„Das Begrenzte steht heute nicht hoch im Kurs“
Elke Büdenbender und Eckhard Nagel haben ein Buch über den Tod verfasst – Beim Thema Sterbehilfe gehen ihre Meinungen weit auseinander
BERLIN (dpa) - Es ist ein Thema, das viele Menschen gerne meiden. Wer will sich schon Gedanken über das eigene Ende machen, wer will gar darüber sprechen? Elke Büdenbender und Eckhard Nagel wollen es. Die Frau des Bundespräsidenten und der mit der Familie seit Jahrzehnten befreundete Transplantationschirurg haben miteinander stundenlang über den Tod, den Weg dorthin und die Zeit danach für die Trauernden geredet. Herausgekommen ist ein sehr nachdenkliches und zugleich sehr persönliches Buch in Gesprächsform.
Ein Buch über das Sterben und den Tod – was hat Sie veranlasst, es zu schreiben?
Büdenbender: Ich war gerade im Jahr 2020 erschüttert über die Todeszahlen infolge der Pandemie. In Pflegeheimen sind so viele Menschen verstorben, und ich habe mich gefragt: Warum bekommen wir das nicht in den Griff ? Und vor allem: Warum sprechen wir darüber so wenig? Dann habe ich überlegt, ich würde gerne etwas dazu machen. Auch über die Frage der Einsamkeit des Sterbens. Das war ja damals unglaublich hart. Aus einem Interview, das ich dazu gegeben habe, ist dann die Buchidee gemeinsam mit Eckhard Nagel entstanden. Er ist ein enger und langjähriger Freund, ist Arzt, Chirurg, Philosoph und Theologe. Und er hat uns auch in schwierigen Situationen begleitet.
Der Tod ist fast ein Tabuthema. Wie erklären Sie sich das?
Nagel: Die Frage, wie intensiv man in einer Gesellschaft mit dem Tod umgeht, hängt ja sehr mit ihrer Verfasstheit zusammen, mit ihren Idealen, mit den Dingen, nach denen man strebt. Wir haben aufgezeigt, dass es vor allem im Mittelalter eine „ars moriendi“(Kunst des Sterbens) gab, eine klare Vorstellung, wie man die Welt verlassen sollte. Damals wollte man das Sterben bewusst wahrnehmen, sich darauf vorbereiten. Das hat sich völlig geändert. Das Zerbrechliche oder Gebrechliche, das Begrenzte steht heute nicht hoch im Kurs. Wir machen möglichst einen Bogen darum. Insofern ist der Tod selbst und damit die Endlichkeit der menschlichen Existenz immer weiter aus unserem Alltag geschwunden. Büdenbender: Ich denke auch, dass mit dem Schwinden der Religiosität und des Glaubens viel Orientierung verloren gegangen ist, wenn wir über unser eigenes Ende, unser Sterben oder den Tod nachdenken.
Was bedeutet es für das Leben, wenn man nicht über das Sterben spricht? Oder: Was würde es bewirken, wenn man es täte?
Nagel: Wir haben den Tod nicht integriert. Und unser Plädoyer ist eindeutig: Wenn man den Tod und die
Endlichkeit integriert ins eigene Leben, dann gewinnt das Leben auch.
Kann es sein, dass die Menschen weniger vor dem Tod an sich Angst haben und mehr vor einem vielleicht schmerzvollen Weg dahin? Und ist diese Angst heute überhaupt noch berechtigt?
Nagel: Ganz klar – die Angst, die Menschen haben, betrifft zuerst einmal den Weg in den Tod. Ich will nicht negieren, dass es in Einzelfällen immer wieder außergewöhnlich leidvolle Erkrankungen gibt. Ich bin sehr beeindruckt davon, wie Menschen das tragen und diesen Weg gehen. Gleichzeitig ist heute durch die Palliativmedizin und die Hospizbewegung ein Umfeld möglich, das einen großen Teil dieser Ängste nehmen kann. Es gibt eine sorgsame, in der ärztlichen Sterbebegleitung ausgebildete Form der medizinischen Entlastung, die zusätzlich durch Menschen, die da sind und im wahrsten Sinn des Wortes die Hand halten, viel Erleichterung geben kann. Aber das bedeutet eben auch, dass dieses Sterben dann integriert werden muss in die Alltagswahrnehmung, in unsere Vorstellung vom Sterben.
Elke Büdenbender (60) ist studierte Juristin. Sie ist mit FrankWalter Steinmeier, dem Bundespräsidenten, verheiratet, beide haben eine erwachsene Tochter. Für ihre Aufgabe als First Lady ließ sich Büdenbender von ihrem Richteramt beurlauben. In der nun beginnenden zweiten Amtszeit ihres Mannes will sie halbtags wieder an das Verwaltungsgericht Berlin zurückkehren. 2010 spendete Steinmeier seiner Frau eine Niere.
Ihr Buch liest sich wie ein Dialog Gleichgesinnter. Aber beim Thema Sterbehilfe prallen die Meinung des Mediziners und die der Juristin aufeinander. Sie, Herr Nagel, nennen es eine „fundamentale Grenzüberschreitung“, wenn ein Arzt hier tätig würde. Warum? Nagel: Ich wende mich eindeutig gegen die Verantwortungsübernahme durch Ärzte beim assistierten Suizid. Das liegt dem ärztlichen Behandlungsauftrag zugrunde. Dieser definiert seit jeher, dass im Zweifel für das Leben gehandelt werden muss – in dubio pro vita. Patientinnen und Patienten müssen sich zu 100 Prozent sicher sein können, dass ihnen ein Arzt, eine Ärztin niemals nach dem Leben trachtet. Insofern ist hier eine klare Grenze, die nicht nur für die Ärzteschaft, sondern auch für die Gesellschaft wichtig ist. Deshalb würde ich diese Position in keinem Fall verlassen wollen.
Der Gesetzgeber muss die Sterbehilfe nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2020 neu regeln. Wie sollte das aus Ihrer Sicht aussehen, Frau Büdenbender?
Eckhard Nagel (61) ist Transplantationschirurg. Er hat eine Professur für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften an der Universität Bayreuth, ist Doktor der Philosophie und Ehrendoktor der Theologie. Sieben Jahre lang gehörte er dem Nationalen Ethikrat an, dann acht Jahre dem Deutschen Ethikrat. Er ist Mitglied im Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentags. Nagel ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder. (dpa)
Büdenbender: Es müsste eine Regelung sein, die einerseits das Selbstbestimmungsrecht respektiert und andererseits vor allem das Leben schützt. Eine Regelung, die sicherstellt, dass ein Mensch erst dann einen Sterbewunsch umsetzen darf, wenn er seinen Willen autonom, frei, unter Abwägung aller Für und Wider und nach reiflicher Überlegung gebildet hat. Und ein Mensch darf mit dieser Entscheidung nicht allein bleiben. Das Bundesverfassungsgericht hat ja auch festgestellt, dass von der geschäftsmäßigen Suizidhilfe die Gefahr ausgeht, dass Menschen manipuliert werden können, also sozusagen leichtfertig oder aus einer vielleicht nur temporär gegebenen Gemütslage heraus ihrem Todeswunsch nachgeben oder aufgrund einer ganz akuten psychischen Störung. Vor allem müssten alternative Wege, beispielsweise in der Palliativmedizin oder der Betreuung in Hospizen, aufgezeigt werden. Also im besten Sinne Werbung für das Leben gemacht werden.
Sie schildern beide auch sehr persönliche Erfahrungen, Grenzerfahrungen des Lebens. Sie, Frau Büdenbender, beispielsweise die Situation, als Ihre Nieren versagten. Ist Ihnen das schwergefallen? Büdenbender: Ich konnte ganz lange nicht darüber reden, weil mir das einfach zu nah war. Aber natürlich gehören diese Grenzerfahrungen auch zum Leben im Ganzen dazu, machen es sogar aus. Und vielleicht kann ich so zeigen, dass das Darüberreden heilsam sein kann. Mein Leben ist sehr von diesen Erfahrungen beeinflusst – wie ich meinen Weg gehe, wie ich leben möchte, was ich für mich durchsetzen möchte und auch was ich nicht will.
Sie beziehen auch Ihren Mann, den Bundespräsidenten, ein. Man erlebt ihn von einer bislang nicht gekannten privaten Seite. Haben Sie das mit ihm abgesprochen? Büdenbender: Ja, natürlich, das haben wir beide nicht ohne unsere Familienmitglieder gemacht, und wir sind ihnen sehr dankbar dafür.
Was hat die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema in Ihren Gesprächen bei Ihnen selbst bewirkt?
Büdenbender: Ich habe für mich eine große Ruhe gefunden. Weil ich weiß, ich habe etwas ausgesprochen, von dem ich glaube, dass es für jeden Menschen auf die ein oder andere Weise wichtig ist. Und wenn dies die Menschen erreichen könnte, wäre das schön.
Elke Büdenbender, Eckhard Nagel: Der Tod ist mir nicht unvertraut. Ullstein Verlag, 220 Seiten, 24 Euro.