(Besseres Leben) ihrer Zeit weit voraus: Bereits seit 2007 ist das Kennzeichen auf dem Markt. „Das Label ist in den Niederlanden weitverbreitet, obwohl es freiwillig ist“, berichtet Achim Spiller, Professor für Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte an der Uni Göttingen. Das habe mit dem großen Druck aus dem Lebensmitteleinzelhandel zu tun.
Die Eingangsstufe in den Niederlanden ist vergleichbar mit dem Tierwohlniveau der Haltungsstufe 2 in Deutschland, basierend auf der Kennzeichnung des Handels. Der Vorteil, erklärt Spiller: „Dafür müssen die Landwirte nicht viel investieren. Die Bedingungen kann man schnell und ohne großen Umbau im Stall erfüllen.“Dafür sei der Mehrwert für das Tierwohl auch überschaubar. „Wir wissen aus der Forschung: Haltungsstufe 2 ist nicht das, was Menschen von einer artgerechten Tierhaltung erwarten. Das beginnt mit Haltungsstufe 3.“
Also vergleichbar mit zwei Sternen bei „Beter Leven“. Das Problem: Diese Produkte gibt es kaum. Verkauft werden fast nur Produkte mit einem oder drei Sternen. Letzteres ist Bioqualität. „Ein Stern bei Beter Leven beruhigt das Gewissen, aber ist trotzdem nicht so teuer“, sagt Lars Schrader, Institutsleiter für Tierschutz und -haltung beim FriedrichLoeffler-Institut. Die Einstiegsstufe sei zwar nicht zufriedenstellend für den Tierschutz, aber: „Man muss immer abwägen, ob man das Nonplusultra für wenige oder leichte Verbesserungen für möglichst viele Tiere erreichen will.“
Dänemark hat im Jahr 2017 ein ähnliches Label wie die Niederlande eingeführt, das übersetzt „Besseres Tierwohl“heißt. Die wichtigsten Parallelen: Es ist dreistufig und freiwillig. Statt mit Sternen arbeiten die Dänen
mit Herzen. Im Gegensatz zum niederländischen Label ist bereits in der Einstiegsstufe das Kupieren der Schwänze von Schweinen verboten. „Der Einstiegsbereich ist höher angelegt als in den Niederlanden“, erklärt der Göttinger Agrarexperte Spiller. Die Bekanntheit des Labels in der dänischen Bevölkerung wachse stetig. Problematisch ist allerdings, dass viele Dänen auch fünf Jahre nach der Einführung noch nicht wissen, was die einzelnen Stufen konkret für die Tiere bedeuten.
Das bringt für Deutschland die Frage: Wie soll das Haltungskennzeichen gestaltet sein, damit die Konsumenten an der Ladentheke auch eine informierte Entscheidung treffen können? Ein System mit aufsteigenden Sternen oder Herzen wäre aus Sicht von Spiller „problematisch“. Er spricht sich für ein Ampel-System aus nach dem Vorbild des Nutri-Scores. Der gesetzliche Mindeststandard wäre dann rot gekennzeichnet. „Rot hätte Warnlabel-Charakter, das hat eine starke Wirkung auf Verbraucher.“Schrader vom Loeffler-Institut widerspricht: „Wenn man mit Farben arbeitet, ist man schnell bei Diskriminierung.“Er hält die plakative und auf einen Begriff reduzierte Darstellung der Haltungskennzeichnung des Handels für ein gutes Vorbild.
Die Ampel-Regierung jedenfalls hat sich die Label in den Nachbarstaaten genau angeschaut, sagt Susanne Mittag. „Dabei haben wir auch erkannt, was wir besser machen wollen“, betont die agrarpolitische Sprecherin der SPD gegenüber dieser Zeitung und nennt als wichtigstes Kriterium, dass die Mehreinnahmen für mehr Tierwohl bei den Landwirten ankommen müssten. Außerdem sollen auch verarbeitete Waren wie Wurst und Fertigprodukte das Label tragen müssen.
Der Zwang ist für die SPD in dieser Frage entscheidend. „Das Hauptproblem bei einer freiwilligen Kennzeichnung ist, dass die, die nicht mitmachen und gerade so den gesetzlichen Standard erfüllen, das nicht kennzeichnen müssen“, sagt Mittag. Sie könnten aber mit Fantasiebezeichnungen und Aufdrucken glücklicher Kühe auf grünen Weiden dem Verbraucher suggerieren, dass es ihren Tieren so gut gehe wie den staatlich gelabelten.
Die FDP möchte, dass Verbraucher mehr Eigenverantwortung übernehmen und der Markt einen bedeutenden Anteil an der Weiterentwicklung der Tierhaltung trägt. „Um das zu erreichen, bietet eine verpflichtende Kennzeichnung die besten Voraussetzungen“, sagt der agrarpolitische Sprecher der Liberalen, Gero Hocker. Allerdings gibt Tierschutzexperte Schrader zu bedenken: „Wenn die Gesellschaft mehr Tierwohl will, reicht ein rein marktbasiertes System nicht aus.“Und Spiller sagt: „Ich bin ein großer Verfechter von Labels, aber die Tierschutzprobleme kann man damit alleine nicht lösen.“