Unverständlich unbeständig
Die Bayern spielen die schwächste Rückrunde seit zehn Jahren – Die Gründe sind vielschichtig
- Der Mann ist um keine Antwort verlegen, was seinen Körper betrifft. Bayern-Trainer Julian Nagelsmann äußerte sich bereits zu seinem Schlafverhalten („Mir reichen oft so fünf Stunden“), zu seinem Hautbild („Ich habe eine recht empfindliche Haut, da ist es nicht so gut, wenn ich viele Chips esse“) und bekannte vor ein paar Jahren, angesichts seiner Schlupflider habe er sich die Augenbrauen zupfen lassen. Wachsen nun auch noch graue Haare beim 34-Jährigen? So die Frage eines Reporters angesichts der Chancenverwertung seiner Mannschaft beim 1:1 (1:1) gegen die TSG Hoffenheim.
„Ich bekomme keine grauen Haare. Bei mir fallen sie aus“, meinte Nagelsmann, der nachschauen wolle, „wenn das Gel weg ist, wie es mit dem Ausfall aussieht“. Die Haare des Trainers sind jedenfalls so kurz, dass er beim Blick in den Spiegel seine Sorgenfalten entdecken könnte. Denn: Zwei Bundesligapartien nacheinander ohne Erfolg gab es in seiner Amtszeit noch nie. Auf das 1:1 gegen Leverkusen vor einer Woche folgte nun das Remis im Kraichgau. Damit hat Bayern an den neun Rückrundenspieltagen mit zwei Unentschieden und zwei Niederlagen schon mehr Punkte abgegeben als in der kompletten Hinrunde. Ergibt lediglich 17 Zähler und damit die schlechteste Rückrunde seit zehn Jahren.
Die Liga-Tristesse wurde unter der Woche durch das furiose Torspektakel, das 7:1 im AchtelfinalRückspiel der Champions League gegen RB Salzburg, unterbrochen. Nach all den Torrekorden aus der Hinrunde könnte die rauschende Europapokalnacht ein Ausreißer nach oben gewesen sein. Torarmut in der Liga heißt die neue Realität: In den letzten drei Bundesligaspielen gab es jeweils nur einen Treffer, vor zwei Wochen reichte es nur zu einem 1:0 in Frankfurt. Man sei „schon ein bisschen enttäuscht, dass wir die drei Punkte nicht mitgenommen haben“, bekannte Kapitän Manuel Neuer und forderte mit Blick auf das Heimspiel kommenden Samstag gegen Union Berlin: „Wir müssen die nächsten Spiele gewinnen und einfach wieder klare Kante zeigen.“
Vor Weihnachten hatte es lediglich drei Ausrutscher gegeben, unter anderem das 0:5-Debakel in der zweiten DFB-Pokalrunde in Gladbach. Ansonsten schien die Mannschaft stabiler, befreiter, konsequenter. Was sind die Gründe für die Leistungsschwankungen der Bayern in der Rückrunde?
Der Chancenwucher: Abgesehen von Toptorjäger Robert Lewandowski, der in der dritten Minute der Nachspielzeit nicht nur seinen 29. Saisontreffer erzielte, sondern auch den 17. Auswärtstreffer in dieser Spielzeit – eingestellter Rekord mit Timo Werner (2019/20 für RB Leipzig) und Jupp Heynckes (1973/74 für Borussia Mönchengladbach) – lassen die Bayern zu viele Möglichkeiten ungenutzt. Dank Lewandowski konnte Bayern wenigstens den Hoffenheimer Führungstreffer von Christoph Baumgartner (32.) ausgleichen. Serge Gnabry und Leroy Sané, am Dienstag noch erfolgreich, vergaben in der zweiten Halbzeit leichtfertig beste Chancen auf den Sieg.
Die drei Abseitstore: Thomas Müller wurde zur tragisch-komischen Figur aufgrund seiner zwei aberkannter Treffer (27./42.) wegen Abseits. Auch Lewandowski wurde von der kalibrierten Linie des VAR kalt erwischt (46.). Nur Pech? Nein, denn: Sieben Mal standen die Bayern am Samstag im Abseits, so oft wie noch nie in dieser Saison.
Der „furztrockene Platz“: Vor Anpfiff ging die Sprinkleranlage an – wohl zu kurz für den Geschmack von Nagelsmann, der sich hinterher beklagte: „Der Platz ist furztrocken!“Des Trainers Erklärung für vergebene Torchancen: „Man hat es bei Gnabry und Coman gesehen, dass der Ball so komisch wegspringt, weil der Rasen so trocken ist. Das soll jetzt keine Kritik an Hoffenheims Greenkeeper sein, aber mit nasserem Rasen kommen die Bälle auf jeden Fall gefährlicher.“
Die nervige Systemdebatte: Laut Sky-Experte Didi Hamann hätten die Bayern mit der Dreierkette Benjamin Pavard, Niklas Süle und Lucas Hernández sowie Sechser Joshua Kimmich „nur dreieinhalb defensive Spieler“aufgeboten. Nagelsmann nervt die andauernde Systemdebatte über zu viele Offensivspieler in seiner Startelf. „Ich werde das mit dem Didi auch nochmal besprechen, weil ich das ein bisschen ungerecht den Spielern gegenüber finde, wenn man sieht, wie fleißig Serge, King und auch Leroy sind.“Auch seine Spieler hätten „die klare Vorstellung, dass das beste Personal aktuell in der Ordnung spielt, so wie wir spielen“, sagte der Bayern-Trainer und stichelte gegenüber Hamann: „Vielleicht hat er sich ja früher als sehr offensiven Achter gesehen und hatte keinen Bock auf Verteidigen.“