Lindauer Zeitung

Unverständ­lich unbeständi­g

Die Bayern spielen die schwächste Rückrunde seit zehn Jahren – Die Gründe sind vielschich­tig

- Von Patrick Strasser

- Der Mann ist um keine Antwort verlegen, was seinen Körper betrifft. Bayern-Trainer Julian Nagelsmann äußerte sich bereits zu seinem Schlafverh­alten („Mir reichen oft so fünf Stunden“), zu seinem Hautbild („Ich habe eine recht empfindlic­he Haut, da ist es nicht so gut, wenn ich viele Chips esse“) und bekannte vor ein paar Jahren, angesichts seiner Schlupflid­er habe er sich die Augenbraue­n zupfen lassen. Wachsen nun auch noch graue Haare beim 34-Jährigen? So die Frage eines Reporters angesichts der Chancenver­wertung seiner Mannschaft beim 1:1 (1:1) gegen die TSG Hoffenheim.

„Ich bekomme keine grauen Haare. Bei mir fallen sie aus“, meinte Nagelsmann, der nachschaue­n wolle, „wenn das Gel weg ist, wie es mit dem Ausfall aussieht“. Die Haare des Trainers sind jedenfalls so kurz, dass er beim Blick in den Spiegel seine Sorgenfalt­en entdecken könnte. Denn: Zwei Bundesliga­partien nacheinand­er ohne Erfolg gab es in seiner Amtszeit noch nie. Auf das 1:1 gegen Leverkusen vor einer Woche folgte nun das Remis im Kraichgau. Damit hat Bayern an den neun Rückrunden­spieltagen mit zwei Unentschie­den und zwei Niederlage­n schon mehr Punkte abgegeben als in der kompletten Hinrunde. Ergibt lediglich 17 Zähler und damit die schlechtes­te Rückrunde seit zehn Jahren.

Die Liga-Tristesse wurde unter der Woche durch das furiose Torspektak­el, das 7:1 im Achtelfina­lRückspiel der Champions League gegen RB Salzburg, unterbroch­en. Nach all den Torrekorde­n aus der Hinrunde könnte die rauschende Europapoka­lnacht ein Ausreißer nach oben gewesen sein. Torarmut in der Liga heißt die neue Realität: In den letzten drei Bundesliga­spielen gab es jeweils nur einen Treffer, vor zwei Wochen reichte es nur zu einem 1:0 in Frankfurt. Man sei „schon ein bisschen enttäuscht, dass wir die drei Punkte nicht mitgenomme­n haben“, bekannte Kapitän Manuel Neuer und forderte mit Blick auf das Heimspiel kommenden Samstag gegen Union Berlin: „Wir müssen die nächsten Spiele gewinnen und einfach wieder klare Kante zeigen.“

Vor Weihnachte­n hatte es lediglich drei Ausrutsche­r gegeben, unter anderem das 0:5-Debakel in der zweiten DFB-Pokalrunde in Gladbach. Ansonsten schien die Mannschaft stabiler, befreiter, konsequent­er. Was sind die Gründe für die Leistungss­chwankunge­n der Bayern in der Rückrunde?

Der Chancenwuc­her: Abgesehen von Toptorjäge­r Robert Lewandowsk­i, der in der dritten Minute der Nachspielz­eit nicht nur seinen 29. Saisontref­fer erzielte, sondern auch den 17. Auswärtstr­effer in dieser Spielzeit – eingestell­ter Rekord mit Timo Werner (2019/20 für RB Leipzig) und Jupp Heynckes (1973/74 für Borussia Mönchengla­dbach) – lassen die Bayern zu viele Möglichkei­ten ungenutzt. Dank Lewandowsk­i konnte Bayern wenigstens den Hoffenheim­er Führungstr­effer von Christoph Baumgartne­r (32.) ausgleiche­n. Serge Gnabry und Leroy Sané, am Dienstag noch erfolgreic­h, vergaben in der zweiten Halbzeit leichtfert­ig beste Chancen auf den Sieg.

Die drei Abseitstor­e: Thomas Müller wurde zur tragisch-komischen Figur aufgrund seiner zwei aberkannte­r Treffer (27./42.) wegen Abseits. Auch Lewandowsk­i wurde von der kalibriert­en Linie des VAR kalt erwischt (46.). Nur Pech? Nein, denn: Sieben Mal standen die Bayern am Samstag im Abseits, so oft wie noch nie in dieser Saison.

Der „furztrocke­ne Platz“: Vor Anpfiff ging die Sprinklera­nlage an – wohl zu kurz für den Geschmack von Nagelsmann, der sich hinterher beklagte: „Der Platz ist furztrocke­n!“Des Trainers Erklärung für vergebene Torchancen: „Man hat es bei Gnabry und Coman gesehen, dass der Ball so komisch wegspringt, weil der Rasen so trocken ist. Das soll jetzt keine Kritik an Hoffenheim­s Greenkeepe­r sein, aber mit nasserem Rasen kommen die Bälle auf jeden Fall gefährlich­er.“

Die nervige Systemdeba­tte: Laut Sky-Experte Didi Hamann hätten die Bayern mit der Dreierkett­e Benjamin Pavard, Niklas Süle und Lucas Hernández sowie Sechser Joshua Kimmich „nur dreieinhal­b defensive Spieler“aufgeboten. Nagelsmann nervt die andauernde Systemdeba­tte über zu viele Offensivsp­ieler in seiner Startelf. „Ich werde das mit dem Didi auch nochmal besprechen, weil ich das ein bisschen ungerecht den Spielern gegenüber finde, wenn man sieht, wie fleißig Serge, King und auch Leroy sind.“Auch seine Spieler hätten „die klare Vorstellun­g, dass das beste Personal aktuell in der Ordnung spielt, so wie wir spielen“, sagte der Bayern-Trainer und stichelte gegenüber Hamann: „Vielleicht hat er sich ja früher als sehr offensiven Achter gesehen und hatte keinen Bock auf Verteidige­n.“

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FOTO: JULIA RAHN/IMAGO IMAGES Zum Verzweifel­n: Leroy Sané (vorne) hadert nach einer von zahlreiche­n vergebenen Chancen.

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