Die Zukunft der Landwirtschaft stapelt in die Höhe
Zwei Ulmer Gründer wollen den Pflanzenanbau revolutionieren – und damit Gutes für die Menschheit tun
- Bestes Obst und Gemüse bei nur einem Prozent des üblichen Wasserverbrauchs und 70 Prozent weniger Düngereinsatz. Das ist einer der Vorteile des Vertical Farming, der vertikalen Landwirtschaft. Hier stehen die Pflanzen nicht auf dem Feld, sondern in Hallen: in Etagen übereinander gestapelt und automatisch versorgt. Einer der Pioniere auf diesem Gebiet ist Roko Farming – gegründet von den Ulmer Brüdern Philip und Sascha Rose. Statt die klassische Landwirtschaft zu ersetzen, wollen die beiden Ingenieure mit ihr zusammenarbeiten – und damit auch etwas für das Klima tun.
Die Idee hinter der Firma umschreibt Philip Rose gerne so: „Wir essen beide sehr gerne Salat – und das, was es da im Winter gab, hat uns nicht geschmeckt. Also haben wir versucht, es besser zu machen.“Aber natürlich steckt hinter Roko Farming mehr, als nur der Wunsch, auch im Winter besseren Salat anzubauen. 2019 starten sie die ersten Versuche, 2020 gewinnen sie den Berblinger Innovationspreis und starten eine Crowdfunding-Kampagne. Damit verschaffen sie sich das Startkapital für ihr Konzept. Zu diesem Zeitpunkt sind bereits erste Anlagen zur vertikalen Landwirtschaft auf dem Markt, doch die beiden Tüftler sind sich sicher, es besser machen zu können. Ihre Idee: Hochqualitative Pflanzen wie am Fließband züchten, die automatisch mit Umluft, Nährstoffen und Wasser versorgt werden.
Um das große Geld geht es den Brüdern nicht, zwei andere Faktoren treiben sie an: Der Klimawandel und die unabhängige Forschung und Entwicklung. Denn in der vertikalen Landwirtschaft sehen sie einen wichtigen Schlüssel zur Bekämpfung des Klimawandels: Renaturierung. Der Ackerbau wandert in die Halle, die Felder werden wieder natürliche Fläche, der Wasserverbrauch wird um 99 Prozent gesenkt. „Mit unseren Anlagen kann man durch das Stapeln und die kürzeren Pflanzenabstände auf vier Quadratmetern bis zu 300Mal so viele Pflanzen anbauen, wie auf dem Feld“, berichtet Philip Rose. Aber der eingesparte Platz soll auch der Natur zurückgegeben und nicht weiter bewirtschaftet werden. „Theoretisch eingesparte Fläche interessiert den Klimawandel nicht“, sagt Philip Rose. „Wenn wir ihn noch aufhalten wollen, dann müssen wir viel mehr Flächen renaturieren. Daher ist das ein wichtiger Bestandteil unseres Konzepts.“
Das ist auch ein Grund, warum sie sich noch keinen Investor gesucht haben, der sie unterstützt. „Wir hatten mal einen da, der kam hier mit seinem Porsche 911 vorgefahren und hat uns schon im zweiten Satz erklären wollen, was wir zu tun hätten“, berichtet Sascha Rose. Aber die beiden wollen ihre eigenen Entscheidungen treffen. „Es ist ja schon schwierig genug, sich unter Brüdern immer einig zu werden“, fügt er mit einem Augenzwinkern hinzu.
Stattdessen finanzieren die beiden ihre Firma über ihr Ingenieurbüro. Langfristig sehen die Gründer ihre Firma weniger als Betreiber von Anlagen: „Wir haben zwar schon einen grünen Daumen“, sagt Sascha Rose, „aber für den Betrieb als Gemüseproduzent fehlt uns die nötige Fachkenntnis.“Stattdessen sehen sie sich als Technologielieferanten, die interessierten Firmen und Personen die Anlagen entwerfen und verfügbar machen.
Auch ihre Zielgruppe haben die Rose-Brüder im Blick: Landwirte. Ihnen wollen sie mit ihrer Technologie eine Alternative zur klassischen Landwirtschaft bieten. „Ein Wandel in der Landwirtschaft kann nur mit und nicht gegen die Bauern funktionieren“, erklärt Philip Rose. „Leer stehende Hallen oder Ställe eignen sich ideal fürs vertikale Farming.“Besonders Schweinebauern hätten zur Zeit mit schwindendem Absatz und verfallenden Preisen zu kämpfen. Mit den Anlagen könnten sie unter dem bereits vorhandenen Dach auf Gemüse umschwenken.
Salate und Kräuter sind am einfachsten vertikal anzubauen. Aber die Ulmer haben auch schon mit Kartoffeln experimentiert, Weizen wird die nächste Testreihe werden. Dazu haben sie sich mit einem ähnlich forschenden Unternehmen aus Berlin zusammengetan. Auch Zierblumen oder Obst können in den Anlagen angepflanzt werden. Philip Rose schwärmt heute noch von den Erdbeeren, die sie in ihrer Anlage angebaut haben. „Natürlich ist nicht alles im Vertical Farming möglich – aber mehr, als man denkt. Durch die optimale Nährstoffversorgung wachsen in den Anlagen hochqualitative Pflanzen und zudem wachsen sie dadurch auch viel schneller.
Fast alles bei Roko Farming haben die beiden selbst entworfen. 3D-Drucker stellen die Pflanzenbehälter her, die sie in ihrer Modellanlage testen. Seit dem Start haben sie ihre Technik stetig weiterentwickelt. Dadurch, dass sie ihre eigene Versuchsanlage haben, erfahren sie auch die Herausforderungen der neuen Technologie aus erster Hand. So haben sie beispielsweise herausgefunden, dass die atmosphärischen Bedingungen in einer Halle mit einer Anlage genau kontrolliert werden müssen. Pflanzen vom Fließband, geerntet von Menschen mit Handschuhen und Laborkitteln, ist für manche ein ungewohntes Konzept: „Das habe ja nichts mehr mit natürlichem Wachstum zu tun, hören wir manchmal“, sagt Philip Rose. „Aber auch die industrielle Landwirtschaft in Monokultur ist ja nicht mehr Natur. Sie funktioniert auch nur unter dem massiven Einsatz von Geräten, Pestiziden, Dünger und Subventionen.“
Für die Brüder Rose hat vertikale Landwirtschaft hier viel Potenzial, aber sie sehen sich auch am Anfang eines Entwicklungsprozesses. „Es gibt noch einige Herausforderungen zu meistern, da wollen wir auch niemandem etwas vorlügen oder große Versprechungen machen, die wir erst später halten können“, sagt Sascha Rose. So sind die Produktionskosten aktuell noch höher als in der klassischen Landwirtschaft. „In Deutschland haben wir das Problem, dass der Strom nicht nur teuer ist, sondern auch noch immer eine schlechte CO2-Bilanz hat“, erklärt Philip Rose. Das Dach einer Scheune für Photovoltaik zu nutzen, wäre ein guter Ansatz. Doch aktuell rangieren Erzeugnisse aus der vertikalen Produktion eher in der Preisspanne von guten Bioprodukten, als der von Discountern. Hier wollen die beiden weiter ansetzen – und ihr Ansatz, mit statt gegen die Bauern zu arbeiten, kommt auch bei diesen gut an. Die Anfragen von Landwirten nehmen zu. Bald könnte also ein erster landwirtschaftlicher Partner gefunden sein.